Ach du Schreck: Eine komische Frau
von Marianne Kolarik
KÖLN – Ihr bisheriges Leben hat mit dem des berüchtigten Freiherrn von Münchhausen eines gemeinsam: Christine Prayon musste sich selbst mehrfach am eigenen Schopf aus dem Schlamassel herausziehen. Zum ersten Mal im Jahr 2004, als ihr das Engagement am Theater in Baden-Baden gekündigt wurde. Die Einladungen zum Vorsprechen an anderen Bühnen waren so rar wie Lottogewinne. „Ich bin darüber verzweifelt, dass ich so selten die Chance bekam, mich beweisen zu dürfen“, erinnert sich die Förderpreisträgerin 2012 des Deutschen Kleinkunstpreises.
Anfang 30 war die in Bonn geborene Schauspielerin, als sie an eben jenem Nullpunkt angekommen war. „Eine fürchterliche Vorstellung, den Rest des Lebens zwei Jahre in Detmold, drei in Koblenz oder vier in Wiesbaden verbringen zu müssen“, meint sie im Hinblick auf den üblichen Berufsweg. Erschreckend, weil man kontinuierlich der Fremdbestimmung des Marktes ausgeliefert sei. Dabei hätte sie sehr gerne Theater gespielt. „Ich habe die Zeit in Baden-Baden sehr genossen“. Nach einem Jahr, in dem sie arbeitslos war, packte sie zusammen mit der Kollegin Eva Eiselt den Entschluss, ein eigenes Stück zu machen.
Zu verlieren hatten sie schließlich nichts. Und schon gar nicht den Wunsch oder das Ziel, als Kabarettistinnen zu reüssieren. „Wir wollten was Komisches machen, weil es das im Theater viel zu selten gibt“. Schon gar keine komischen Frauen. Aus diesem Gedanken heraus entstand „Top Sigrid“, ein Duo, das sich in der Szene schnell etablierte, Preise wie den Kleinkunstpreis Baden Württemberg, den AZ-Stern der Woche abräumte und mit euphorischen Kritiken bedacht wurde. Eine Portion Naivität sei bei der Gründung sicher dabei gewesen. „Das Witzige war, dass alle aufgeschrien haben: Das ist ja eine ganz neue Form von Kabarett“. Dabei hätten sie im Wesentlichen nichts anderes gemacht als das, was sie bisher getan hatten: Schauspielen.
Mit dem kleinen – aber doch entscheidenden – Unterschied, dass sie sich nun ihre Rollen selbst auf den Leib geschrieben haben. Erfolgreich seien sie gewesen, weil sie nie auf den Markt geschielt hätten, meint Christine Prayon, sondern sich ganz auf den Inhalt konzentrieren konnten. „Kollege HG Butzko hat uns Tipps gegeben, wo und wie wir unser Stück verkaufen können.“ Es sei aber gut, wenn man nicht alle Regeln – oder auch Schein-Regeln – kenne und berücksichtige. „Wenn man ständig an sie denkt, würde man viele Dinge nicht tun“. Ihr Erfolgs-Rezept: Die Gesetze auf den Kopf stellen. „Man muss anarchisch mit ihnen umgehen“, glaubt sie.
Wider alle rationalen Argumente, die für eine strahlende Zukunft in der Kleinkunst-Branche sprachen, hat sich das Duo nach knapp fünf Jahren getrennt. Selbst die Arbeitsteilung – Eiselt kümmerte sich um die Organisation, Prayon um die Steuer – funktionierte einwandfrei. „Aber künstlerisch lief es auseinander“, sagt Prayon, und fügt hinzu, dass sie sich privat sehr gut verstanden hätten – keine Spur von Zickenkrieg wie so mancher unkte. „Aber im Kern waren die Probleme von Anfang an vorhanden, sie wurden nur immer größer“.
Die Premiere des bereits fix und fertig geschriebenen zweiten Programms wurde kurzerhand abgesagt. Und die beiden fanden sich am Nullpunkt wieder, ein Loch, aus dem sie sich mit eigener Kraft herausarbeiten mussten. Prayons Versuch, mit „Bleckonweit“ ein neues Duo auf die Beine zu stellen, scheiterte. Warnende Stimmen setzten sie zusätzlich unter Druck: „Du hast das Erfolgsduo geschmissen, warst dann in zwei Besetzungen unterwegs – da fragt man sich schon, was bist du denn für Eine“, hieß es allenthalben.
Es sei nicht leicht, sich den Erwartungen zu entziehen, obwohl sie einem eigentlich egal sein müssten, so Prayon. Die Unbefangenheit der ersten Zeit war dahin. Nicht aber die Wut über das, was die inzwischen in Stuttgart lebende Künstlerin bei den S21-Auseinandersetzungen erlebte. Vor diesem politisch motivierten Hintergrund entstand ihr erstes Solo-Programm „Die Diplom-Animatöse“, mit dem sie an ihre Anfänge anknüpft, indem sie sich „konsequent jeder kabarettistischen Meterware verweigere“, wie es in der Jury-Begründung für den Deutschen Kleinkunstpreis 2012 heißt.
War seinerzeit die spielerische Umsetzung und Übersetzung einer Hartz IV-Empfängerin die Basis ihrer Arbeit, so ist es nun eine Figur, die in allen möglichen Variationen erklärt, warum sie auf der Bühne steht. „Im Grunde eine Frechheit“, meint sie. Es treten Vorgruppen auf, die sie als „Käse“ abqualifiziert, sie erzählt, dass sie gut Witze erzählen kann und liefert dafür die denkbar schlechtesten Beispiele, sie sagt der Presse, was sie zu schreiben hat, stirbt zu Beginn der zweiten Hälfte und zeigt anschließend, wie man den Abgesang auf die Künstlerin medial am besten ausschlachtet.
Sie nennt ihr Stück einen „Spiegel der Gesellschaft, der das Leben reflektiert, in dem einem permanent etwas verkauft wird“. Sie mute dem Publikum einiges zu – keine Innenansichten, sondern eine Imitation der Imitation. Wie zum Beispiel die Lesung aus dem „ersten Band zeitgenössischer Lyrik“. Dabei handelt es sich um den Zyklus „Männer sind primitiv, aber glücklich“ von Mario Barth, der mit den hingehauchten Worten „Pass auf, pass auf, pass auf“ endet! Sehr komisch!
Zur Person
Christine Prayon absolvierte nach dem Studium der Germanistik und Romanistik in Köln (1994-1996) ein Schauspielstudium an der Bayerischen Theaterakademie „August Everding“ in München. Es folgte 2002 bis 2004 ein Engagement am Theater Baden-Baden. Anschließend gründete sie zusammen mit Eva Eiselt das Kabarett-Duo Top Sigrid, dessen erstes Programm „Wir machen alles“ 2005 Premiere hatte. 2006 wurde sie Ensemblemitglied am Renitenztheater Stuttgart. Seit 2010 gastiert sie bundesweit mit ihrem Solo-Programm „Die Diplom-Animatöse“ und spielt seit Oktober 2011 in der „heute-show“ (ZDF) die Rolle der Korrespondentin Birte Schneider. 2012 wurde Christine Prayon mit dem Förderpreis zum Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet.
© 2012 BonMoT-Berlin
Termine:
Heute, zdf, 1.10 Uhr: Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises
22. bis 25. März 2012: Berlin, Quatsch Comedy Club
30. März: zdf, heute show
Alle weiteren Live Termine hier
Alle weiteren Infos: www.christineprayon.de
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Deutscher Kleinkunstpreis 2012
ich bin immer noch tief bewegt ob des songs intensiv-station Buchholz und wünsche weitere standhafte auftritte, viele grüße
spitze kabarett mit substanz 10 mal besser als mario barth
Sie ist einfach der Haaammmmeerrr und einzigartig:)
liebe Christine Prayon,
dein song bei der intensiv-station am 4.6. in Buchholz war weltklasse und ist es immer noch,
der vorsehung sei dank,
viele grüße
Tolle Frau, macht nicht was man erwartet 😉