Berlin-Report mit Wahlkampf-Special – Kritik Heiko Werning & Nils Heinrich

Heiko Werning & Nils Heinrich:
„Voll die Lutscher – Spannende Lieder & Texte für Erwachsene“

Nils Heinrich & Heiko Werning Plakatvon Gilles Chevalier

BERLIN – Zur Eröffnung der neuen Saison hat das Berliner Mehringhoftheater Heiko Werning und Nils Heinrich eingeladen. Vier Tage lang spielen sie eine politische Leseshow mit Musik.

„Wir sind beide über 40 und zu einer Ü-30-Party sagen wir jetzt ‚Embryo-Schubsen‘“, sagt Nils Heinrich zu Beginn. Am Sonnabend, 24. August, feiern sie gemeinsam den 85. Geburtstag – mit Gästen und Tischfeuerwerk!

Eine größere Strecke haben sie davon schon gemeinsam zurückgelegt, ausgehend von der Berliner Lesebühne „Brauseboys“. Die existiert seit zehn Jahren im Berliner Ortsteil Wedding. Heiko Werning gehört den Brauseboys noch immer an, Nils Heinrich wandelt inzwischen mehr auf solistischen Pfaden. Nachvollziehbar, dass sich die beiden mit ihrem gemeinsam hohen Alter an ihre Wurzeln erinnern.

Heiko Werning ist dabei der alteingesessene Berliner mit 20 Jahren Lebenserfahrung im Wedding. Dieses Quartier wandelt sich langsam vom sozialen Brennpunkt zum hippen Viertel. Werning nimmt diese Veränderungen wahr und gießt sie in seine Geschichten. Er fragt sich, ob gerade die Gentrifizierung stattfindet, weil eine große Gruppe Aufgebrezelter in seinem Hausflur auf eine Wohnungsbesichtigung wartet.

Die steigende Zahl von Spätkauf-Geschäften, diesen Nachfolgern des Tante-Emma-Ladens mit ganz eigenwilligen Öffnungszeiten, macht ihn skeptisch. Aber den Spätkauf mit einem pathetischen Lied am Klavier zu feiern, lässt er sich nicht entgehen. Er beobachtet Touristen und den Sprachgebrauch von 7-jährigen Kindern auf dem Hof. Dabei wirkt er sehr bodenständig – so, als sei für den gebürtigen Westfalen schon heute klar, nie mehr aus dem Wedding wegziehen zu wollen.

Nils Heinrich ist da aus anderem Holz. Der Mann aus dem südharzer Sangerhausen in Sachsen-Anhalt hat die Welt gesehen. Jedenfalls die in Hannover, Berlin und Stuttgart. Er gibt den Weltbürger, den Eloquenten und Eleganten. Vom Oktoberfest-Abenteuer in München mit seinem japanischen Freund weiß er zu berichten und seinem Laptop widmet er ein Gedicht.

Der kleinen Straße in Stuttgart, die vier Jahre lang seine Heimat war, setzt er mit dem „Häusle-Bau-Hip-Hop“ als MC Massivhaus ein musikalisches Denkmal. Das Musikalische ist sein Element. Mit seiner Silent Guitar, einer elektrischen Gitarre ohne Korpus, die auf Knopfdruck den passenden Sound für das Lagerfeuer oder das Wacken Open Air liefern kann, besingt er den Supermarkt oder den Nachtbus – in einer herrlichen Parodie auf Tina Turners „Nutbush City Limits“.

Wenn es um das Politische geht, reichen sich Nils Heinrich und Heiko Werning wieder die Hände. Das treibt sie beide um. Nils Heinrich trägt Wähler-Psychogramme für einzelne Parteien vor: „Du, CDU-Wähler, hast noch nie E-10 getankt, denn das macht das Auto schwul.“ An seiner Silent Guitar bekennt er „Ich habe Schröder gewählt“. Dann zieht sich Heinrich in die Multimedia-Ecke zurück und projiziert mit einem Beamer Fotos von aktuellen Wahlplakaten auf eine improvisierte Leinwand. Die Texte der Plakate hat er jedoch ein wenig verändert…

Heiko Werning setzt zu einer Philippika gegen Katrin Göring-Eckardt an. An dem kleinbürgerlich-theologisch geprägt erscheinenden Wesen der Spitzenkandidatin der Grünen lässt er kein gutes Haar. Hat sie doch als Fraktionsvorsitzende im Bundestag den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr durchgepeitscht und in der Sitzungspause vom Projekt „Schwerter zu Pflugscharen“ geträumt. Das ist einer der großen Momente an diesem Abend. Aber die Entscheidung am 22. September macht diese Nummer auch nicht leichter.

Gilles Chevalier © 2013 BonMot-Berlin

Heiko Werning & Nils Heinrich:
„Voll die Lutscher – Spannende Lieder & Texte für Erwachsene“
noch bis Sa, 24. August 2013: Berlin, Mehringhof-Theater, 20Uhr
Kartentelefon: 030.691 50 99
Tickets: 17/ 20 Euro, ermäßigt: 13/ 15 Euro

3 Gedanken zu “Berlin-Report mit Wahlkampf-Special – Kritik Heiko Werning & Nils Heinrich

  1. Alfred Capone 13. Oktober 2013 / 15:19

    Toller Bericht, es ist mir neu, dass Sangerhausen in Thüringen liegt. Es ist ja nicht sehr weit nach Nordhausen, dank der neuen Autobahn. Die Sprache gibt auch nichts her im Dreiländereck Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – anfangs musste ich schon immer einen Dolmetscher mitbringen.

    • www.liveundlustig.de 19. Oktober 2013 / 18:24

      * Manchmal versuchen wir eben Berge zu vesetzen oder Ländergrenzen zu verschieben. Zum Beispiel die zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen. Kann ja nicht jedes Mal klappen. Da nun Alfred Capone und der Rest der Welt darauf bestehen, dass sich Sangerhausen weiterhin in Sachsen-Anhalt befindet, wollen wir keine Spielverderber sein und sind bereit, uns der Mehrheitsmeinung anzuschließen. Ja, man kann es laut sagen: NICHT IN THÜRINGEN, SONDERN IN SACHSEN-ANHALT LIEGT SANGERHAUSEN!

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