Zweiter Wettbewerbstag in Sankt Ingbert 2011 – Kritik

Margie Kinsky, die Liederfee und der Powerdienstleister Waldemar Müller

Plakat St. Ingbert 2011 (www.sanktingbert.de)SANKT INGBERT (gc) – Margie „Kinsky legt los“ und gibt alles zu. Ja, sie komme vom Improvisations-Theater „Springmaus“ in Bonn; ja, sie habe sechs Söhne von einem einzigen Mann; ja, sie sei jetzt 53 Jahre alt. Mit schriller Stimme und rheinischem Zungenschlag nimmt sie die Zuschauer mit ihrer atemlosen Vortragsweise für sich ein. Sie erzählt Geschichten aus dem Alltag der Multi-Mutti.

Wie sie manchmal morgens auf die Schönheit der 18-jährigen Freundin eines Sohnes neidisch ist. „Ich sehe morgens um viertel vor sieben nicht gut aus, denn ich habe die ganze Nacht auf meinem Körper gelegen. Aber sie hat das schließlich auch!“ Zum Ausgleich wettert Margie Kinsky dann über Arschgeweih und String Tangas. Interessant ihre Fähigkeit, am Schnarchen den genossenen Alkohol erkennen zu können: Nach Rotweingenuss wird schnarchend mehrfach nachgeschmeckt, nach Weißweingenuss wird hektisch schmatzend überprüft und nach Schnapsgenuss entstehen lange Pausen zwischen den einzelnen Atemzügen. Sehr schön!

„Wechseljahre und Pubertät gehen gar nicht zusammen,“ sagt Kinsky und muss doch beides zusammen meistern. Eigene Hitzewallungen und rebellische Anwandlungen eines ihrer Söhne. Margie Kinsky - Foto © PR St. IngbertZeitweise stellt sie eine sehr frauenspezifische Sicht dar, die sich nicht jedermann erschließt. Sie ärgert sich über die im Laufe der Jahre immer komplizierter gewordenen Sankt Martins-Laternen: Wo früher zwei Käseschachteln und etwas Papier reichten, muss heute ein Fachwerkhaus als Laterne gebastelt werden.

Ein besonderer Dorn im Auge der Margie Kinsky ist dabei Almuth. So nennt sie die Übermutter, die ihr in vielen Situationen zwischen Geburt und Abitur der Kinder immer wieder begegnet. Almuth sind mehrere, aber sie können es immer besser, egal ob Stillen, Kuchenbacken oder Laternebasteln. Sie treiben Margie Kinsky in den Wahnsinn und zum Arzt, der sie aber nur in ihrem Tun bestätigt: „Verändern Sie sich nicht, denn Sie haben die schönste Form: Sie sind rund.“ So kommt Kinsky um die Nebenwirkungen von Sport oder Tabletten herum. Genau wie ihr Programm. Es ist leicht bekömmliche gute Laune. Spätfolgen oder nachträgliches Nachdenken ausgeschlossen.

Die Liederfee ist ein kleines Persönchen, bei dem eine akustische Gitarre schon überdimensioniert wirkt. Ihre Sicht auf die Welt ist „Fee-minin“. Die junge Felicitas Badenius, die sich hinter dem Pseudonym verbirgt, singt mit einem Lachen in der Stimme ein Liebeslied – über Witten an der Ruhr, eine spröde und wenig einladend wirkende Stadt, die ihr doch seit sechs Jahren Heimat ist.

Liederfee (Foto: PR St.Ingbert)Liebeslieder sind die Stärke dieser Sängerin, wobei es nicht unbedingt die Liebe zu einem Menschen sein muss. Sie kann auch die Probleme des Zusammenlebens mit ihrem Kater schildern oder Parallelen zwischen einem defekten Mofa und einer klemmenden Beziehung entdecken: Beides laufe untertourig und unrund, die Liederfee wolle keinesfalls die Unterlegscheibe sein und erwarte endlich einen Simmering! Der „Gemüsemann“ hingegen hat Tomaten auf den Augen, weil er ihre Schönheit nicht erkennen kann und Bohnen in den Ohren, weil er ihre Musik nicht mag. „Ich bin keine gute Freundin“, bekennt sie, denn Schminke, Jungs und Pop-Musik seien nicht ihr Ding. Vielmehr sei sie ein „Schmetterling“, aber noch in Arbeit. Es dauert noch, bis sie sagen kann: „Bin die Größte, bin die Tollste, bin `ne flotte Motte!“ Oh, leider schiefgegangen! Genauso wie die eine Partnerschaft.

Nach langer Zeit trifft sie den Ex-Freund wieder und fragt sich: „Was hab` ich nur geliebt an Deinem Gesicht? Ich weiß nur noch, ich liebte ein ‚Es war einmal‘“. Traurig und nachdenklich können die Liederfee-Lieder auch sein, zum Beispiel „Ich hab Dich in meinem Herzen“. Was, fragt die Sängerin, heißt denn das? Ihre Antwort: „Du bist die Mündung zur Entzündung. Du bist mein Herzfehler.“ Um all die anderen medizinischen Fachbegriffe verstehen zu können, wäre ein Gespräch mit dem Theaterarzt unbedingt nötig gewesen … Es sind die Texte, die überzeugen. Sie sind überraschend und machen Spaß. Der Überraschungsfaktor im musikalischen Teil der Darbietung ist dagegen sehr eingeschränkt. Das Publikum störte sich daran nicht und reagierte mit begeistertem Applaus.

Deutschland ist eine Service-Wüste. Das meint Waldemar Müller und will mit seinem Programm „Der Powerdienstleister – Service ist sexy“ dagegen angehen. Einerseits hat er ein paar kleine Videos mit seinen Serviceaktionen mitgebracht, andererseits hat er ein kleines Büro auf der Bühne aufgebaut. In den Videos zeigt er, wie er einem Fremden zum gelungenen Einparken seines Minis (!!!) gratuliert, ihm dann seine Mütze zum Aufwärmen anbietet und schließlich sogar vorschlägt, zwei Stunden lang im Fahrzeug auf die Rückkehr des Autofahrers zu warten. Aha. Oder er stellt einen Sessel auf den Mittelstreifen einer viel befahrenen Straße und liest den an der Ampel wartenden Autofahrern aus einem Buch vor. Soso. Oder er umarmt einen fremden Fußgänger eine Minute lang und bietet ihm so Körperkontakt. Hm.

Waldemar Müller - Foto © PR St. IngbertWenn man in einer Großstadt von einem Fremden unaufgefordert umarmt wird, ist man entweder an einen Taschendieb oder einen psychisch Gestörten geraten. Nun ist Waldemar Müller ganz sicher eine ehrliche Haut, aber sein Treiben bleibt unverständlich. Viele der Beglückten in den Videos nehmen an, für die nette Geste bezahlen zu müssen. Das wird aber nicht verlangt. Und genau da beginnt die Unklarheit. Für jede Dienstleistung wird in unserer Gesellschaft ein Entgelt erwartet: Für das Scheibenreinigen an der Ampel, für das Koffertragen im Hotel und eigentlich sollte man für fehlgeschlagene Unterhaltungsversuche auf der Bühne auch eine Sitzfleisch-Entschädigungs-Pauschale einführen. Wer etwas Gutes tut, ohne dafür etwas zu verlangen oder zu erwarten, macht sich verdächtig! Und Waldemar Müller ist sehr verdächtig.

In seinem Büro zeigt Waldemar Müller dagegen eine Art Motivationsseminar. Wer Komplimente macht, hebt die Stimmung. Wer sich sagt „Ich bin der Größte“, wird auch der Größte werden. Das in etwa sind seine Thesen. Leider saßen im Saal zu wenig Mitarbeiter von Deutscher Bahn, Deutscher Telekom oder städtischen Verwaltungen, so dass diese Hinweise von der Bühne wirkungslos verpufften. Das motivierende Element dieser Show sprang nicht über. Im Gegenteil. Als Müller die erste Seite aus Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ vorliest, gehen auch die ersten Zuschauer auf die Suche – und zwar nach dem Service im Ratskeller! Müller, der eigentlich Armin Nagel heißt, stellt dann den Arbeitsalltag im Finanzamt dar. Das ist aber auch nicht ganz schlüssig, denn in der eingespielten Telefonwarteschleife ist von „Kunden“ und „kompetenten Kundenberatern“ die Rede.

Interessant wird es wieder bei den artistischen Elementen, wenn Müller im Büro mit Kugeln jongliert oder die Aktion „Fit durch Bürobic“ zeigt. Hier treibt er Sport mit Büroutensilien, springt Seil mit der Telefonschnur, stemmt den Schreibtisch in die Höhe und dreht wahrhaftig auf seinem Bürostuhl durch. Schließlich stellt er noch einen Weltrekord auf und vollzieht 25 Dienstleistungen in 60 Sekunden. Schuheputzen, Zeitung bringen und Massage inklusive. „Er mixt den Drink für Sie, er trinkt ihn für Sie, er übergibt sich für Sie!“ Perfekt wäre gewesen, wenn er auch noch für das Publikum gelacht hätte! Das hatte nämlich nur höflichen Applaus von denen zu bieten, die noch im Saal waren.

Gilles Chevalier © 2011 BonMot-Berlin Ltd.

 
nächste Termine bei der 27. Woche der Kleinkunst in Sankt Ingbert:

Dienstag, 6.9.2011: Dritter Wettbewerbstag
Mittwoch, 7.9.2011: Vierter Wettbewerbstag
Freitag, 9.9.2011: Preisverleihung der Sankt Ingberter Pfannen und Abschlussparty

www.sanktingbert.de

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7 Gedanken zu “Zweiter Wettbewerbstag in Sankt Ingbert 2011 – Kritik

  1. Waldemar Müller der Powerdienstleister 23. September 2011 / 13:33

    Sehr geehrter Herr Chevalier

    Herzlichen Dank für Ihre Kritik die ich durchaus anregend fand. An einer Stelle möchte ich Sie jedoch gerne korrigieren.
    Sie schreiben: „Als Müller die erste Seite aus Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ vorliest, gehen auch die ersten Zuschauer auf die Suche – und zwar nach dem Service im Ratskeller!“ was übersetzt so viel heißt wie : “ Booaa Die Show war dermaßen langweilig, dass einige Zuschauer an dieser Stelle sogar rausgingen.“
    Was Sie bewusst oder unbewusst unterschlagen ist die Tatsache, dass ich an genau dieser Stelle des Programms die Zuschauer direkt auffordere und inständig darum bitte, den Saal zu verlassen – ich es also darauf anlege, mit einem langweiligen, ellenlangen Satz aus Marcel Prousts Roman den Zuschauerraum „leerzulesen“.
    Man könnte ihre Verdrehung der Tatsachen an diesem Punkt der Kritik „bösartig“ nennen, als studierter Kulturwissenschaftler habe ich aber natürlich auch schon etwas von journalistischer „Zuspitzung“ gehört – so passt es natürlich viel besser in den Fluss Ihres Textes und der „Service im Ratskeller“ ist ja auch wirklich eine wunderbare Pointe, die Sie da setzen können… 🙂
    Deshalb sage ich einfach mal „Schwamm drüber“ und viele Grüße nach Berlin

    Herzlichst Ihr Waldemar Müller

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