Ölkrise, Einsamkeitskrise, Medienkrise
Der vierte Gang der St. Ingberter Pfanne
Thilo Seibel, der bereits 2002 die St. Ingberter Pfanne im Duo mit Lüder Wohlenberg gewonnen hat, betritt energiegeladen die Bühne. Nachvollziehbar, heißt sein Programm doch “Hurra, hurra! Das Öl ist aus!” Will er schon mit den ersten Schritten neue alternative Energien aufzeigen? Nein, zunächst distanziert er sich von dem anderen Thilo, dem Sarrazin. Der wollte zwar nur eine Debatte anstoßen, aber dafür müsse man schließlich kein rassistisches Buch schreiben. Auf die saarländische Landespolitik mit ihrer Jamaika-Koalition geht Seibel ausgiebig ein. Dem Publikum gefällt‘s, die landespolitischen Themen sind im diesjährigen Wettbewerb noch nicht so intensiv betrachtet worden.
Angela Merkel kommt bei einem politischen Kabarettisten natürlich nicht ungeschoren davon: Jetzt heisse es durchregieren, egal mit welchen Inhalten! Mehr Zuversicht müsse erreicht werden, z.B. durch das neue Energiekonzept der Bundesregierung – auch, wenn es nur auf dem Weiterbetrieb alter Atomkraftwerke basiert. Ohne nennenswerte Resonanz des Publikums kritisiert der Künstler diesen Ansatz, befindet sich inhaltlich aber erstmals nah an seinem Programmtitel. Zurück zur Kernenergie wolle schliesslich nur, wer nichts mehr zu verlieren habe: Ronald Pofalla, Stefan Mappus, Guido Westerwelle und Rainer Brüderle. Unabhängig vom Energiekonzept: In Asse, dem Forschungsbergwerk zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, sehe es aus, wie in Kundus nach einem Friedenseinsatz der Bundeswehr. Für ein deutsches Atommüllager erwartet Seibel ordentlich aufgestellte Fässer, die möglichst alphabetisch sortiert sein sollten. Er kommt nun endlich zum Thema Öl. Denn daraus mache man nicht nur Kraftstoffe, sondern auch Medikamente, Dünger oder Farben. Schon entfernt er sich von seinem Hauptthema wieder und erzählt über Umweltzonen und was er sonst noch für unsinnig hält.
Der Künstler hat sich ein Thema mit vielen Möglichkeiten ausgesucht: Wie werden wir in Zukunft leben und uns fortbewegen? Das bietet Raum für phantasievolle Beschreibungen. Stattdessen wiederholt Seibel Thesen, die jedem kritischen Zeitungsleser bekannt sind. Er traut sich nicht, auf der Bühne Zukunftsszenarien zu entwerfen. Seine Parodien und Einschätzungen sind gut – nur haben sie zu selten mit dem Ende des Ölzeitalters zu tun.
In ihrem Programm “Nacht Schatten Gewächse” lässt sich Stefanie Kerker von Jochen Neuffer am Flügel begleiten. Der Rücken ist das Erste, was das Publikum von der Künstlerin mit dunklem, hochsteckten Haar zu sehen bekommt. Von zwei Seen ist die Rede, die sie im Traum gesehen haben will. Schnell wird klar: Die Seen sind die blauen Augen eines Mannes, der sie glücklich machen wird und dem sie in der Bäckerei begegnen wird. Davon ist sie überzeugt, weil sie die Geschichte zwischen Weihnachten und Dreikönig geträumt hat. Genauer gesagt, in der achten Nacht: Die Begegnung muss also im August stattfinden. Auf der Bühne beginnt dieser Monat jetzt. Kerker entsorgt ihren Toaster und geht mehrmals täglich in die Bäckerei, immer auf der Suche nach dem Traummann. Dabei unternimmt sie sehr geschickt ein paar Abstecher von der eigentlichen Handlung. Wenn sie beispielsweise an einem Abend in der Stadt an der Bushaltestelle wartet und eine Mutter mit zwei Kindern, einer großen Sektflasche und einem überdimensionalen Teddybären sieht. Daraus entwickelt sie das wunderbar poetische Lied einer selbstlos liebenden Frau, die über die Liebschaft ihres Mannes hinwegsieht und mit ihm und den Kindern eine gemeinsame Zukunft ersehnt.
Zu so später Stunde fährt auch für Kerker kein Bus mehr, und sie muss nach Hause laufen. Dabei bemerkt sie einen Verfolger, den sie stellt und zu Boden schlägt – ausgerechnet vor der Bäckerei bekommt der Mann ein Veilchen von ihr. Zum Traummann wird der Kerl aber nicht – schliesslich hat er nur ein blaues Auge! Enttäuscht gibt die Künstlerin auf und schafft sich, der August ist inzwischen zu Ende, einen neuen Toaster an, um nicht ständig beim Bäcker einkaufen zu müssen – und trifft vor der Bäckerei den Bäcker. Der ist ihr Traummann. Und sie dachte immer, es müsse einer der Kunden sein…
Stefanie Kerker erzählt in ihrem Programm sehr dicht und sehr stark am roten Faden entlang. Ihr gelingt der Spagat zwischen laut und leise, zwischen lustig und traurig. Sie verzichtet auf übertriebene Darstellungen und betreibt Kleinkunst in schönster Form aus eigener Kraft: mit eigenen Texten, ohne Mitmachnummer für das Publikum und mit einer Geschichte, bei der anscheinend von selbst eins zum anderen kommt. Begeisterter Applaus geleitet sie von der Bühne. Preisverdächtig!
Ein Tisch, zwei Stühle, ein Picknickkorb, ein Kochtopf und zwei Weingläser. Das sind die Requisiten für “Das Parkbankduo” und Ausschnitte ihres Programms “Bauer kocht Frau”. Wer jetzt eine bösartige Mediensatire erwartet, liegt falsch. Medienkritik trifft es eher. Michael Tumbrinck und Michael “Stani” Greifenberg sind alte Hasen auf der Bühne. Die beiden Westfalen wirken regelmäßig im alternativen Karneval mit.
Stani, als Bauer in grober Cordhose und Hosenträgern, sucht eine Frau. Deshalb hat er ein Bewerbungsvideo an eine Fernsehshow geschickt. Tumbrinck, als Koch, rät ihm zu einem lässigeren Umgang vor der Kamera. Dabei entwickelt sich die Show zur Medienkritik. Die beiden machen sich Gedanken über die Realitätsnähe oder Realitätsferne von Kochshows. Wie kann es funktionieren, wenn fünf Köche gleichzeitig fünf verschiedene Gänge vorbereiten, die gleichzeitig fertig werden? Da ist das Eis geschmolzen, wenn man mit der Suppe gerade fertig ist.
Und auch hier geht der junge Koch fünfmal am Tag zum Bäcker, um bei seiner Brötchenfee jeweils eine einzelne Backware zu erstehen. Die Parallele zu Stefanie Kerkers Programm ist mit Sicherheit zufällig, aber sie zeigt auch die Ausweglosigkeit der beiden Charaktere auf der Bühne. Die mangelnde Qualität vieler Fernsehshows ist allgemein bekannt – und manchmal fehlt dem Zuschauer von “Bauer kocht Frau” nur das berühmte “Palim-Palim”, um sich selbst in einer qualitativ fragwürdigen Fernsehshow wiederzufinden! Das Bühnenwerk kommt nur deshalb zum guten Ende, weil der Koch seiner Brötchenfee endlich ein paar Blumen mitbringen soll. Bauer Breitlauch schneidet den Porree also etwas auf, steckt eine Peperoni in die Mitte und übergibt diesen Blumenstrauß vom eigenen Feld dem verliebten Koch.
Stani und Tumbrinck sind später in der Talkrunde überrascht, mit dem Begriff “Volkstheater” konfrontiert zu werden. Aber das ist es im besten Sinne: Regionale Charaktere und Eigenschaften werden liebenswert auf die Bühne gebracht. Zur Freude, aber nicht zur Begeisterung des Publikums in St. Ingbert.
Gilles Chevalier © 2010 BonMoT-Berlin Ltd.
http://www.thiloseibel.de
http://www.stefanie-kerker.de
http://www.parkbankduo.de
Liveundlustig-Berichte über die Sankt Ingberter Pfanne 2013 / 2012 / 2011