Henning Schmidtke, Bernd Regenauer und das Duo luna-tic
SANKT INGBERT (gc) – Henning Schmidtke bekennt, gegen Gewalt zu sein. Das soll sich auch in seinen Liedern zeigen und so heißt sein Programm „No Wumme, no Cry“. Aber völlig ohne Gewalt geht es nicht, kommt sie doch selbst in Kinderliedern vor und wird gar nicht mehr bemerkt: „Ein Mops kam in die Küche“, stahl ein Ei und wurde deshalb vom Koch erschlagen. So etwas kann Kinderseelen prägen. Vielleicht sogar stärker, als die verbalen Exzesse in manchem Hip-Hop-Song. Da ist die Gewalt nur deutlicher und ordinärer formuliert und somit auffälliger.
Schmidtke überlegt, wer der wirkliche Leistungsträger ist: die Altenpflegerin oder der Bankdirektor? Er kreidet es Unternehmen an, immer mehr Dienstleistungen durch den Kunden erledigen zu lassen: Manches Möbelhaus verkaufe keine Möbel, sondern Bretter und Schrauben zum Zusammenbauen. Seine Gedankengänge sind klar und gut strukturiert.
Man mag Henning Schmidtke gerne zuhören. Auch bei seiner Musik. Er singt am Flügel neue Texte auf Popmusikmelodien: So erhält Bruce Springsteens „Born in the U.S.A.“ einen neuen Text, der die Angst vor dem Zahnarztbesuch behandelt, denn der Doktor wird „Bohr´n, und dann tut es weh!“ Auch eigene Kompositionen trägt er vor, etwa das Lied über die Karriereleiter, in dem es sehr schwarzhumorig zugeht. Es ist ein abwechslungsreicher Wettbewerbsbeitrag, denn Schenkelklopfer und nachdenkliche Momente weiß Schmidtke gleichermaßen zu erzeugen.
Bernd Regenauer kommt aus Franken und leidet unter der bayerischen Fremdherrschaft, sagt er mit deutlich ungewohntem Zungenschlag. In seinem Programm „Alles eine Frage der Antwort“ nimmt er die Gegenwart aufs Korn und teilt kräftig aus, zum Beispiel gegen den Online-Wahn und die exklusiven Veranstaltungen der Bussi-Bussi-Gesellschaft. Alles Dinge, die er nicht braucht.
Er beschränkt sich auf das Wesentliche im Leben, auf die Kommunikation von Mensch zu Mensch. Dabei ist die Körpersprache sehr wichtig, die er zu lesen weiß. So kann er die „Kanzlerin in ihrem ausgemerkelten Körper“ analysieren. Weil ihm alles zu viel wird, macht er einen Ausflug in die Oberpfalz. Das ist ein Landstrich, der selbst von Franken betrachtet noch eine Ewigkeit entfernt zu sein scheint. Dort geht es den Leuten „nicht um den Profit, sondern nur um den Gewinn.“ Sie meinen, besser als die Städter zu sein. In Wirklichkeit sind sie aber mit denselben charakterlichen Fehlern behaftet.
Regenauer erzählt ruhig und lädt die Zuschauer zum Ausflug in seine Welt ein. Etwa, wenn er auf eine Investorengruppe trifft, die auf der grünen Wiese eine Erholungs- und Einkaufzentrum bauen will. Ganz klein macht er sich dann, erzählt er, um sich das Modell des Bauvorhabens im Maßstab 1:20 von innen besehen zu können. Aber leider trifft er in dieser Modellwelt dieselben Probleme wie im wirklichen Leben.
Atemberaubend ist, wie Regenauer von Thema zu Thema kommt, wie er Traum und Wirklichkeit mischt und zwischen eigener Erzählung und der Darstellung prägnanter Figuren hin und her pendelt. Denn die alltäglichen Konflikte um moderne Elektronik im Auto, nervende Beifahrerrinnen und Beziehungsprobleme kommen auch vor. Hier baut der Künstler Verschnaufpausen ein, damit man dieser Stunde lebensphilosophischer Betrachtung weiter aufmerksam folgen kann. Für diesen wahrhaften Kleinkunstbeitrag erhält er einen sehr warmen Applaus.
Stéfanie Lang und Judith Bach aus der Schweiz bilden das Duo luna-tic. In ihrem Programm „Obladiblada“ sind sie Olli und Claire. Für Claire, eine Berliner Schnauze, soll ein Mann gefunden werden. Das ist anfangs nicht nur für die charmante Französin Olli ein hartes Brot, sondern auch für den Zuschauer. Ziemlich zäh läuft die Sache an und man fragt sich, wozu eigentlich der Flügel auf die Bühne gerollt wurde.
Aber dann erklingt „Wochenend und Sonnenschein“ in ganz neuen Versionen, á la Rammstein, Mozart oder Gospel. Ein Couplet von Otto Reutter wird angestimmt – und man sieht das Duo luna-tic mit anderen Augen. Beide Künstlerinnen singen abwechselnd und spielen am Flügel: Klassische französische Chanson-Literatur, deutsche Gassenhauer und auch „I will survive“. Die ursprüngliche Geschichte geht zwar weiter, wird aber immer weniger interessant, denn das Publikum lauert nur noch auf die Gesangsnummern mit den beiden angenehmen Stimmen. Einmal legen sie in einem Stück den Weg vom Couplet zum Hip-Hop zurück.
Wenn sie nicht singen, wirbeln sie über die Bühne: Am Ende drehen sie den Flügel so, dass die Pianistin mit dem Rücken zum Publikum sitzt. Dann wird auf dem Instrument gespielt – aber von beiden, nacheinander, gleichzeitig, immer in Bewegung, rund um die Tasten hechelnd, akrobatisch und mitreißend. Eine gelungene Wandlung im letzten Wettbewerbsbeitrag, der mit begeistertem Applaus gefeiert wird.
Am Donnerstag ist Pause. In der Zwischenzeit wird die Publikumsabstimmung ausgewertet, und die Jury ermittelt ihre beiden Gewinner. Am Freitag bei der Preisverleihung werden wir erfahren, wer von den zwölf Kandidaten die glücklichen sind, die diese praktischen, beziehungsfreundlichen und vielseitig einsetzbaren Werkzeuge demnächst bei sich zu Hause verwenden können.
Gilles Chevalier © 2011 BonMoT-Berlin Ltd.
nächster Termin bei der 27. Woche der Kleinkunst in Sankt Ingbert:
Freitag, 9.9.2011: Preisverleihung der Sankt Ingberter Pfannen und Abschlussparty
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