BERLIN (gc) – Genau im richtigen Moment steigt Timo Wopp aus. Zum Luftholen und zum Staunen macht er etwas ganz anderes: Jonglagen. Bei ihm heißt das natürlich anders: „haptische Powerpoint-Präsentationen“ nennt er es, die Bälle und Keulen in der Luft zu halten. Das Publikum in den gut besuchten Berliner Wühlmäusen ist hingerissen. Doch auch in diesen entspannten Momenten fordert er die ganze Aufmerksamkeit der Zuschauer ein.
Denn Timo Wopp steht unter Druck: Er will heute Abend eine Masse an Text an die Leute bringen, mit der andere Künstler bequem zwei Programme gestalten würden. Deshalb auch bei den Jonglagen: eine feine Choreographie, die durch Wortwitz in atemberaubenden Sätzen ergänzt wird.
„Niveau wirkt nur von unten wie Arroganz“, sagt Wopp in seinem ersten Solo-Programm „Passion“. Aus Leidenschaft steht er vor dem Publikum, will „die Besten der Besten, deshalb seid ihr hier“. Er verspricht, „Euch da abzuholen, wo ihr seid!“ Ein leidenschaftliches Bühnentier, dieser Wopp? Nein, ein knallharter Coach, der im Publikum seine Fortbildungsopfer sucht!
Arrogant und selbstherrlich, so überhöht Wopp den überall grassierenden Fortbildungswahn. Diese Veranstaltungen, bei denen windige Gestalten Halbgares als absolute Wahrheit verkaufen. Ganz unterschiedliche Seminare bietet er an: „Let’s burn out the Burnout“ oder, speziell für Studenten, „Willkommen in der Mitte der Gesellschaft“ mit den Themenschwerpunkten Aufstehen, Waschen und Anziehen. Ebenfalls im Angebot: „Flirten für IT-Supporter“ und „IT-Support für Schlampen“. Immer wieder preist er seine Veranstaltungen wie sauer Bier an und sagt: „Meine Sachen erschließen sich immer erst retrospektiv – auch für mich!“
Während seines BWL-Studiums hat er sich geschworen: „Ich gehe erst wieder in ein Bürogebäude, wenn es mir gehört!“ „Ich bin ein bisschen wie Jesus, nur dass ich halt was Anständiges studiert habe“, charakterisiert er sich selbst. Ganz offen bittet er die Zuschauer, große Geldscheine in eine kleines Holzkästchen zu legen. Sein Motto: „Besitz belastet“.
Zeitweise fühlt man sich in die Situation einer Kaffeefahrt für Rentner versetzt, bei der unnützes Zeug zu überhöhten Preisen feilgeboten wird. Auch Wopp spürt in seiner Rolle als Coach die Vorbehalte des Publikums. Dann spielt er die beleidigte Leberwurst, scheint an so viel Skepsis zu zerbrechen und wird traurig. Er öffnet sich dann, gibt Persönliches, fast Intimes seiner Figur preis: Auch er sei ein Opfer der Achtundsechziger-Erziehungsmethoden und habe nur aus Rache BWL studiert.
Doch alle Mühen sind umsonst: Timo Wopp kann den Coaching-Abend nicht durchsetzen! Frustriert streift er sich sein Elefantenkostüm über, um wenigstens irgendwie beim Publikum anzukommen. In Wirklichkeit hat er das natürlich vom ersten Moment an geschafft. Was früher Ekel Afred war, ist heute Terror-Timo, der die Zuschauer mit Psychotricks und bösen Sprüchen auf seine Seite ziehen will. Ein außergewöhnlicher und außergewöhnlich gelungener Abend geht mit tosendem Applaus zu Ende.
Gilles Chevalier © 2012 BonMot-Berlin Ltd.
2 Gedanken zu “Ich coach Euch alle! – Kritik”