Im freien Fall – Kritik Martin Großmann
Martin Großmann: „Trüffelschweine“
von Gilles Chevalier
BERLIN – Martin Großmann spielte dieser Tage sein Programm „Trüffelschweine“ im Berliner Mehringhoftheater. Ein aufregender Theaterabend in bester Kleinkunsttradition.
Großmann verzichtet völlig auf Bühnendekoration und Lichteffekte. Er füllt die Bühne allein aus, hat nur seinen Rucksack dabei, aus dem er einen Spaten zieht, um zu graben. Er sucht etwas am Rande der Einfamilienhaus-Siedlung, die in Kindertagen seine Heimat war. Heute ist sie größtenteils verwaist, weil die Häuser aus billigem Material gebaut worden waren und jetzt verfallen.
Die Bahnstrecke bietet ihm Orientierung. Dort hat sich eine ganze Reihe Hausbesitzer entleibt, weil sie mit der Tilgung der Hypothek nicht nachkamen. Schicksale der frühen achtziger Jahre, die die Hauptfigur des Abends nichts angehen. Die heißt Conny Kramer – und wer jetzt an Juliane Werdings Lied „Am Tag als Conny Kramer starb“, denkt, liegt nicht so ganz falsch. Großmanns Trüffelschweine laufen aber in eine andere Richtung. Sein Conny Kramer ist ein wahrer Sunnyboy. Er will es besser machen als seine Eltern, die sich den Buckel krumm gearbeitet haben. Kramer ist ein Typ, dem alles gelingt: Börsenspekulationen und Wetten sind seine Welt. Seine erfolgreiche Welt, sagt er anfangs.
Recht schnell stellt sich heraus, dass dieser aggressive und skrupellose Spekulant in Wirklichkeit ein Wettsüchtiger und Verlierer ist. Nach außen hin will er jedermanns Freund sein und macht auf Graf Koks von der Gasanstalt. Gönnerhaft erklärt er die Börsenwelt der Puts und Calls. Und vor allem: Welche enormen Gewinne er schon aus seinem Wissen generiert hat!
Doch je mehr er erzählt, desto klarer wird: So richtig laufen die Geschäfte nicht. Eigentlich laufen sie gar nicht, denn Kramer hat inzwischen Schulden.
Zu allem Überfluss hat ihn auch noch seine Frau hat ihn verlassen. Und das nur, weil er den Kühlschrank nach einer verlorenen Wette mit einer Hypothek belegt hat! Auch die Beteuerung: „Der steht zwar jetzt beim Ronny, aber er gehört immer noch uns!“, hilft da nicht weiter.
Die letzte Chance ist nun, mit dem Spaten das Gesuchte zu finden. Dann wäre er alle Schulden los, könnte auch den Kühlschrank auslösen und seine Frau käme zu ihm zurück.
Mehr sei von der überaus komplexen Handlung hier nicht verraten. Ein guter Teil des Spaßes bei Martin Großmanns Programm „Trüffelschweine“ besteht nämlich aus dem Entwirren der Handlungsfäden. Genial, wie er dem Zuschauer von Minute zu Minute die Geschichte offenlegt. Wendungen, Haken und Ösen natürlich eingeschlossen.
Auch die Nebenfiguren, die er teils spielt und teils nur am Telefon hat, fügen sich nahtlos in diese verkorkste Lebensgeschichte ein. Der Spielkamerad, mit dem er in Kindertagen zusammen an einem Baumhaus gebaut hat, ist heute sein Banker. Konflikte aus der Kindheit werden auch 30 Jahre später noch fortgeführt. Schließlich lebt der Bauer, dem er damals Streiche spielte, immer noch.
Mögen kann man die Hauptfigur Conny Kramer nicht, dafür ist sie zu menschenverachtend und zu zynisch. Aber der Schluss des Stückes zeigt: Es geht immer noch schlimmer! Solche Aha-Erlebnisse zeichnen den Abend aus und fordern vom Zuschauer auch nach zwei Stunden noch problemlos die volle Aufmerksamkeit. Von einem bestimmten Zeitpunkt an, bringt jeder Satz neue Erkenntnis und schließt den Bogen. Chapeau für Martin Großmann.
Gilles Chevalier © 2013 BonMot-Berlin Ltd.
Fotos: Rudolf Melcak/ passau-live.de
nächste Auftrittstermine:
Sa, 7. + So, 8. September 2013: Köln, Stollwerk
Sa, 21. September 2013: Freising, Lindenkeller
Do, 26. September 2013: Frankfurt, die KÄS
Sa, 28. September 2013: Ingolstadt, Sportgastätte Etting
Sa, 5.Oktober 2013: Passau, Scharfrichterhaus
Do,10. Oktober 2013: Traunreut
Homepage Martin Großmann – Programm Mehringhoftheater
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