„Unter Wasser war nicht alles schlecht“
KÖLN (mk) – Ächzend lässt sich die Echse auf dem Sessel nieder. Dass sie nicht mehr die Jüngste ist, sieht man auf den ersten Blick. Anders als ihr Schöpfer Michael Hatzius, der die Kunst des Puppenspiels an der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin studiert – und damit von der Pieke auf gelernt – hat. Seit Mai vergangenen Jahres sorgt er mit seinem Solo-Programm „Die Echse und Freunde – das volle Programm“ für euphorische Kritiken, Begeisterungsstürme des Publikums und einen ständig wachsenden Fankreis. Mit herkömmlichen Kasperle-Theater für Kinder hat das so viel zu tun wie Ballett mit einer Tanzparty oder ein Blaumann mit Haute Couture.
Einer der ersten, der mit zeitgemäßem Puppenspiel für Erwachsene auf deutschsprachigen Kleinkunst-Bühnen für Furore gesorgt hat, war René Marik. Nachdem „Rapante“ – seine schräge Version von Rapunzel – 2007 durch Zufall auf dem Videoportal Youtube Einzug gehalten hatte, war der Damm gebrochen. Sein „Ensemble“ – bestehend aus Frosch Falkenhorst, Eisbär Kalle, den beiden lakonischen Lappen, Barbie, Darth Vader und – allen voran – der cholerische Maulwurf, dessen Wortschöpfungen wie „Hage? Jemand ze hage?“ oder „Mannooooo“ den Sprachschatz einer ganzen Generation bereichert hat, trat seinen Siegeszug durch das Land an – gefolgt von TV-Übertragungen, DVD-Veröffentlichungen und einem florierenden Fanshop.
Inzwischen hat der Puppenspieler seinen schrittweisen Rückzug aus der Branche angekündigt. An Nachfolgern mangelt es nicht, obwohl diese nur sehr bedingt Ähnlichkeit mit Mariks minimalistischer Figurenführung haben. Sascha Grammel etwa reüssiert mit seiner Puppet-Comedy „Hetz mich nicht!“. Der 1974 in Berlin-Spandau geborene Comedian, Bauchredner und gelernte Zauberkünstler sorgt mit Josie, einer als EC-Automat auftretenden Bankkauffrau, Frederic Freiherr von Furchensumpf, der sich als eine Mischung aus Adler und Fasan profiliert und dem Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Peter Hacke für volle Hallen.
Der Unterschied zwischen den Figuren und deren Wirkung auf den Betrachter ist augenfällig: Michael Hatzius versucht nicht wie Grammel seine Mundbewegungen zu verstecken. Gemeinsam ist beiden allerdings, dass sie „bei der Arbeit“ zu sehen sind, anders als Marik, der hinter einer Art überdimensionalem Kasperletheater agiert. Noch offensiver gehen Martin Reinl und Carsten Haffke in ihrem neuen, erfolgreichen Bühnenprogramm „Pfoten hoch!“ ans Werk: Zwei Bildschirme geben Einblick in die zauberhafte Kunst des Handpuppenspiels – eine Art Making-of, in dessen Verlauf nicht nur die aus der WDR-Serie „Zimmer frei!“ bekannten Gesellen Wiwaldi und das Zirkuspferd Horst Pferdinand mit von der Partie sind, sondern zahllose andere, von Reinl erschaffene Figuren für Improvisationen zur Verfügung stehen.
Das Geheimnis ihrer Existenz lässt sich allerdings nur zum Teil lösen. Wie kommt es, dass erwachsene Menschen seltsame Wesen wie sprechende Brötchen, uralte Reptilien oder kleine grüne Dinos Eins zu Eins nehmen? Was geht in ihnen vor, wenn sie sich von Objekten aus Schaumstoff beeindrucken lassen? „Wenn die Zuschauer uns nicht mehr wahrnehmen, habe ich meine Arbeit gut gemacht“, meint Martin Reinl und fügt hinzu, dass er selbst nie derartige verbale Schläge austeilen würde wie die von ihm kreierten Handpuppen. Sie seien „wie klein geratene Kostüme“. So mancher erkenne in ihnen Bekannte wieder: „Das Känguru sieht aus wie meine Tante“, bekäme er so und ähnlich häufig zu hören.
Michael Hatzius, dessen „Mitspieler“ von gelernten Puppenbauern entworfen wurden, dreht das Rad noch etwas weiter, indem er seine Echse im Brustton der Überzeugung sagen lässt, dass sie Puppentheater grundsätzlich ablehnt: „Es ist albern und über weite Strecken – konzeptlos“. Aber ganz so ungnädig wie sich das anhört, ist das Zigarre paffende Tier, das vor über zweitausend Jahren zusammen mit Ari(stoteles) das allererste Theater der Welt aufgemacht hat, nun doch nicht. Ausnahmsweise „nur heute, nur für Euch und für Geld“ habe er eine selbst entworfene Puppe mitgebracht, mit der er expliziert, wie das Spiel funktioniert und welche „messerscharfen Konflikte“ sich daraus ergeben.
„Das Allerallerwichtigste ist immer der Blick. Bloß kein gefälliger Kitsch“, sagt die Echse. Was Hatzius im Gespräch mit http://www.liveundlustig.de nur bestätigen kann. „Der Blick der Echse, der sich naturgemäß nicht verändert, wirkt auf den Betrachter wie ein bewegtes Mienenspiel. Die Puppe selbst denkt nichts, aber der Zuschauer, denkt, dass sie denkt.“ Man meint zu sehen, wie sie lacht oder weint. „Die Puppe ist in sich eine Metapher, ein zugespitztes Bild, das für etwas anderes steht“. Es gäbe einige Faktoren, die diesen Blick ausmachen, Asymmetrien etwa, eine bestimmte Augenstellung. Eine gute Puppengestalt trage in sich einen variablen Charakter. Anders gesagt: Sie muss in sich widersprüchliche Eigenheiten widerspiegeln.
Die Echse ist ein Medium, sie weiß mehr über Zukunft und Vergangenheit als ihr Schöpfer. Dabei fragt sich der Betrachter, was „scheinbar tot“ bedeutet, wer hier wen belebe und wie das wirkt. „Der Vorteil der Puppe ist – das hat schon Heinrich von Kleist über das Marionettentheater geschrieben – dass sie immer uneitel ist.“ Der 1982 im Osten Berlins geborene Hatzius war selbst noch ein Kind, als es in der DDR in jeder Kreisstadt ein Puppentheater gab. Auf Anordnung von Moskau und nicht etwa – wie man vermuten könnte – um mithilfe animierter Figuren subversive Stücke aufzuführen.
Tatsächlich existierte in der russischen Hauptstadt das Zentrale Staatliche Moskauer Puppentheater unter Leitung von Sergeo Pbraszow (1901-1992). Dessen Aufgabe war es, den damaligen Ostblock flächendeckend mit Puppentheatern zu versorgen. Das kann Hatzius bestätigen. „Je weiter östlich man kommt, umso pompöser werden die Häuser.“ Oder wie die Echse es im Hinblick auf ihr bis in die Urzeit zurückreichendes Leben ausdrückt: „Unter Wasser war nicht alles schlecht“.
Marianne Kolarik © 2012 BonMot-Berlin
Michael Hatzius, die Echse live – Auswahl:
Mo, 7. Mai 2012: Hannover, Apollo-Kino, www.spezial-club.de
Fr, 18. + Sa, 19. Mai 2012: Mainz, unterhaus
Sa, 26. Mai 2012: Berlin, Wühlmäuse, Kartentelefon: 030-30 67 30 11
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www.dieechse.com – www.saschagrammel.de – www.renemarik.de
Fotos von Hatzius und der Echse – Linn Marx
3 Gedanken zu “Michael Hatzius, die Echse und das neue Puppentheater”