Punkte, aber noch keine Höhepunkte
Das erste Abendmal aus der St. Ingberter Pfanne
“Wir werden beobachtet – nicht nur von Google, sondern auch von den Kleinkünstlern.” Mit diesen Worten eröffnete Oberbürgermeister Georg Jung den Wettbewerb um die St. Ingberter Pfanne. Beim Beobachten wirkt natürlich auch der Kritiker mit – immer auf der Seite seiner Leser, um den Slogan einer saarländischen Verbrauchermarktkette etwas abzuwandeln.
Da ist zunächst Philipp Scharri, der sich als Poetry Slammer, Kabarettist und Performance Poet bezeichnet, weil das so schön schick klingt. Die Auszüge aus seinem Programm “Der Klügere gibt Nachhilfe” kündigt er als anspruchsvoll und intellektuell an. Dieses Versprechen hält er ein, wenn er große Philosophen durch die Küchenarbeit zusammenbringt. Zum Kochen bei Kant lädt er Geistesgrößen aller Epochen zum Diskurs über die Essenszubereitung ein. Alles wird in Reimform und mit unterschiedlichen Dialekten kredenzt. Ohne Requisiten gestaltet Scharri eine großartige Nummer, die richtig Spaß macht. Dann beschäftigt er sich mit den Konflikten, die durch das übergroße Angebot der Warenwelt hervorgerufen werden, z.B. bei Sandwiches. Hier wird es besonders anstrengend, wenn man dem Verkäufer sein eigenes Rezept erklären muss. Er nimmt die Zuschauer in seine Welt mit, die voller Anspielungen auf historische Ereignisse und berühmte Zitate ist. Der Sandwichkauf gipfelt geschickt in einer Reportage über die Regierungsbildung, wo Senfgurken und Oliven eine schwarz-gelbe Koalition eingehen, die schließlich in einer Gurkentruppe endet. Philipp Scharri fühlt sich wohl auf der Bühne, auch wenn er als Solist auftritt und nicht mit seinen Partnern Bumillo und Heiner Lange spielt. Zusammen sind sie PauL, Poesie aus Leidenschaft, und greifen regelmäßig Preise ab. Scharri, der in den Dreissigern ist, scheut auch vor aktuellen Themen nicht zurück. So widmet er sich der Mitarbeiterbespitzelung und singt darüber gleich ein kleines Li(e)dl am Flügel. Der Sprachdechsler sorgt sich auch um den latenten Anti-Semantismus: “Anglismen” seien schließlich hier, weil sie sich in unserer Sprache eine bessere Zukunft versprochen haben. Viele von ihnen seien bereits in den Duden aufgenommen worden, selbst wenn es inzwischen Bücher mit Titeln wie “Die deutsche Sprache schafft sich ab” gebe. Die Geschichte vom Verb, das ein Nomen werden wollte, wird in Reimform erzählt. So, wie viele andere Nummern auch. Das Verb landet schließlich in dem Land, wo der Thesaurus den Wortschatz bewacht: im Land der Poesie. Schade nur, dass die musikalische Beziehungsdefinition am Ende des Programms etwas lang und unübersichtlich gerät. Auch die Ideen vom komplizierten Sandwichkauf und vom rebellischen Verb sind auf Kabarettbühnen schon umgesetzt worden.
Nach dem wortbetonten Auftakt geht der Abend musikalisch weiter. “Wahre Lügen” heißt das Programm von Helena Marion Scholz, das sie zusammen mit Steve Nobles am Klavier aufführt. Das Thema sind Lügen und Wahrheit. Scholz konterkariert durch übertriebene Freude ihre eigenen Worte. Für sie gibt es viele Wahrheiten: schließlich glaube sie an Gott und an den Urknall. Einerseits sage sie Nein zu Drogen, konsumiere aber gleichzeitig Alkohol und Lösungsmittel. Sie referiert über die unterschiedlichen Lügen von Männern und Frauen und beschreibt musikalisch, wie man körperliche Korrekturen zur Erlangung vollkommener Schönheit mit Geld kaufen kann. Als sie jedoch Mozarts Papageno-Arie zusammen mit Steve Nobles mit einem Text in kölscher Mundart versieht, beschreibt der Refrain dieses Liedes ihren Auftritt unfreiwillig deutlich: Laber laber, bla bla. Im Laufe des Abends wird der rote Faden immer blasser, und der Künstlerin gelingt es nicht, Energie und Spielfreude auf das Publikum überspringen zu lassen. Das Programm wechselt dann von der Lügenproblematik zur Beziehungsproblematik. Es wird zunehmend schwarzhumoriger, allerdings leicht getrübt durch die blau schimmernden Strümpfe des in einen schwarzen Anzug gekleideten Pianisten. Vieles wird in Scholz‘ Programm nur angerissen – überraschende Lösungen oder Auswege werden nicht geboten. Es sind ein paar schöne Nummern für eine Gala, die Helena Marion Scholz anbietet. Für einen ganzen Abend wirkt das Konzept zu mager. Wie war noch der Refrain ihres letzten Liedes? “Wahre Lüge oder Schmeichelei? Ehrlich kann in diesem Fall nicht richtig sein”.
Nun betritt Thomas Kreimeyer die Bühne und baut seinen roten Stuhl auf. Der ist vielleicht zehn Zentimeter groß und soll dem Publikum als Ruhepunkt dienen. Hier solle es hinblicken, wenn es durch das Geschehen intellektuell überfordert zu werden droht. Denn der Soziologe, Clown und Kabarettist Thomas Kreimeyer hat mit dem Publikum beim “Kabarett der rote Stuhl” einiges vor. Er will es einbinden, mit ihm in Austausch treten und den Abend gemeinsam veranstalten. Künstler und Zuschauer sollen aufeinander angewiesen sen. Es ist Stegreif-Theater, das Kreimeyer Knall auf Fall beenden wird: Denn nach 45 Minuten klingelt der Küchenwecker, und die Show wird vorbei sein. Bei eingeschaltetem Saallicht steht das Publikum im Mittelpunkt. Kreimeyer beschreibt seine Probleme beim ersten Kontakt mit dem saarländischen Idiom – schließlich sei das seine Saarlandpremiere. Er ist sehr locker, geht auf die Leute ein und wandelt durch alle Reihen. Sein Fragenkatalog ist jedoch ziemlich eingeschränkt: “Aus welcher Stadt stammen Sie? – Leben Sie noch dort, wo Sie geboren wurden? – Wo waren Sie in Urlaub? – Was machen Sie beruflich?” Die Volksbefragung wirkt dagegen harmlos! Kreimeyer improvisiert, denkt quer, übertreibt. Die Zuschauer goutieren es – vielleicht auch aus Erleichterung, selbst gerade nicht befragt worden zu sein. Bisweilen wirkt Kreimeyer etwas oberlehrerhaft und korrigierend. Er schafft es jedoch, keine einzige peinliche Pause entstehen zu lassen. Da spielt er lieber auf Zeit und beisst sich an einer Zuschauerin beim Thema Intelligenz die Zähne aus. Seine Idee zerfasert nach einer knappen halben Stunde. Die Halle ist mit etwa 700 Zuschauern für eine derartige Kleinkunstidee einfach zu groß. Im wahrsten Sinne des Wortes ist diese Bühne der Stadthalle zu hoch, um mit dem Publikum auf gleicher Augenhöhe agieren zu können. Die Besucher des ersten Abends der St. Ingberter Kleinkunstwoche freuen sich trotzdem über das “Kabarett der rote Stuhl” von Thomas Kreimeyer, das mit jedem neuen Publikum neu verläuft.
Gilles Chevalier © 2010 BonMoT-Berlin Ltd.
http://www.superscharri.de
http://www.marion-scholz.com
http://www.kabarett-der-rote-stuhl.de
Liveundlustig-Berichte über die Sankt Ingberter Pfanne 2013 / 2012 / 2011