„Ich will mich von all dem, was hier passiert, nicht verschlucken lassen.“ – Interview mit Manfred Maurenbrecher

Maurenbrecher CD Cover no goDer Liedermacher und Autor Manfred Maurenbrecher über seine neue CD “no go”, über den Tod, Gott und die Kunst, das Leben im Hier und Jetzt zu genießen, über die Leichtigkeit von Liederabenden, Politik als Kaste und die im Frühjahr erscheinende Autobiographie von Veronika Fischer. Das Gespräch hat Thorsten Hild geführt.

 

Thorsten Hild: Deine neue CD kommt musikalisch gut gelaunt und mit geradezu jugendlicher Frische daher; die Texte aber sind doch ernst und nachdenklich: Die Welt ist am Durchdrehen, ein Mensch, der sich vor den Zug geworfen hat, sattes Bürgertum, das sich im Kleinod einer durch die Erbschaft einer alten Dame möglich gewordenen, besseren Umgebung erfreut, als der Rest der Stadt, um zunächst nur drei der 13 Stücke auf Deiner neuen CD anzusprechen. Höre ich nur diesen Kontrast, oder ist er gewollt – todernsten Dingen Leichtigkeit zu verleihen?



MANFRED MAURENBRECHER: Das hat sich so ergeben. Wir, die drei Musiker – Andreas Albrecht, Percussion, Marco Ponce Kärgel, Gitarre, und Tobias Fleischer, Bass – und ich, wir kennen uns schon sehr lange. Und eigentlich hatten wir zunächst nur vor, eine Woche lang zu proben und zu schauen, was man mit den neuen Stücken alles anfangen kann. Dann aber, nach den fünf Tagen, nachdem wir jedes Stück fünf, sechs Mal gespielt hatten, haben wir festgestellt: Es reicht eigentlich; wir würden es gern so veröffentlichen und gar nicht mehr länger andere Dinge daran ausprobieren.

Ich empfinde, das, was dabei herausgekommen ist, auch als sehr frisch. Es ist aber keineswegs nur leicht, sondern ja oft auch sehr schräg; besonders die Kommentare, die von der Gitarre kommen. Vor allem zu den Stücken, die manchmal auch ein bisschen bitter sind. Ich denke da zum Beispiel an Die Welt ist am Durchdrehen. Das sind da ja ganz wuchtige Einwürfe, die da vom Rhythmus und von der Gitarre kommen. Wenn ich das Stück alleine am Klavier spiele, ist es dagegen freundlicher, weil es an Hausmusik erinnert. So, wie wir es jetzt aufgenommen haben, hat es der Musik das zuweilen Biedere des Menschen, der am Klavier etwas vorträgt, weggenommen, es mehr in die Öffentlichkeit geschoben.

Der Tod ist nicht der Schluss, Freut Euch des Lebens, solange noch das Lämpchen glüht – warum thematisierst Du den Tod auf dieser CD so sehr?

MANFRED MAURENBRECHER: Na ja, ich bin jetzt in einem Alter, in dem man sich mit dieser Thematik naturgemäß ein bisschen mehr beschäftigt. Als ich vierzig war, hatte ich das Gefühl von einer langen Strecke, die jetzt vielleicht zur Hälfte durchlaufen ist. Dass ich von dieser Strecke jetzt, mit Mitte 60, weit über die Hälfte zurückgelegt habe, weiß ich. Vom Verstand her. Und meine Gefühle fangen langsam an, sich damit auseinanderzusetzen. Mein Körper auch. Und das prägt dann auch das Liederschreiben. Es war also gar kein bewusster Entschluss, sich mit dem Tod zu beschäftigen; das Thema kommt einem einfach in die Quere.

Das Lied Der Tod ist nicht der Schluss ist ja von Bob Dylan, der dies Lied selbst kaum beachtet hat. Es hat mich lange schon gereizt, es ins Deutsche zu übertragen. Im vorigen Jahr gab es ein Benefiz-Konzert in Leipzig, bei dem viele Freunde von mir mitgemacht haben; es ging da um einen Kindernotdienst in Afghanistan; und da bat mich einer der jungen Sänger dort, ob wir nicht dieses Lied auf Englisch zusammen singen könnten; dort ist die Übersetzung entstanden, die sich jetzt auf der neuen CD findet.

Manfred Maurenbrecher & Band - Foto Kristjane Maurenbrecher
Manfred Maurenbrecher & Band –
Foto Kristjane Maurenbrecher
Ich höre aus den Stücken aber auch die Aufforderung heraus, mehr im Jetzt zu leben. Wenn ich zum Beispiel das Stück Staubiger Staub nehme.

MANFRED MAURENBRECHER: Mmmh. Ja.

Am Ende des Liedes greift der Pfarrer nach der Kollekte. Und da habe ich mich gefragt: Ist das jetzt so gemeint: Will der jetzt noch einmal richtig leben?

MANFRED MAURENBRECHER: Ja, aber der will natürlich auch seine Gemeinde behumsen. (lacht) Der weiß, hier kann er das Geld nehmen, und weg ist er.

So spricht aus den Liedern aber auch die Sehnsucht und die Aufforderung, zu leben, sich mehr im Jetzt zu bewegen.

MANFRED MAURENBRECHER: Ja, unbedingt. Das ist in vielen Stücken drin. In dem Lied Naumburg zum Beispiel, in dem es um einen Selbstmord an einer Bahnstrecke geht. Gleichzeitig aber geht es auch darum, dass die Passagiere gezwungen sind, sich von ihren Terminplänen zu verabschieden und sich an der Herbstsonne zu erfreuen, die da auf den Bahnsteig strahlt.

Was natürlich auch makaber wirkt, da hat sich jemand umgebracht, und dann taucht in einer Liedzeile auf: Sie lachen sich an…

MANFRED MAURENBRECHER: Ja, so ist es doch aber. Wir haben ja nichts mit diesem Selbstmord zu tun. Für uns ist er nur eine kleine Atempause. Eine ungewollte. So ist doch auch unser gesellschaftliches Zusammenleben. Das ist gar nicht anklagend gemeint, sondern beschreibt die Wirkung des einen auf das andere. Einer bringt sich um, weil er es nicht mehr aushält, und er verschafft anderen damit eine kleine Atempause im Getriebe.

Ich war in einem hellen Land. Da tauchen Eigenschaften auf, die mir ganz zentral erscheinen für ein harmonisches Miteinander, wie etwa Nachsicht, Rücksicht. Vermisst Du sie in unserer Gesellschaft?

MANFRED MAURENBRECHER: Das Stück bewegt sich ein bisschen wie in einem Traum. Der Traum von einem Leben nach dem Tod, oder auch von einem Leben in einer ganz anderen Art von Gesellschaft als dieser hier, wo so viele immer sagen: Das geht hier nicht. Das ist hier ausgeschlossen. Das Leben in dieser anderen Gesellschaft aber wäre ein Leben ohne feste Formen. In der man alles einmal sein kann; man kann mal ganz kalkulierend sein, aber auch ganz freigiebig, gesellig, aber auch vereinzelt; eine Gesellschaft, in der es kein Muss gibt: Du musst das eine sein oder das andere; du musst das bedenken und jenes; das ist in diesem Traum alles ausgeschlossen. Du bist dort durch nichts geprägt, sondern frei.

Ausgeschlossen ist dort auch, raus zu fliegen. Du singst darin ja: Das Spiel ist groß, jeder bleibt drin. Das zeigt ja schon, dass das eine fremde Welt ist.

MANFRED MAURENBRECHER: Jeder bleibt drin ist auch eine klare Aussage gegen diese elendige Unterscheidung in Gut und Böse. Man fliegt raus, wenn man böse ist. So ein Quatsch.

Das ist jetzt ja gleichzeitig Deine erste zweisprachige CD, oder?

MANFRED MAURENBRECHER: (zögert)

No Go!

MANFRED MAURENBRECHER: (lacht) Ach so, ja! Aber nein, es ist die zweite, denn die erste hieß ja Wallbreaker!

Ach ja, stimmt. Aber wie kommt das: Warum arbeitest Du als Germanist mit Anglizismen?

MANFRED MAURENBRECHER: Um modern zu sein.

Wirklich? Vielleicht auch, um andere Leute zu erreichen? Das würde doch auch zu dieser CD passen. Anders als die Wallbreaker-CD, die ja teilweise auch sehr explizit politisch ist, wie in dem Sarrazin-Lied, Du kannst es, scheint mir die aktuelle CD doch sehr aus Deiner persönlichen Lebenswelt geboren. Es ist doch eine sehr persönliche CD, kann man das so sagen?

MANFRED MAURENBRECHER: Ja, finde ich. Die Song-Palette von Wallbreaker reicht ja sehr weit zurück, sie ist so, wie sich ein Liederabend bei mir live zusammensetzt. Bei dieser neuen CD hatte ich ja anfangs gar nicht das Gefühl, es solle eine werden. Aber als wir es dann gemacht haben, war alles wie aus einem Guss. Und sie ist tatsächlich sehr persönlich. Ich habe sogar zwei längere Stücke, die tagespolitisch sind, bewusst nicht hereingenommen. Eines heißt Schuldunfähig und handelt von dem einen Mittelstands-Jugendlichen, der einen Fahrgast in der Ubahn fast zu Tode getreten hat und dann, weil er so begabt ist und seine Eltern sich so teure Rechtsanwälte leisten konnten, von den Gerichten höchst milde behandelt wurde. Das war hier in Berlin vor einem Jahr ungefähr. Schuldunfähigkeit, sagt mein Lied dazu, muss man sich leisten können. Da habe ich aber schließlich entschieden: Dies Stück hat auf der neuen CD nichts zu suchen, die soll mit solchen Themen gar nicht in Berührung kommen. Die CD war mir einfach zu wertvoll für sowas.

Um noch einmal den einleitend erwähnten Kontrast zu thematisieren: Man kann vielleicht als junger Mensch solch frische Musik schreiben, die Tiefe der Texte aber lebt doch sehr von der Lebenserfahrung, die Du über die Jahre erlangt hast, oder?

Foto: Kristjane Maurenbrecher
Foto: Kristjane Maurenbrecher
MANFRED MAURENBRECHER: Wahrscheinlich. Ich kann mich selber daran erinnern, dass ich früher, als ich jünger war, sehr viel mehr geurteilt habe in meinen Liedern. Das aber interessiert mich jetzt immer weniger. Das Stück Paradies Rüdi zum Beispiel. Auch da ist die Aufforderung. Genieß! Genieß die Zeit, wo dieser Platz noch offen ist. Das ist der Mittelpunkt des Stückes, gar nicht so sehr, dass da eine satte Gesellschaftsschicht sitzt, und dass andere ausgegrenzt werden, sondern, dass man es auch hinnehmen soll, dass da ein Platz ist, der noch für alle da ist, jeder kann da hin, und man kann da zusammen feiern. Das wird in unserer Zeit immer seltener, also sollte man es genießen, solange es das noch gibt.

Das ist auch ein bisschen eine Abgrenzung gegenüber jüngeren Kollegen, die teils sehr schnell mit Urteilen bei der Hand sind. Ich denke, es ist gar nicht so einfach, durchzukommen, so durchzukommen durch diese Welt, durch diese Art Gesellschaft, ohne sich selber und andere so zu verletzen, dass es einem später leid tut. Das ist, glaube ich mittlerweile, fast das wichtigste. Man kann moralisch dick auftreten, hervorragende Einsichten haben, ganz richtig liegen und trotzdem Leute in seinem Umfeld bei Seite treten. Sich selber in den Vordergrund schieben. Auf eine Art, die einem am Ende selbst am meisten weh tut, weil man das nie mehr vergessen wird. Das ist vielleicht das wichtigste, sich klar zu machen, dass man sich vor so etwas hütet. Dass man freundlich bleibt miteinander.

Das hast Du ja auch in dem Lied Die Kraft zu verzeihen ausgedrückt.

MANFRED MAURENBRECHER: Genau.

Du singst darin auch von Gott. “Herr, gib uns die Kraft, gib uns die Kraft, wie man trotzdem liebt, wenn man nichts hält und hat, wie man trotzdem gibt.” Fremdheit als Heilmittel. Auf mich wirkte das wie ein Gebet, auch wie ein Gospel.

MANFRED MAURENBRECHER: Dieses Lied nimmt wirklich eine Sonderstellung ein. Ich habe es für ein Musical über Pete Seeger geschrieben, an dem ich mit Diether Dehm zusammen arbeite. Es ist gedacht für eine Szene, in der es ein Chor von schwarzen Arbeitern auf einer Gewerkschaftsveranstaltung singt. Durch Zufall hatte es Andreas Albrecht, der Produzent der CD, in die Hand bekommen. Er fand, dass wir es unbedingt mit aufnehmen sollten.

Eigentlich ist es wirklich für einen Gospelchor gedacht. Jetzt haben wir es in einer Fassung, die zu dem Musical gar nicht, zur CD aber sehr schön passt.

Es ist mir schon häufiger passiert, dass, wenn ich mich in eine Rolle begebe und einfach nur arbeite wie ein Texter und Komponist, der meinetwegen für einen Film oder für ein Hörspiel etwas zuliefert, dass ich dann Züge an mir selbst entdecke, die mir sonst versperrt waren. Ich gehe dann freier mit meinen Impulsen um. So verhält es sich auch bei diesem Lied. Dass da der Wunsch, sich an eine übergeordnete Autorität zu wenden, plötzlich auch in mir selber war. Das ist eigentlich etwas sehr Schönes, dass man Dinge, die man sich zunächst gar nicht zugesteht, dann plötzlich erfährt, weil man die Rolle gewechselt hat.

In dem Lied wird das auch angesprochen: Lass die Fremdheit unser Heilmittel sein, singt der schwarze Chor. Auf der persönlichen Ebene, auf der das Lied jetzt spielt, drückt diese Fremdheit als Heilmittel für mich aus: Lass uns immer eine Distanz zu dem ganzen Betrieb hier behalten. Für mich ist das ganz wichtig. Ich will mich von all dem, was passiert, nicht verschlucken lassen. Die Maßstäbe, die gelten, sollen nicht meine Kleidung sein, schon gar nicht meine Haut.

Viele lassen sich dadurch ja auch verbittern.

MANFRED MAURENBRECHER: Ja, sie lassen sich davon einfangen.

Weil das Lied wie ein Gebet, wie ein Gospel wirkt: Hast Du eine Beziehung zu Gott, bist Du religiös erzogen, bist Du ein religiöser Mensch?

MANFRED MAURENBRECHER: Ich bin mit Eltern aufgewachsen, die beide an Gott geglaubt haben. Ich war lange davon überzeugt, dass ich nicht an Gott glaube. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass alles, was Kirchen dazu sagen, mir nichts bedeutet, ich denen auch keine Autorität zuspreche; aber ich bin auch der Meinung, dass es nicht zu Ende ist, wenn dieses Leben zu Ende ist, dass es Energien gibt, von denen wir nur ganz wenig Ahnung haben, und das Überraschungen auf uns warten, auf uns alle. Dass es Dinge und Kräfte gibt, die wirken, ohne dass wir sie messen können. Das glaube ich. Aber ich will mich damit im Einzelnen gar nicht beschäftigen. Mir reicht diese, wie einige sicher sagen würden, völlig oberflächliche Art von Halbglauben. Mir ist das genug. Ich will da gar nicht tiefer eindringen.

Dieses Gefühl gibt Dir aber schon ein Grundvertrauen, was viele durch einen wie auch immer gearteten Gott bekommen?

MANFRED MAURENBRECHER: Ja.

Das Titel-Stück No Go, thematisiert dagegen die pure, materielle Oberflächlichkeit; ich nenne das immer das moderne Mittelalter, …

MANFRED MAURENBRECHER: Ja, stimmt…

der Masse entsprechen, keine Andersartigkeit zu dulden…

MANFRED MAURENBRECHER: Eben. Alles muss gleichförmig sein. Dieses blöde No go sagt ja auch aus: Das geht gar nicht. So wird es ja auch benutzt. Das geht ja nun gar nicht. Das Kollektiv weiß Bescheid.

Warst Du allein aus dieser Beobachtung heraus motiviert, dieses Stück zu schreiben, dass die Menschen dauernd einem Mehrheitsgeschmack hinterherlaufen, oder ist es auch das – der Bezug zu Mykonos, Griechenland –, was momentan in Europa stattfindet, was Dir gleichzeitig aufgestoßen ist und ja wiederum an Einförmigkeit kaum zu überbieten ist, das Griechenland-Bashing meine ich, um auch endlich einmal einen Anglizismus zu verwenden?

MANFRED MAURENBRECHER: Ja. Ich finde das ganz schrecklich, wie Leute, auch aus meinem Bekanntenkreis – ähnlich wie es mir vor zwei Jahren mit Sarrazin ging – allen Ernstes sagen: Ja, die Griechen, die sind ja aber auch nicht die Fleißigsten; und ja, die Griechen, die bekommen vierzehn Monatsgehälter…

Anstatt zu fragen, warum wir hier nicht vierzehn Monatsgehälter bekommen…

MANFRED MAURENBRECHER: Zum Beispiel, genau. Wie die Leute auf diese Propaganda reinfallen, auf das Ablenken vom Eigentlichen.

Ich finde die CD auch sehr literarisch; viele Texte aktivieren die eigene Vorstellungskraft, weil sie eben nicht der Eigenschaft frönen, alles erklären zu müssen. Zum Beispiel der Text: Bleib vorher, solange es geht. Das kann sich wieder nur jemand trauen, der viel Erfahrung hat. Wie kommst Du auf so etwas?

MANFRED MAURENBRECHER: Ich weiß es nicht. Das ist eines von denjenigen Liedern, die so schnell passieren; wo ich selber nicht genau weiß wie, was es eigentlich genau bedeutet. Aber da habe ich dann mittlerweile so ein Gefühl: Mach da jetzt nichts mehr dran. Das ist schon ok. Das hat sich spätestens dann rausgestellt, als ich dieses Stück im Duett mit Regi Claasen gesungen habe. Als wir diesen Refrain zusammen gesungen haben, bei einem Konzert in Flensburg, hab ich in dem Moment gedacht: Das ist so genau richtig. Du weißt zwar immer noch nicht, was es bedeutet – und vielleicht weiß das auch sonst keiner, der es grad hört -, aber so stimmts.

Wir sind hier in Deinem Musik- und Arbeitszimmer. Magst Du das Lied eben spielen, dass ich es als Aufnahme oder Video hier in das Gespräch einstellen kann?

 

 

Mit welchem Anspruch schreibst Du eigentlich Deine Lieder? Hat sich der vielleicht auch gewandelt mit der Zeit?

MANFRED MAURENBRECHER: Ich glaube, der Anspruch hat sich nicht gewandelt. Ich hatte nie den Anspruch, mit meinen Liedern Verhältnisse zu ändern, sondern eher zu erklären, aber auch einfach Spaß daran zu haben, am Musizieren, am Singen, am Erzählen.

Du bist kein Missionar.

MANFRED MAURENBRECHER: Gar nicht. Ich finde es ein bisschen schade, dass es jetzt so eine Zeit ist, in der die Menschen eine Art Angst davor haben, dass ein Abend mit Liedern sie überfrachten könnte. Die Leute gehen sofort irgendwo hin, wo sie wissen, da erzählt einer komische Geschichten, oder da kann gelacht werden, aber sie wissen häufig nicht mehr, dass so etwas wie Musizieren und mit dem Musizieren Gefühle zu wecken, auch etwas wirklich Tolles und auch Leichtes sein kann. Ich weiß nicht warum, aber es ist irgendwie ausgetrieben worden. Vielleicht haben viele Menschen diese Erfahrung zwischenzeitlich seltener gemacht. Sie schrecken jedenfalls davor zurück. Das ist vielleicht auch etwas zeittypisch Deutsches. Ich bin zum Beispiel gerade neulich erst in Warschau aufgetreten. Da denken die Menschen jedenfalls nicht: Oh, da tritt ein Liedermacher auf. Vorsicht, das könnte anstrengend werden. Die freuen sich, wenn Gefühle bei ihnen angeregt werden, denen sie sich ergeben können. Und da ist bei uns eine große Abwehr. Das ist wirklich merkwürdig.

Gibt es junge Liedermacher, die Dir auffallen?

MANFRED MAURENBRECHER: Da gibt es eine ganze Menge. Sebastian Birr finde ich einen tollen Songschreiber. Ralf Schüller. Marlen Pelny, eine junge Lyrikerin und Liedermacherin, oder Nadine Maria Schmidt.

Was macht Liedermacher aus, was unterscheidet sie von Popmusikern zum Beispiel?

Foto. Kristjane Maurenbrecher
Foto. Kristjane Maurenbrecher
MANFRED MAURENBRECHER: Ich genieße es sehr, den ganzen Abend Geschichten zu erzählen, zu singen und dazwischen auch immer längere Strecken Klavier zu spielen.

Ich genieße eben auch das Musizieren sehr. Ich habe mir jetzt öfter überlegt, was wäre, wenn ich nur Lesungen machen würde, wie es ja viele Kollegen tun. Das würde mich nicht sehr reizen.

Ganz leise sein zu können, aber auch ausflippen zu können und mir dafür kleine Drehbücher zu schreiben, verschieden Stücke, die verschiedene Sorten von energetischen Antrieb erfordern, um dann an einem Abend dieses ganze Spektrum zu durchleben, das finde ich das Reizvolle.

Dass Du jetzt eine sehr persönliche CD geschrieben hast, kann das auch damit etwas zu tun haben, dass der Politikbetrieb, so, wie er jetzt läuft, Dich beim Liedermachen, wie viele Menschen auch, ins Private zurückziehen lässt?

MANFRED MAURENBRECHER: In jedem Fall war bei dieser CD die Tendenz, und das wird mir jetzt auch durch dieses Gespräch deutlicher, die tagespolitischen Statements, die ich ja auch in den letzten zwei Jahren abgegeben habe, nicht mit dazu zu nehmen. Weil ich das eigentlich ein bisschen wie, ja, Beschmutzung wäre zu viel, aber es hätte die CD getrübt.

Und ich muss auch ehrlich sagen – wir machen jetzt ja gerade wieder zu fünft im Mehringhoftheater unser Jahresendkabarett hier in Berlin und dadurch ist mir die Aktualität natürlich näher gerückt -, dass ich mich diesmal zur Tagespolitik habe aufraffen müssen. Auf der politischen Seite fehlt es an wirklich Verbündeten. Die leben da schon in ihrer eigenen Welt, auch die Poliitker, die mir von der Sache her nahestehen. Am Fall von Herrn Wulff ist mir deutlich geworden, dass ich eine große Distanz auch zu denen habe, die ich als politische Freunde bezeichne. Ich habe kein Verständnis dafür, dass ein Typ wie dieser Wulff, der insgesamt wenig geleistet hat, dem man natürlich auch übel mitgespielt hat, und den man medienmäßig benutzt hat, um von anderen Dingen abzulenken, das der jetzt 16.000 im Monat einsteckt und selber dazu sagt, das stünde ihm lebenslang zu und er sähe nicht ein, dass er nochmal arbeiten gehen müsse wie fast alle anderen Menschen auch. Dass dann selbst Leute aus dem linken Spektrum für diese Haltung Verständnis aufbringen. Da denke ich: Ok. Ihr seid offenbar wirklich eine Kaste, abgekapselt. Für mich ist Herr Wulff ein Asozialer – nicht wegen der Dinge, die man ihm vorgeworfen hat, sondern wegen der Weigerung, sein Geld jetzt, hinterher, durch normale Arbeit zu verdienen. Wie es in unserem Programm Bov Bjerg formuliert: Die 16000 pro Monat an Wulff sind eine Demütigung des Empfängers. Nur, dass er und seine Freunde das offenbar gar nicht empfinden.

Genauso schlimm finde ich aber, dass diese, nennen wir sie also ruhig so, Kaste sich gegenseitig noch untereinander verteidigt, irgendwie, so scheint es fast, gegen den äußeren Feind, die Bevölkerung. Wie damals der Adel.

MANFRED MAURENBRECHER: Es bekommt den Anschein, leider.

Abschließend: Was passiert musikalisch im laufenden Jahr? Du gehst auf Tournee mit Deiner neuen CD?

MANFRED MAURENBRECHER: Ja, im Herbst mit der Band. Vorher, vom 30. Januar bis zum 2. Februar stellen wir die neue CD täglich im Mehringhof-Theater vor. Und, wie in jedem Jahr, mache ich auch wieder viele Solo-Auftritte.

Was wird noch Dein Jahr bestimmen?

MANFRED MAURENBRECHER: Viele Lesungen mit Veronika Fischer. Ihre Autobiographie, an der Kristjane Maurenbrecher und ich mitgearbeitet haben, wird im Frühjahr zur Leipziger Buchmesse erscheinen. Sie heißt ,Das Lügenlied vom Glück‘. Veronika Fischer war die bekannteste Popsängerin der DDR. Sie ist sehr jung sehr bekannt geworden, wechselte 1981 von Ost – nach Westdeutschland, ihr Buch ist ein Blick hinter die Kulissen. Es wird Lesungen von Veronika und mir geben, manche auch mit einigen Musikern, als Konzertlesung.

Vielleicht finde ich auch noch die Zeit einen neuen Roman anzufangen.

Und, besonders an dieser Stelle ganz wichtig zu erwähnen: Ich werde ja jetzt im Januar damit beginnen, eine monatliche Kolumne für Wirtschaft und Gesellschaft zu schreiben. Auf dem Schnittpunkt zwischen Politik und Kultur!

 

Maurenbrecher-Mehringhof-TheaterDas Interview mit Manfred Maurenbrecher hat Thorsten Hild geführt und zuerst auf seiner Seite Wirtschaft und Gesellschaft veröffentlicht. Dort ist am 27. Januar 2013 auch schon die erste Glosse Am Rande vom Markt der oben erwähnten Kolumne erschienen. Wir bedanken uns für die Erlaubnis, das Interview hier übernehmen zu dürfen und möchten Euch gleichzeitig Wirtschaft und Gesellschaft bei Facebook empfehlen.

 

Zur Homepage Manfred Maurenbrecher – hier können seine CDs direkt bestellt werden. Karten für die Vorstellung seiner neuen CD „no go“ mit Band im Mehringhof-Theater vom Mittwoch, 30. Januar bis zum Samstag, 2. Februar 2013 können telefonisch unter 030.691 50 99 bestellt werden. Infos Mehringhof-Theater .

 

 

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