Dritter Wettbewerbstag in Sankt Ingbert – Kritik

Schwabe, Stadtbilderklärer, Sängerin

SANKT INGBERT (gc) – Den dritten Wettbewerbstag um die Sankt Ingberter Pfannen gestalteten Heinrich del Core, Tilman Birr und Annette Postel: Ein Schwabe mit italienischem Vater, ein Fremdenführer und eine Sopranistin bieten erfrischende Einblicke in ihren Alltag.

Heinrich del Core © Rainer Hagedorn_BonMoT-BerlinHeinrich del Core, ein Mann mittleren Alters, ist in Schwaben geboren, als Sohn einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters. Also was jetzt, Deutscher oder Italiener?

Ganz einfach: Ein Schwabe, ein echter Rottweiler eben. Das macht er auch durch seinen breiten schwäbischen Dialekt deutlich. „Hochdeutsch kann und will ich nicht!“, sagt er später im Festivalkeller. Braucht er auch nicht, seinen Charme kann er auch auf Schwäbisch verbreiten.

„Als Kind hatte ich keinen Urlaub – wir sind immer nach Italien gefahren“, sagt er in den Auszügen aus seinem Programm „Durchbeißen“. Ein wenig werden die Probleme deutlich, die er in seiner Kindheit gehabt hat. Wo gehöre ich eigentlich hin? Für ihn ist klar: Ich bin Schwabe! Und mit dieser Selbstverständlichkeit gewinnt er das Publikum für sich.

Während er charmant über seine Kindheit erzählt, fliegen schon die ersten Lachsalven durchs Publikum. Doch die Gegenwart ist nicht minder interessant. Mit seiner Familie will Heinrich del Core nach Shanghai fliegen, um an Bord eines Kreuzfahrtschiffes zu gehen. Von Stuttgart soll der Flieger gehen. Die umständlichen Sicherheitsüberprüfungen nimmt er hin und erklärt sich sogar bereit, freiwillig den Nacktscanner zu benutzen. Dort entsteht ein größerer Menschenauflauf, denn „Ich wusste gar nicht, dass ich mich im Nacktscanner gar nicht ausziehen muss!“

Sein Vortrag ist schön rund, kommt er doch vom Übergewicht beim Gepäck zum übergewichtigen Sitznachbarn im Flugzeug. Und dann die Erkenntnis: „Jüngere Menschen ab 70 gehen heute eher auf Kreuzfahrt als ins Altersheim.“ Das liege an den Kosten: 200 Euro Tagessatz im Altersheim sind normal – aber nur 135 Euro auf dem Kreuzfahrtschiff eben auch!

Heinrich del Core hat einmal Zahntechniker gelernt und in diesem Beruf auch gearbeitet. Da ist es klar, dass er eine Vollprothese auf eine Spaghettizange montiert, um ungeliebten Besuch abzuschrecken. Welche Schwiegermutter will schon von zwei Gebisshälften den Salat auf den Teller bekommen? Er nutzt seine Kenntnisse, um eine Szene beim Zahnarzt zu spielen. Mit all den Unterschieden zwischen Privat- und Kassenpatienten, mit Blicken in das Wartezimmer und auf den Behandlungsstuhl. Genau diese unangenehmen Alltäglichkeiten, die del Core auf sehr plastische und angenehme Art beschreibt, lassen das Publikum rhythmisch klatschen.

Tilman Birr © Rainer Hagedorn_BonMoT-BerlinTilman Birr hat vor gar nicht langer Zeit sein Studium der Geschichte beendet. Danach hat er für einen Sommer auf einem Berliner Ausflugsdampfer als Stadtbilderklärer angeheuert.

Seine Erlebnisse aus dieser Zeit hat er in dem Programm „On se left you see se Siegessäule“ verarbeitet. Übrigens stammt der Begriff „Stadtbilderklärer“ aus der DDR. Dort machte man um das Wort „Führer“ stets mit geballter Faust einen großen Bogen. Die Menschen in diesem Land hatten schließlich auch keine „Führerscheine“, sondern „Fahrerlaubnisse“.

Tilman Birr greift bei seinem Auftritt abwechselnd zu Gitarre und Buch. Er singt herrlich selbstironisch ein Chanson über unangenehme Menschen und wie man ihnen ihren Schrecken nehmen kann: Einfach nackt in der Sauna treffen! Als Gegenentwurf zum in Berlin grassierenden Schwabenhass träumt er in perfektem Reinhard-Mey-Stil von einem „Berlin ohne Berliner“. Da gäbe es dann in der Hauptstadt keinen Lärm, keine Currywurst mit Pommes rot-weiß und viel besseres Bier. Tilman Birr stammt aus Frankfurt am Main und muss es wissen! Seine Chansons treffen in Sankt Ingbert den Nerv.

Seine satirischen Geschichten auch. Man leidet mit, wenn er von einer Fahrt auf dem Ausflugsschiff erzählt, bei der er einer gelangweilten deutschen Schulklasse und ein paar spanischen Touristen die Berliner Innenstadt erklärt. Leider sind die Spanier betrunken und stören die Tour. Hinterhältig erklärt Birr ihnen auf Englisch, dass hier „ein großes Bordell mit Freibier für alle“ stehe, woraufhin die Spanier sehr interessiert zuhören. Der Schulklasse erzählt er zum gleichen Gebäude einige Einzelheiten zum Bundeskanzleramt auf Deutsch. Für die einen lässt er das Reichstagsgebäude Parlamentssitz sein, für die anderen „eine Brauerei mit einem großen Biertank unter der Glaskuppel.“ Auf diese Weise kann er die Tour einigermaßen ungestört beenden.

Oder die Geschichte „Hoadabazl“, in der der Stadtbilderklärer mit den Fragen eines bayerischen Touristen konfrontiert wird. Leider ist der Mann wegen seines starken Dialekts rein gar nicht zu verstehen, sodass Birr in seinen Repliken nur die größten Allgemeinplätze streifen kann. Und um das Trinkgeld der anderen Fahrgäste wird er auch noch gebracht! Augenzwinkernd und mit spitzer Feder hat Birr seine Beobachtungen notiert. Ein richtiger Gegner der Hauptstadt ist er nicht, aber ein glänzender Entertainer. Das Publikum dankt mit herzlichem Applaus.

Großer Auftritt jetzt für Annette Postel. Sie nahm sich einen Vorschlag des großen Georg Kreisler zu Herzen, Opern zu parodieren. So entstand die Opern-Comedy. Die Sopranistin Annette Postel will mit ihrem Begleiter Klaus Webel am Flügel die Schönheit der Oper vor-, und zu einem Opernbesuch verführen. Na dann: „Sing oper stirb! – Operette sich, wer kann…“

Annette Postel – Foto www.annette-postel.comSo ein Opernhaus ist doch schließlich ein ganz normaler Betrieb: Da sind Intrigen, Eifersüchteleien und Unterforderungen an der Tagesordnung. Im ausladenden roten Rokokokleid und mit hochgesteckter Perücke beschwert sich Postel als Königin der Nacht über die zu geringe Auslastung: Sie habe in der ganzen „Zauberflöte“ nur zwei Arien zu singen und muss die bald zweistündige Wartezeit in der Kantine verbringen! Dumm nur, dass sie dort ein Bier zu viel trinkt und sich selbst um die zweite Arie bringt.

Oder sie spielt eine lispelnde Sängerin, die sich kurzerhand ihren Text umschreibt, damit sie nicht lispeln muss. Das Publikum ist entsssückt! Die Sängerin erreicht mit ihrer Energie auch die letzte Reihe der Stadthalle. Spätestens als sie sich als Partner aus dem Publikum ausgerechnet Ulrich Commerçon aussucht, den saarländischen Landesminister für Kultur und Bildung, sind alle Dämme gebrochen. Das Publikum liegt Postel zu Füßen. Dazu trägt auch die sehr gute Verständlichkeit der Sängerin bei, die ihre Arien ein wenig zum Chanson biegt. Ein prima Kunstgriff, um besser verständlich zu sein!

Annette Postel benennt den Abschied als das große Thema der Oper. Geschickt kombiniert sie die Pamina-Arie „Ach, ich fühl’s“ aus der „Zauberflöte“ mit Dunja Reiters „Ich überleb’s“, der deutschen Fassung von Gloria Gaynors „I will survive“. So lässt sie den selbstzerstörerischen Liebeskummer hinter sich und wendet sich mit neuem Selbstbewusstsein wieder dem Leben zu. Indem sie zum Beispiel eine Anti-Carmen schreibt. Bizets Oper ist nämlich für eine Mezzosopranistin in der Titelrolle geschrieben. Für Postel die falsche Tonlage und damit auch gleich die falsche Oper! Sie macht sich mit dunkler Hornbrille und schwarzer Samtjacke extra hässlich, um der Carmen etwas entgegenzusetzen. Lang anhaltender rhythmischer Applaus beweist, wie gut Annette Postels Opern-Comedy angenommen wurde.

Gilles Chevalier © 2012 BonMot-Berlin Ltd.

www.heinrich-delcore.dewww.tilmanbirr.dewww.annette-postel.com

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