Chin Meyer, Stefan Waghubinger und das Duett Complett
SANKT INGBERT (gc) – Philipp Scharri freut sich. Wird doch der „westlichste Kleinkunstpreis Deutschlands“ von ihm moderiert. Und zwar sehr ordentlich: Scharri missbraucht seine Position nicht zur eitlen Selbstdarstellung. Der Vorjahrespreisträger stimmt das Publikum auf angenehme Weise auf den Abend ein. Gelockt und locker geleitet Scharri zum ersten Künstler, den er, wie alle anderen auch, in Reimen vorstellt.
Chin Meyer tritt in seinem Programm „Der Jubel rollt“ als grauer Mann im grauen Anzug auf die Bühne. Seine Figur heißt Siegmund von Treiber und arbeitet bei der Steuerfahndung. Treiber räumt mit Vorurteilen gegenüber Finanzbeamten auf und liest aus seinem Tagebuch: „In Zimmer 437 hat man drei Beamte gefunden, die niemand mehr kannte. Sie hatten dort ganz ruhig auf ihre Beförderung gewartet…“
So kann es natürlich nicht weitergehen! Und deshalb wird im Handumdrehen aus dem verklemmten Beamten ein gewinnender Marketing-Fritze. Chin Meyer wird zu Jack, dem Imageberater. In bestem Marketing-Chinesisch will er dem Finanzamt zu neuem Ansehen verhelfen. Er hat tolle Ideen erarbeitet, will aus dem „Finanzamt“ die „Cash Agency“ und aus der „Steuererklärung“ das „Science Fiction Document“ machen. Chin Meyer gibt den Zuschauern die Möglichkeit, sich wiederzuerkennen. Dabei übertreibt er im genau richtigen Maß.
Befreiendes und erhellendes Lachen gibt es auch bei Meyers Parforceritt durch das Politische. Hier braucht es viel Aufmerksamkeit, wenn er etwa fragt, wieviel Menschen in Deutschland durch islamistischen Terror ums Leben gekommen sind. Da ihm keine Toten bekannt sind, schlägt er den Terroristen eine andere Vorgehensweise vor: Statt im Keller heimlich Bomben zu bauen, sollten sie lieber in den ADAC eintreten und für freie Fahrt mit dem Auto demonstrieren – schließlich gebe es jährlich über 3500 Verkehrstote in Deutschland!
Am Ende kann er sogar die vorletzte Finanzkrise mit einem griffigen Beispiel erklären. Sie wissen doch, als damals unüberschaubare Immobilien-Finanzierungs-Papier-Kombinationen alles ins Schleudern brachten! Chin Meyer erklärt das Phänomen am Beispiel eines Wirts, der seinen arbeitslosen Gästen die Zeche für’s Bier anschreibt. Der Umsatz des Wirts steigt dadurch auf dem Papier, die Banken werden aufmerksam, bündeln die Papiere, sortieren sie neu, steigen groß ein, alles läuft immer besser, bis – ein kleiner Sparkassendirektor einen Arbeitslosen auffordert, seinen Deckel zu bezahlen. Jetzt bricht alles zusammen! Begeisterter Applaus für diese anspruchsvolle, mitreißende und gewinnbringende Unterhaltung.
Stefan Waghubinger ist da aus ganz anderem Holz. „Langsam werd ich ungemütlich“ heißt sein Programm, und genauso langsam und verloren schlurft er auf die Bühne, um den Schüchternen zu mimen. Er hat Probleme mit seiner Frau, weil er ihren Geburtstag vergessen hat. Und wo er grade dabei ist, erzählt er auch von allem Anderen, das ihn plagt: Von der Kindheit in armen Verhältnissen, wo er „das Fahrradfahren zu Fuß lernen musste“ und von den hohen Kosten des Wasserlassens auf deutschen Autobahnraststätten.
Ganz ruhig nimmt er den Zuschauer in seine Welt mit, in der nahezu alles schiefgeht, was schiefgehen kann. „Vater sein ist nicht einfach, gerade als Mann“, bekennt er und schildert die Schwierigkeiten im Umgang mit seinem Sohn. Waghubinger gibt den in jeder Beziehung gescheiterten Softie, der „beim Einschlafen seine Minderwertigkeitskomplexe zählt“.
Manchmal liegt sein Schwerpunkt dabei zu stark unter der Gürtellinie. Etwa, wenn er farbig die Mülltrennung bei Damenbinden beschreibt oder gar nicht kurz von der Unzufriedenheit mit seiner Penislänge berichtet.
Geschmackvoller sind da seine Gedanken zur Religion. Der evangelische Theologe Waghubinger stellt in aller Ruhe fest: „Wenn Adam und Eva in China gewesen wären, hätten sie den Apfel nicht gegessen. Sie hätten die Schlange gefuttert!“ Ein ruhiger Wettbewerbsbeitrag, auf den man sich einlassen muss. Nicht einfach, nach dem quirligen ersten Beitrag wieder zur Ruhe zu kommen.
Schwungvoll geht es mit dem „Duett Complett“ weiter. Simon Flamm und Thomas Schaeffert haben eine Zirkus-Vergangenheit und moderieren ihr Programm „Musik fliegt in der Luft“ auf Spanisch – oder in etwas, was nach Spanisch klingt. Vor ihren Jonglagen ist nichts sicher: Hüte, Keulen, Gitarren, Ukulelen und ein kleiner Fußball wirbeln durch die Luft. Während sie musizieren, werfen sie sich ihre Instrumente zu, ohne dabei das Spiel zu unterbrechen.
Selbst wenn einer dem anderen auf die Schulter steigt, geht es musikalisch ununterbrochen weiter! In der Kegeljonglage vereinen sich Humor und eine gute Choreographie mit hoher Perfektion und Körperbeherrschung. Den Höhepunkt erreicht das Duett Complett, wenn die Artisten gemeinsam sechs Ukulelen jonglierend in der Luft halten und dabei „Asturias“ von Isaac Albéniz spielen. Sie mischen Artistik mit Slapstik und haben auch Spaß an Kostümen, wenn beim Kopfstand der Flamencotänzerin unter dem langen Rock urplötzlich ein Monster zum Vorschein kommt. Beschwingt und farbenfroh klingt so der erste Wettbewerbsabend aus.
Gilles Chevalier © 2011 BonMot-Berlin Ltd.
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Sonntag, 4.9.2011: Zweiter Wettbewerbstag
Dienstag, 6.9.2011: Dritter Wettbewerbstag
Mittwoch, 7.9.2011: Vierter Wettbewerbstag
Freitag, 9.9.2011: Preisverleihung und Abschlussparty
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