Spaghetti mit Honigbrot und Bohnerwachs
Das zweite Menu aus der St. Ingberter Pfanne
“Gestöhnt wird überall”. Frederic Hormuth hat sein Programm so benannt und startet mit einem Outing: Ja, er sei im ADAC! Allerdings sei ihm die Zielgruppe der vereinseigenen Zeitschrift ‚Motorwelt‘ zunehmend unklar – schließlich überwiege dort nahezu Werbung für Treppenlifte und Schuhe, die sieben Zentimeter größer machten. Der ADAC verwende das falsche Motto: Eigentlich müsste es Mobilat statt Mobilität heißen! So verlaufen weite Strecken des Programms. Hormuth denkt und lässt den Zuschauer Einblick in diesen Prozess nehmen. Ob es da um den Kinderfreibetrag geht, der für Besserverdienende viel mehr Vorteile bringt als für Gar-Nicht-Verdienende oder um die Integrations-Thesen eines abgehalfterten gerade-noch-SPD-Mitglieds, dem man am besten eine “Zwangseinweisung in die NPD” verordnen sollte. Hormuth, der mutiger als dieser Kritiker den Namen Sarrazin auch noch ausspricht, weitet das Thema Integration aus: Kann man auch zu stark integriert sein? Der Blick auf Philipp Rösler und seine Karriere vom Flüchtlingskind zum Bundesgesundheitsminister lässt die Frage legitim erscheinen.
Es sind freche und unkonventionelle Vergleiche, die Hormuth immer wieder zieht. Wenn er etwa die Popularitätswerte von Politikern vergleicht und herausfindet, dass in Deutschland der Bundesaußenminister genauso beliebt ist wie der iranische Präsident. Obwohl Ersterer viel mehr Wert auf angemessene Kleidung legt, wie der Kritiker hinzufügen möchte. Hormuth steht im politischen Teil seines Programm links von der Mitte – unklar bleibt dabei, wie weit er von der Mitte entfernt ist. Allen, die rechts der Mitte stehen, tritt er immer wieder vor das Schienbein. Eine größere Überraschung erleben aber die politisch ähnlich Orientierten, die nicht genau wissen, wann sie wieder getroffen werden. Der gleichmäßige, fast monoton wirkende Vortragsstil Hormuths stellt somit besondere Anforderungen an das Publikum. Im unterhaltenden Teil des Programm greift er in die Tasten und singt sein Liebeslied an das Honigbrot. Der bekennende Nutella-Feind greift aber auch tief in die Kiste und betätigt sich als Geräuschemacher: Zunächst in minderwertigen Sexfilmchen. Dann wird er wieder politisch und kommentiert Aussagen von Politikern mit auf der Bühne frisch angerichteten Geräuschen. Auch führt er ideologische Slogans ad absurdum: “Wenn sozial ist, was Arbeit schafft, sind Langhaarkatzen auch sozial!” Eine Mischung verschiedener Unterhaltungsformen zeigt Frederic Hormuth auf der Bühne. Damit wird er als vielseitig begabt erkannt. Weniger Formen könnten dem Programm gut tun, schließlich wächst die Zahl der Unterhalter viel stärker als die Zahl der politischen Kabarettisten.
“Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie” ist ein häufig gebrauchter Ausspruch von Wiebke Eymess‘ Großmutter. Eymess spielt zusammen mit Fridolin Müller im Programm “Mitternachtsspaghetti”. Und weil ihr der Ausspruch so gut gefallen hat, wurde er flugs zum Ensemblenamen. Beide bilden ein “real-fiktives Liebespaar” im klassischen Rollenverständnis: Sie fragt, er antwortet. Beide geraten auch in Streit, zum Beispiel über die Frage, ob in Weimar der Humanismus geboren oder zu Grabe getragen wurde. Stichworte wie Buchenwald, Herder, Hitler und Goethe fliegen durch den Raum. Weil aber Hitler doppelt zählt, setzt sich Fridolin durch. So ist das häufig. Er spielt den Klugscheißer, der Aristoteles unterstellt, zu allem einen Aufsatz geschrieben zu haben, sozusagen als Helmut Schmidt der Antike. Aber die Beziehungskonflikte werden nicht mit aller Härte und Boshaftigkeit ausgespielt. Florett statt Säbel ist hier das Motto: Er will “hypothetisch” Kinder kriegen; sie findet, Beckenbodenabsenkungen sollte es nur im Schwimmbad geben. Er erklärt, wie ein Tornado entsteht, und sie gerät dabei so in Wallung, dass sie nur noch musiktherapeutisch beruhigt werden kann. Ach ja, die Musik. “Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie” hat Text und Musik gleich gewichtet. Mit intelligenten Texten und Wiebkes Stimme, die wirklich auf eine Kleinkunstbühne passt, macht es großen Spaß zuzuhören. Das Lied vom Treibhauseffekt kombiniert atemberaubend die Folgen der Klimaerwärmung mit den Auswirkungen des Verliebtseins. Die gesungenen Mitternachtsspaghetti gibt es erst um 8.00 Uhr in der Frühe, weil das verliebte Paar die Zeit vergessen hat, und das Autobahnlied erzählt herrlich dröge, wie es auf Autobahnen eben so zugeht. Akustische Gitarre, Akkordeon und Sequenzer kommen dabei zum Einsatz. Die Dialoge sind immer leicht ironisch gebrochen – allzu ernst nehmen sich die beiden nicht in ihrem Spiel. Auf die Frage nach dem Namen der Hitler-Jugend in der DDR beginnt ein großer Exkurs: Von Marx über Lenin zu Thälmann geht es weiter zu Telemann, Wagner und Chelsea Clinton. Ausgelöst jeweils durch eine kleine Frage, die auf einem Missverständnis, einer Verwechselung oder einem Fehler basiert. Vielleicht hatte auch in dieser Nummer eine Großmutter die Hand im Spiel… Wiebke Eymess sagt später in der Talkrunde: “Wir machen ein Programm, wo sich Comedy und Kabarett Gute Nacht sagen”. Und diesem Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachsein huldigt das Publikum mit langem Applaus. Preisverdächtig!
Über falsch verstandene Hygienevorstellungen ist schon viel geschrieben worden: So sind keimfreie Kaffeetassen für den gesunden Menschen weder nötig noch nützlich. Dass aber auch die übermäßige Anwendung von Bohnerwachs schmerzhafte Folgen haben kann, bekommt Hans von Chelius von der Gruppe Akascht zu spüren, als er beim Auftritt – ausglitt! Flach liegt der Künstler auf der Bühne und rappelt sich dann glücklicherweise ohne Schäden an Körper und Instrument wieder auf. “Zwei Rocker packen ein” ist der Titel von Akaschts Programm. Stefan Erz und Hans von Chelius haben seit langem einen großen Traum: Sie wollen Rockmusiker werden. Mit viel Krach, viel Erfolg und täglich frischen Groupies. Beide träumen schon ziemlich lange – schließlich haben sie die 40 erfolgreich überschritten und ihre Konsequenzen gezogen. Jetzt machen sie es anders, treten nur mit akustischen Gitarren auf und gestalten als Duo ihre eigene Show. Stefan, der nach eigener Aussage gut 70 % des Duos stellt, distanziert sich zunächst schlecht gelaunt vom Programm. Er jammert über die verpassten Chancen und die geldgeleiteten Auftritte mit der Schlagergruppe “Wind”. Hans ist anders drauf, wäre gerne Mexikaner, trägt daher einen Sombrero, hat gute Laune und macht Stimmung. Das ist nicht so einfach, denn das Leben als erfolgloser Rockmusiker verlangt nach vielen Kompromissen: So stammen die Einkünfte überwiegend von Auftritten bei ländlichen Hochzeiten, wo ein ganz spezielles Publikum immer wieder ganz spezielle Musiktitel fordert. Das ist natürlich nichts für zwei Möchtegern-Stars aus München! Stefan jammert herzzerreißend über die geplatzte Karriere und das gelegentlich anstrengende Publikum. Eine handvoll Besucher nimmt sich das zu Herzen und verlässt die Stadthalle vorzeitig. Das war ein Fehler, denn das Programm ist durchaus unterhaltsam. Es gestattet beim Lied “Es ist schon wieder keiner da” einen Blick in enttäuschte Künstlerseelen. Die Rock-Persiflage erreicht ihren Höhepunkt, wenn Stefan “Highway to Hell” singt, während gleichzeitig Hans im Hintergrund auf einem Bein über die Bühne springt. Er hat sich bei seinem Sturz also wirklich nichts getan. Als Instrumente werden auch weiterhin nur die beiden akustischen Gitarren gespielt. Das klingt dann ungewohnt, macht aber immer noch ausreichend Krach. “Akascht” ist der rückwärts geschriebene Motivationsbefehl der 90er Jahre “Tschaka”. Das Programm geht trotzdem nicht nach hinten los, sondern zeigt Musik, die auf das Wesentliche reduziert ist. Auch, wenn der Mitmach-Song “Ich hasse dich” nicht unbedingt nötig gewesen wäre.
Gilles Chevalier © 2010 BonMoT-Berlin Ltd.
http://www.frederic-hormuth.de
http://www.aufderfensterbank.de
http://www.akascht.de
Liveundlustig-Berichte über die Sankt Ingberter Pfanne 2013 / 2012 / 2011
Hat dies auf Die Erste Eslarner Zeitung – Aus und über Eslarn, sowie die bayerisch-tschechische Region! rebloggt.