7. Politischer Aschermittwoch in Berlin
von Beate Moeller
BERLIN – Politische Aschermittwochsreden sollen das vergangene Jahr – im Karnevalszyklus gerechnet, versteht sich – durch den Kakao ziehen. Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating hat diese Tradition, die aus den katholischen Regionen kommt, ins protestantische Berlin geholt. Die Arena in Treptow war knüppeldicke gefüllt. Die Gästeliste imposant. So viel vorweg.
Und auch das noch im voraus: Das absolute Highlight des Abends war der Auftritt von Dieter Hildebrandt. Sorry, liebes Mittelalter.

Urban Priol eröffnet mit fränkischem Abwatschn. Guttenberg kriegt selbstverständlich sein Fett ab, der ja auch gerade den Aachener Orden wider den tierischen Ernst erhalten hat. Bisher haben den nur Männer erhalten, sagt er. Deswegen habe er jetzt eine Eingabe gemacht, „dass sie nächstes Jahr mal ne Frau nehmen.“ Tosendes Gelächter. Die Pleiten des Jahres und die staatlichen Rettungsversuche. Quelle hat noch eine Finanzspritze von 50 Millionen Euro bekommen, um damit einen Katalog zu drucken, aus dem sich niemand mehr was bestellen konnte. Immerhin: „Die Rentner hatten über den Winter was zum Blättern.“
Matthias Tretter, Franke und ein Drittel des Ersten Deutschen Zwangsensembles, konjugiert aktuelle Themen durch: Islam, Atomkraftwerke (noch vor Fukushima!), Umweltbelastung und Billigfleisch. Und wie jedes Jahr beim Politischen Aschermittwoch gibt es einen, der mit politischem Kabarett so gar nichts am Hut hat. 2011 war’s Spider, Andreas Krenzke. Mit seinen beiden Geschichten über die Ferien auf Usedom und das sich unter verschiedenen Umständen nur leicht variierende Chaos in der Wohnung – eine feine mathematische Etüde auf sprachlicher Ebene mit neuen Unbekannten – ist der Vorleser in der riesigen Arena eher verloren gegangen.
Anschließend Wenzel mit einer Parodie auf das Schlaflied ‚Der Mond ist aufgegangen‘. Schöner Text über die Bankenkrise „Der Dax ist down gegangen und alle kranken Banken …“ Einziger Haken an der Sache: Jeder der Anwesenden ist mit dieser Melodie schon wenigstens einmal in den Schlaf gesungen worden. Sowas sitzt tief drin und wirkt lange nach.
Bei Dieter Hildebrandt werden alle Kinder wieder wach. Juchhuh, der Opa erzählt uns ne richtige Geschichte! Ne lustige! Super. Mit seinem Auftritt am Ende des ersten Teils holt er die Stimmung aus dem Keller und rettet sie über die Pause hinweg. Er weiß eben einfach, wie Kabarett funktioniert. Dabei wirkt das alles, als würde es ihm im Moment just einfallen. Dieter Hildebrandt spielt auf dem Niveau, auf dem sich jede Beurteilung erübrigt. Mit Süffisanz und Empörung assoziiert er sich von Guttenberg – „Ich habe kämpfen gelernt, aber jetzt sind meine Kräfte zu Ende. Selbst der Satz war nicht von ihm. Der ist von Captain Kirk!“ – über Ursula von der Leyen mit dem „aasigen Lächeln“ bis zu Kachelmann „Hat der nun die Alice Schwarzer vergewaltigt oder nicht? Oder war es umgekehrt?“, um dann festzustellen: „Der Modergeruch, der durch dieses Land zieht, kommt von der Leiche des Kabaretts!“ – wie sonst könnte eine Cindy aus Marzahn „mit den Überresten ihres Denkvermögens 7.000 Leute anziehen?“

Die größte Verblödungsgefahr drohe hierzulande jedoch vonseiten der hoch entwickelten „Glücksindustrie“, deren Auswüchse für Senioren wie ihn in „betreutem Denken“ mit Heidi Klum enden. „Optimismus ist, wenn ein Fünfundneunzigjähriger zur Vorsorgeuntersuchung geht.“ Der Altmeister der Satire widmet sich ausführlich dem Trend des Sorgloslebens, erzählt uns die Theorien von Christoph Emmelmann, dem Erfinder der Lachtherapie, die an Absurdität kaum zu übertreffen sind. Probleme einfach weglachen, empfiehlt der, und Hildebrandt hat sein Buch nicht nur gründlich studiert, sondern auch alle Turnübungen trainiert. Seinem großartigen Auftritt setzt er mit einem Rentnerrap, zu dem er mit der Gehhilfe den Takt klopft, die Krone auf. Kommentar eines echten Hiphoppers: „Der darf das!“
Der Politische Aschermittwoch auf Hochtouren – ein einziger Höhenflug des Kabaretts. Bestsellerfresser Wolfgang Nitschke aus Köln verreißt gekonnt Nina Hagens Autobiographie, gespickt mit Zitaten aus dem Buch, in denen sie sich schier endlos wiederholt in den Bekenntnissen zu ihrer übergroßen Liebe zu Gott. Nitschkes Fazit: „Nie hätte ich gedacht, daß mir die Liebe mal so auf den Sack gehen würde!“
Matthias Tretters Auftritt im zweiten Teil wesentlich stärker. Seine Parodie auf Merkels Neujahrsansprache: „Wir müssen jetzt innehalten und nachdenken, wie wir Verantwortung übernehmen, den Klimaschutz bekämpfen, auf eine saubere Umwelt und eine sichere Rente verzichten.“ – Grandios!
„Merkel, wir wissen, wo dein Flugzeug steht“, nimmt Urban Priol ab und führt den Abend zum grande Finale. Der große Rundumschlag Stuttgart 21, die Wutbürgerdebatte, die Gefälligkeiten der Industrie – wird alles rhetorisch exzellent vernichtet. „Jesus hat die Wucherer aus dem Tempel gejagt. Was macht eine christlich geführte Regierung?“ – Hurks.
Gastgeber Arnulf Rating hat mit Nonchalance bissige Akzente gesetzt ohne seinen Gästen die Show zu stehlen. Und wie jedes Jahr hat die schräge Blaskapelle IG Blech – „mit der Lizenz zum Tröten“ – für die angemessen schrille musikalische Begleitung gesorgt. Wir freuen uns schon auf 2012!
Beate Moeller © 2011 BonMoT-Berlin Ltd.
nächster Termin:
Aschermittwoch, 22. Februar 2012: Berlin, Arena
zuvor erscheint der Live-Mitschnitt auf CD bei www.conanima.de
9 Gedanken zu “Tacheles in der Arena – Politischer Aschermittwoch 2011 – Kritik”