Der dritte Wettbewerbsabend in Sankt Ingbert 2013 – Kritik
C. Heiland, Markus Barth und Harry & Jakob
von Gilles Chevalier
ST. INGBERT – „Scheiße ist das schön“ heißt das Programm von
C. Heiland. Er trägt eine Brille, wie sie eindimensionale Fachidioten tragen. Auf Deutsch heißen solche Leute Nerds. Auch die Kleidung ist tadellos. Anstoß will er nicht erregen, es lieber jedem rechtmachen. Setzen sich Leute wie C. Heiland auf den gegenüberliegenden U-Bahn-Sitz, aktiviert sich von selbst der Fluchtreflex.
Doch flüchten gilt hier nicht. Schließlich sind wir in der Stadthalle von Sankt Ingbert beim dritten Wettbewerbstag um die Sankt Ingberter Pfannen. Also heißt es zuhören, dem
C. Heiland und seinem Omnichord. Das ist ein elektronisches Instrument aus Japan, das
Dieser Mann ist zwar auf Mission und will das Gemeinschaftsgefühl im Publikum entwickeln. Doch etwas Integratives geht ihm völlig ab! Er macht sein Ding auf der Bühne, verweigert sich konsequent jeder brauchbaren Pointe und unterbricht seine eigenen Songs mittendrin, um den Inhalt zu erklären. Zehn Jahre lang habe er mit psychisch kranken Straftätern gearbeitet und seit drei Jahren sei er Single. Man reibt sich verwundert die Augen: Erst drei Jahre…
Mäßige Blinden- und Blondinenwitze können die Lage nicht bessern. Auch die große Sammlung vierzeiliger Lieder zum Mitsingen zündet nicht, denn nur einer im Saal kennt den Text: C. Heiland! Wer neugierig auf Fremdschämen war und schon vor Beginn der Veranstaltung gute Laune hatte, genießt diesen Auftritt. Alle anderen spenden freundlichen Applaus.
Mehr Bewegung bringen dann Harry Kienzler und Jakob Nacken in den Abend. Jedenfalls mit ihren Armen. Denn mit denen fuchteln Harry & Jakob ziellos auf der Bühne herum. Dabei haben sie in ihrem Programm „Siegertypen“ nichts zu spielen, sondern nur aufzusagen. Sie sind Poetry Slammer und tragen ihre Texte in gebundener Form vor, rappen auch gelegentlich.Das sind gewaltige Sprachkaskaden, die da in die Zuschauerreihen schießen. Bisweilen chorisch erzählen sie von ihrer angeborenen Schüchternheit, die sie zur Poesie gebracht hat. Dadurch sind sie zu „Siegertypen“ geworden und wissen jetzt ganz genau, „was Siegertypen auf dem Pausenbrot haben – Siegenkäse!“ Sie lassen Goethe und Schiller in einem Dichterwettstreit antreten, der in einer brutalen Schlägerei endet und vom Schnecken-Gedicht gelangen sie zum Hirsch-Gedicht – mit röhrendem Jakob auf der Bühne.
Obwohl manches übertrieben und gestelzt wirkt und (Schülertheater-)Pädagogisches zu klar hervortritt, hat das Programm seine Höhepunkte. Etwa beim improvisierten Gedicht über zwei Begriffe oder sogar einem ganzen Satz, der vom Publikum eingeworfen wird. Oder beim Gedicht „Zahlen bitte“, wo ersat2se 1zelne Wortteile durch Zahlen ersetzt werden. Alle 8ung! Das Publikum zeigt sich begeistert.
Markus Barth gelingt es schließlich, den Abend so abzuschließen, dass er zuschauerübergreifend als angenehm empfunden wird. „Mitte 30 und noch nicht mal auferstanden“ heißt sein Programm, in dem er rechtzeitig vor Erreichen der Midlife-Crisis eine Zwischenbilanz zieht. „Es ist egal, wann Du Deinen Bachelor machst – die Welt braucht immer Taxifahrer“, ist seine Einstellung zum Studieren.Jetzt, mit Mitte dreißig, gehen Veränderungen in den Menschen vor: Man ist im Leben angekommen, aber dafür wachsen Haare plötzlich an den unmöglichsten Stellen des Körpers. Die Leute beginnen zu joggen, tragen dabei aber leider wenig kleidsame, hautenge Funktionskleidung. Und sie fangen an, „Tatort“ zu schauen: „Tatort, das sind Krimis für Menschen, denen Krimis zu spannend sind.“
Unaufgeregt und unterhaltsam erzählt Markus Barth davon, nicht mehr alles mitzumachen. Jetzt wird nicht mehr jede Mode mitgemacht, stattdessen stehen Konsum- und Medienkritik im Vordergrund: „RTL 2 von der Fernbedienung zu löschen, ist televisionäres Entschlacken!“ Spitzbübisch zwinkert er dem Publikum zu und bestätigt es in seinem Lebensweg. Dankbar für soviel für so viel lachbare Unterhaltung spendet es begeisterten Applaus und klatscht rhythmisch.
Gilles Chevalier © 2013 BonMot-Berlin
Fotos: aus den PR-Bereichen von den Homepages der Künstler
Foto C. Heiland: Julia Braun
Zum Programmüberblick 29. Wettbewerb um die Sankt Ingberter Pfannen 2013 HIER
Homepage C.Heiland – Homepage Harry & Jakob – Homepage Markus Barth
Homepage Philipp Scharri – Homepage Sankt Ingbert
Liveundlustig-Berichte über die Sankt Ingberter Pfanne 2012 / 2011 / 2010
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Ich bin gerade über Ihren Verriss von C. Heilands Auftritt bei der St. Ingbert Pfanne gestolpert und muss gestehen, dass ich darüber ein wenig erstaunt bin. Ich habe Herrn Heiland ebenfalls bereits live erlebt und sehe diesen Kabarettisten völlig anders. Mal abgesehen davon, dass er in meinen Augen genau so wie er ist, phantastisch aussieht, hat er eine wunderschöne Singstimme, einen sehr absurden, tiefgründigen Humor und eine Einzigartigkeit, die ihn unverwechselbar macht. Ich bin jedesmal aufs Neue von seinen Auftritten sehr beeindruckt.
Hoops – wir sind erstaunt. Wo lesen Sie einen Verriss? Und was das äußere Erscheinungsbild angeht, hat doch Gilles Chevalier nur die absichtsvoll gestaltete Bühnenfigur von C. Heiland beschrieben, der ja genau deswegen nicht unter seinem eigenen Namen auftritt. Sondern eine Figur zur Schau stellen möchte und stellt. Alles in Ordnung.