Zwischenbilanz der Alternativlosen – Kritik Michael Frowin
Michael Frowin: ‚Anschnallen, Frau Merkel!‘
von Gilles Chevalier und Beate Moeller
BERLIN – Pünktlich mit dem lauter werdenden Wahlkampfgetöse hat sich Michael Frowin mit seinem Programm ‚Anschnallen, Frau Merkel!‘ in die Bundeshauptstadt begeben. Im Mehringhoftheater feierte er mit einem prächtig amüsierten Publikum Berlin-Premiere.
Michael Frowin gibt hier den Chauffeur der Kanzlerin. Ohne ihn wäre die mächtige Frau noch orientierungsloser! An sich ist das schwer vorstellbar, wechselt die Kanzlerin doch ihre Meinungen schneller „als eine Bordsteinschwalbe die Lümmeltüten“. Siehe Atomausstieg, Mindestlohn und Betreuungsgeld. Doch jetzt hat „die nur farblich wechselnde Dreiknopfleiste“ im Dienstwagen ihr ebenso pinkfarbenes wie geheimes Tagebuch vergessen. Frowin hat es an sich genommen und rezitiert daraus mit diebischer Freude in kokettem Mädchen-Merkel-Duktus.
So kommt das Publikum zu intimen Einblicken. Egal, ob es um Merkels Träume, Kabinettsmitglieder, ausländische Politiker oder den Plan eines „Neuen Runden Tisches zur Rettung Europas“ geht. Michael Frowin hat die Lacher auf seiner Seite. Das liegt einerseits an seinen verblüffenden Schlussfolgerungen, andererseits an seinem parodistischen Können. Er macht seine Figuren kenntlich, ohne sie zu überzeichnen. Die Prominenten der dritten Kategorie, wie Karl Lagerfeld, Richard David Precht und Daniela Katzenberger zum Beispiel, die zusammen mit Politikern an besagtem „Neuen Runden Tisch“ sitzen.
Ganz klar, die Kanzlerin ist die Hauptfigur in „Anschnallen, Frau Merkel!“ Doch das Programm ist auch eine Bestandsaufnahme der politischen Gegenwart. Michael Frowin kann sich nämlich in Rage reden über die Pläne zur Privatisierung der Wasserversorgung oder die Frage „Merkel oder Steinbrück – wer ist alternativloser?“ Mehdorn möchte den Flughafen BER jetzt stufenweise in Betrieb nehmen. „Für uns heißt das: Einchecken im Sommer, Boarding im Herbst, Abflug zwanzig-dreissig.“ Auch das naive Pflanzen einer Mahn-Eiche in Rostock-Lichtenhagen durch den Bundespräsidenten oder das gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz regen Frowin auf: „Wenn Heuchelei Rollstuhl fahren könnte, müsste Schäuble bergauf bremsen.“
Aufgelockert wird das alles von einigen Schenkelklopfern. Da wird im Stile der „Sendung mit der Maus“ erklärt, warum Merkel ehrlich und sympathisch auf negative Art ist: „Klingt komisch, ist aber so.“ Auch die Beschreibung des Service-Gedankens gehört in diese Kategorie, denn „deutscher Service ist, in der Warteschleife zu hocken.“ Köstlich, wenn man mit „Reinhilde Schlapper-Rammelmann“ die Zeit bis zur Zeitansage aushalten darf. Zwei ansprechende Chansons setzen Akzente.Da ist das fein verjazzte Stück über den Alltag des Bundestagsabgeordneten Max Mustermann. Von Glamour fehlt in seinem Leben jede Spur! Sehr eindringlich dagegen das Chanson über einen Mann, der abends unbedingt „Mord und Totschlag, Krieg und Hunger, Niedertracht und Inzest“ im Fernsehen betrachten muss, um ruhig einschlafen zu können. „Ich muss wissen, dass die Leute bleiben wie sie sind, weil meine Träume sonst Alpträume sind.“ – Sind wir nicht alle ein wenig so gepolt? Achten wir nicht alle auf politische Korrektheit, um niemandem zu nahe zu treten?
Zu viel politische Korrektheit sieht Frowin kritisch – und macht dann auch gleich eine Reihe von ausgrenzenden, bösen Witzen auf Kosten von Minderheiten – Zeugen Jehovas, Schwaben, Behinderte. Sehr zur Gaudi des Publikums! Wie viel Humor ist erlaubt? Dürfen Stan und Ollie noch ‚Dick und Doof‘ heißen, oder müssen wir sie jetzt „Vollschlank und Geistig Herausgefordert“ nennen? Wir sollten aufpassen, dass wir nicht zu „moralischen Pfennigfuchsern“ werden.
Ein Abend über ein vermeintlich so lachhaftes Thema wie unsere Bundeskanzlerin kann bei Michael Frowin in Selbstreflexion münden. Mit ‚Anschnallen, Frau Merkel‘ ist ihm ein exzellentes Programm gelungen. Da stimmt die Dramaturgie, mit verschiedenen Spielformen und Figuren lotet er die Möglichkeiten des Kabaretts aus und überhaupt: Dieser Kanzlerinnen-Chauffeur ist schlichtweg eine durch und durch sympathische Type. Der Macht so nah und trotzdem Mensch geblieben. Wahrscheinlich deshalb wirken kluge oder komplizierte Gedanken in keinem Moment überheblich, sondern einfach nur plausibel. Humor und Intellekt auf unterschiedlichen Niveaus zu fordern, ist Frowins Kunst – macht richtig Spaß!
Gilles Chevalier/ Beate Moeller © 2013 BonMot-Berlin
Fotos: Stefan Erhard und Holmsohn
die nächsten Termine ‚Anschnallen, Frau Merkel!‘:
30. Mai 2013: Hamburg, Das Schiff
15. Juni 2013: Kiel, Das Schiff on Tour
21. Juni 2013: Lörrach
22. Juni 2013: München, Lach- und Schießgesellschaft
Fernsehen:
23. Juni 2013, 22 Uhr: ‚Kanzleramt Pforte D‘
Polit-Satire – mit Michael Frowin, Lothar Bölck und Reiner Kröhnert
Live aus dem Neuen Theater Halle, MDR-Fernsehen
Vorschau:
16. + 17. September 2013: Berlin, Wühlmäuse
Premiere ‚Keine Kunst‘ mit Thomas Quasthoff & Michael Frowin
Homepage Michael Frowin – Homepage Das Schiff
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