Reinhard Mey: „dann mach’s gut“
von Gilles Chevalier
Den Drei-Jahres-Rhythmus für neue Studioalben hat Reinhard Mey eingehalten. Pünktlich wie ein Uhrwerk legt er eine CD mit 17 Titeln und über 74 Minuten Spielzeit vor. Klar, dass es für die Vinyl-Ausgabe ein Doppelalbum geworden ist. Heute erscheint „dann mach’s gut“.
BERLIN (gc) – Auch wenn der Titel seines 26. deutschsprachigen Studioalbums vermuten lässt, er wolle einen Schlussstrich unter sein Liedermacherdasein ziehen – nein, liebe Fans, es soll auch in Zukunft weiter beobachtet, gedichtet und komponiert werden. So Mey zur Berliner Morgenpost am 31. März 2013.
Ein dickes, 24-seitiges Booklet mit allen Texten und einer Reihe Schnappschüsse aus dem Familienalbum gibt es obendrauf. Und das Thema Familie ist auch gleichzeitig die tragende Säule dieser Platte.
Wie bei einem Familienfest sind die wichtigsten Menschen im Leben des Künstlers beisammen. Besungen wird nicht nur die Ehefrau, das gab es schließlich schon öfter. Erstmals sind auch alle drei erwachsenen Kinder Meys mit eigenen Liedern bedacht worden. Und dem Anfang vergangenen Jahres geborenen Enkel wünscht er in „Fahr‘ dein Schiffchen durch ein Meer von Kerzen“ ein glückliches, erfülltes und sorgenfreies Leben: „Mögen Dir die Herzen immer zufliegen wie heute.“
Die klassischen Themen des Reinhard Mey werden auch auf „dann mach’s gut“ besungen: Da sind die Kindergeschichten und die Kindheitsgeschichten, die Liebeslieder und die sanften Protestlieder. Auch musikalisch bleibt sich Mey treu. Fast meint man, musikalische Muster für bestimmt Themenbereiche zu entdecken. Die sanften Harmonien und der typische Klang dominieren über weite Strecken.
Mutig wird er bei „Vaters Mantel“, einem Erbstück wohl seines Schwiegervaters, das er mit Stolz und nur bei besonderen Anlässen trägt. Hier wagt er sich eindringlich schneidend an den Refrain: „Aber diesen Mantel, den näht er für sich! / Vaters Mantel.“ Der Schmerz und die Anstrengung zur Fertigung dieses Kleidungsstücks werden körperlich spürbar.
Auch bei „Spielmann“ macht der Refrain besonderen Spaß. Es ist ein ungeschönter Blick zurück auf den eigenen künstlerischen Werdegang. „‘Reinhard, Reinhard, was soll nur aus dir werden?‘“ fragen die Angepassten und Wohlmeinenden in des Künstlers jungen Jahren. Und der Künstler, kurz vor Weihnachten wurde er 70 Jahre alt, antwortet zu einer wilden, an Mittelalterliches erinnernde Musik: „Spielmann bin ich geworden, bin ein Stelzenläufer, / Gaukler bin ich, Seiltänzer, ein Taugenichts“. Immer wilder wird die Musik, bis man am Ende am liebsten mit dem Spielmann um das Lagerfeuer tanzen möchte.
Ganz ruhig dagegen „Lieber kleiner Silvestertag“, ein Lied an den letzten Tag des Jahres. Festlich hat er sich zurechtgemacht, doch die Menschen beachten das Besondere an ihm gar nicht. Stattdessen überfrachten sie ihn mit unrealistischen Wünschen und Sehnsüchten. Jetzt muss gefeiert werden: „Musst du heut glitzern und lustig sein und sei es mit Gewalt.“ Fröhlich sein auf Kommando ist eben etwas schwierig. „Beim Glockenschlag / Um Mitternacht / Kommt, kleiner Tag, / Die letzte Schlacht.“ Reinhard Mey hat nicht gespart und lässt das neue Jahr sogar mit dreizehn Glockenschlägen einläuten! Der schnelle und künstlich erzeugte Glanz ist eben auch ein schnell vergehender Glanz: „Blaulicht mischt sich ins Feuerwerk und Martinshorn in die Musik / Auf den Fluren im Krankenhaus: Szenen wie im Krieg.“
Berührende Stücke gibt es natürlich auch auf dem neuen Album. „Dann mach’s gut“ zum Beispiel, das von den letzten Begegnungen mit seinem zweitgeborenen Sohn erzählt, bevor dieser vor mehr als vier Jahren ins Wachkoma fiel. Zeilen wie „Wir hatten doch alles, aber wir wussten es einfach nicht“ und „Wir begreifen unser Glück erst, wenn wir es von draußen sehen“ erinnern eindrücklich daran, nichts im Leben für selbstverständlich zu nehmen und auch die Kleinigkeiten zu würdigen.
In diesem Zusammenhang von Leid und Schmerz steht auch „Lass nun ruhig los das Ruder“. Ein tief bewegendes Lied über den Tod, das gleichzeitig Mut macht. „Du bist sicher, Schlafes Bruder / Wird ein guter Lotse sein“ heißt es da. Gleichzeitig wird der Tod als ein Teil des Lebens anerkannt. „Nein, hadern dürfen wir nicht – / Doch wir dürfen weinen.“ Toll!
Herausragend auch „Wenn schon Musik“. Ein Hochzeitstag der Eheleute Mey, verbracht in einem romantischen Hotel. Leider stört ein „verwunschner Pianist“ beim letzten Glas Veltiner. Und die Ehefrau stellt fest: „‘Dieses Geklimper ist ganz einfach unerträglich. / Wenn schon Musik, dann muss es ein Gitarrenspieler sein!‘“ Das ist auch neu für Reinhard Mey, über empfangene Liebeserklärungen zu singen!
Ein Flügel ist es jedoch, der den Hauptteil der musikalischen Begleitung in „Es ist an der Zeit“ übernimmt. Mit diesem Klassiker der Friedensbewegung zieht Reinhard Mey den Hut vor dem großen Kollegen Hannes Wader. Auch er wurde im vergangenen Jahr 70 Jahre alt. Schade, dass sich im Booklet kein Hinweis auf ihn findet. Sind doch sonst die Musiker aller Stücke verzeichnet. Für die Gitarren tauchen Jens Kommnick, Ian Melrose und Jeanmarie Peschiutta besonders häufig auf. Antoine Pütz am Bass und Manfred Leuchter an Flügel und Keyboards seien auch genannt.
Selbst der für den „Italienisch-Check“ zuständige Mario Tamponi ist verzeichnet. „Sally“, das letzte Stück des Albums, singt Mey nämlich italienisch. Eine Premiere – und neben dem „M(e)y English Song“ von 1985 und einem griechischen Refrain in „Drei Stühle“ von 1996 sowie LP-Veröffentlichungen in niederländischer und französischer Sprache eine neue Möglichkeit für Reinhard Mey, das Publikum auf seine ganz eigene Art bestens zu unterhalten.
Gilles Chevalier © 2013 BonMot-Berlin
Wunderbar. So eine Rezension macht Lust auf’s Hören!
Eine wunderbare Kritik dieses Albums! *kompliment