Alles Banane, der Flügel glänzt – Kritik
Hagen Rether mit „Liebe“ bei
“Quatsch keine Oper”
BONN (rh) – In der ausverkauften Oper empfangen die Bonner Hagen Rether enthusiastisch. Er nimmt auf dem Drehstuhl vor seinem Steinway-Flügel Platz und wirft ein freundliches “Nabend…nahhh…wie ist die Freiheit?” in den getäfelten Saal.
Die Kritik ist schnell geschrieben. „Hagen Rether war mal wieder genial.“ Ende.
Ausführlicher? Fangen wir doch einfach mal von hinten an, vier Stunden später: Hagen Rether beendet den Abend um 22.54 Uhr mit den Worten: “Seien Sie gut zu Ihren Kindern!”
Warum sagt er das? Waren seine Eltern nicht gut zu ihm? Haben die ihn wirklich auf ein Kabarett-Internat geschickt, wie er behauptet? Hat er da schlechte Erfahrungen gemacht? Wäre er wirklich lieber Bauingenieur geworden?
Nach seiner Ausbildung an der Folkwang hätte er eigentlich auch ein prima Pianist werden können. Heute sitzt er auf Bürostühlen vor Steinway-Flügeln ‘rum und atmet ins Kopf-Bügel-Mikrofon. Oder isst Bananen. Das Mikrofon steigt immer mal wieder aus. Woran liegt das? Am Kopf, am Bügel oder doch an der Banane? Als Fernsehzuschauer ist man Tonstörungen ja gewohnt. Aber in Opernhäusern mit 1000 Teilnehmern ist das doch eher selten. Hagen scheint das aber zu kennen. Für ihn ist das nur ein weiterer Fehler im System. Another Brick in the Wall.
Es gibt Kabarettisten, die uns vordenken, was wir nachzudenken haben. Hagen Rether gehört nicht zu ihnen. Nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Frau Merkel nicht und Herr Ratzinger auch nicht. Welche Drogen sind da möglicherweise im Spiel? Hagen Rether hat nichts gegen Drogen. Nur gegen deren ungerechte Verteilung. Die besten Drogen stellt unser Körper ja auch selbst her. Ganz kostenfrei.
Gekonnt spielt er mit den Mitteln der Irritation. Lockt uns auf die Fährte seiner Gedankengänge. Gerade wenn das Publikum ihm fasziniert folgt, platzt Hagen Rether sich selbst dazwischen: „Haben Sie eigentlich Winterreifen?“ Eine für Anfang November durchaus naheliegende Frage. Rether stellt sie ununterbrochen und auch an Nachzügler, die den Veranstaltungsbeginn um 19 Uhr verpassten, weil sie aus Versehen dem Bonner Generalanzeiger vertraut hatten.
Richtig los geht’s sowieso erst kurz vor der Pause um 20.48 Uhr. Fast zwei Stunden plaudert er über Burnout und Langeweile, Empörungsschwachsinn und Wutbürger, Papst und Dalai Lama, Porsche und männliche Genitalien.
Ein Kabarettist darf alles sagen, was ihm gerade in den Sinn kommt. Was er für die Wahrheit hält, muss er auch sagen dürfen. Wir leben schließlich in einem freien Land. Woran erkennt man, ob ein Kabarettist die Wahrheit sagt oder nicht, oder das, was er selbst dafür hält. Es könnte ja auch Satire sein oder Zynismus oder einfach nur ein Witz. Kniffelig.
Hagen Rether beschwert sich über Journalisten. Jetzt erst habe man herausgefunden, dass Frau Merkel nicht regiere, Herr Westerwelle unsympathisch sei oder Muslime und Juden männliche Kleinstkinder beschädigten. Das käme ja jetzt wirklich ein bisschen spät.
Dabei geht es doch gar nicht nur um die Presse. Es sind ja auch die Kabarett-Kollegen und schließlich wir alle, die wir geneigt sind, uns über simple Erkenntnisse und aufgepumpte Skandale zu empören. Gibt es da nicht noch was anderes, etwas viel Wichtigeres, worüber wir mal nachdenken sollten? Hagen Rether ist weit entfernt davon, es auszusprechen, uns Ratschläge zu erteilen. Er sucht nicht das Einverständnis, sondern beherrscht die Kunst der Verstörung. Nach vier Stunden perlender Plauderei, die im Nu vergangen sind und nur oberflächlich betrachtet so locker dahin assoziiert, beginnt das große Kopfzerbrechen. War das nun ernst gemeint oder nicht? Aber das Programm heißt nicht „Ernst“. Es heißt „Liebe“.
Rainer Hagedorn © 2012 BonMoT-Berlin Ltd.
Übrigens: Seit März 2012 ist der Bart wieder dran:
Der Bart ist ab! (8.1.2011)
Die nächsten Termine:
Fr, 16. November 2012: Mönchengladbach, Rotes Krokodil
Sa, 17. November 2012: Hagen, Stadthalle
Mi, 21. November 2012: Wolfenbüttel, Theater in der Lindenhalle
Do, 22. November 2012: Kiel, Kieler Schloss
Fr, 23. November 2012: Lübeck, MuK
Sa, 24. November 2012: Berlin, Universität der Künste, Karten: 030-30 67 30 10
Alle weiteren Infos und Termine:
www.hagenrether.de
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