Rainald Grebe & Das Orchester der Versöhnung mit „Berliner Republik“ – Premierenkritik

Rainald Grebe_1 - Foto Carlo WankaFulminante Show

von Axel Schock

BERLIN – Fangen wir einfach mal mit dem Schluss an. Dort hat Rainald Grebe jenes Lied platziert, das ihm Ruhm und breiten Bekanntheitsgrad gebracht hat, ihm mittlerweile aber auch ein wenig lästig sein dürfte. Eben das, was für Rex Gildo „Hossa Hossa“ und für Helge Schneider das „Katzeklo“ war: ein massenkompatibles Missverständnis.

Grebe ist Kulturdienstleister genug, um zu wissen, was sein Publikum erwartet, und liefert – ganz großes Kino. Was die zehnköpfige Band so drauf hat, konnte man bereits in den knapp drei Stunden davor bestaunen und genießen. Für die Zugaben hat er sich zudem noch sein munteres Altherren-Streichquartett aus seiner letzten Tourproduktion auf die Bühne geholt.

Mit versammelter musikalischer Kraft kostet Grebe jede feine Nuance seines unverwüstlichen „Brandenburg“-Bashings aus. Im Refrain, dem verheißungsvoll geschmetterten „Halleluja Berlin“, werden schließlich alle Geschütze aufgefahren: Buddy Casino lässt seine Orgel jaulen, die vier Blechbläser schmettern, das Stakkato des Männerquartetts schraubt sich gen Himmel. Und Grebe, hoch über den Musikern inmitten eines Speerschen Lichterdoms stehend, reißt die Arme empor und verharrt in seiner Pose. Wer in diesem Moment keine Gänsehaut verspürt, muss ein Eisklotz sein.

Vor ziemlich genau drei Jahren feierte Rainald Grebe mit seinem Orchester der Versöhnung an gleicher Stelle schon einmal Premiere einer neuen Show. Und Show muss man das schon nennen, was Grebe hier auf der großen Bühne des Admiralspalastes veranstaltet. Musiker und Kabarettist ist Grebe genau genommen erst im Zweitberuf geworden. Seine künstlerischen Wurzeln liegen beim Theater. Er kennt dessen Mittel und weiß sie auch mit Bravour einzusetzen. 2010 griff Grebe in die Vollen und zauberte dabei eine dadaistische Revue auf die Bühne, als wär’ sie von Christoph Marthaler inszeniert worden.

Rainald Grebe_2 - Foto Carlo Wanka
In der Pause schon gefacebookt: Das Publikumsfoto aus dem ersten Teil mitsamt den ersten Kommentaren auf der Leinwand.
Beim neuen Programm „Berliner Republik“ arbeitet Grebe mit einer Armada an Scheinwerfern, mit der man spielend ein Stadion mit Licht fluten könnte; nicht weniger wichtig ist die Leinwand auf der Bühnenrückseite, auf der Fotos und Videoeinspieler die zwei Dutzend neuen Songs bebildern. Bei diesen Liedern bleibt sich Grebe treu. Mal steigern sie sich zu infernalischen Hymnen, mal hetzt er Rappern gleich durch seine spitz formulierten Zeitgeistbeobachtungen. Und wohl niemand anderes wagt so abwegige Hooklines wie er. Aktuelle Beispiele: „Crowdfunding“ und „Multitasker“.

Wenn dereinst uns nachfolgende Generationen sich ein Bild über den Zustand dieser Republik und gewisser Milieus machen wollen, wird ihnen Grebes Liedgut beste Dienste erweisen. Der besser verdienende Teil der Generation Merkel wird in „Kokon“ mit Zweitwohnsitz auf dem Land, Dachterrasse und Spareinlagen verbal gemarkert. Gleich in zwei Songs seziert Grebe die Phrasen von Künstlern und Theatermachern. In „Brunchen“ wiederum lauscht er der neuen konservativen Mitte von Berlin ihre Worthülsen und Befindlichkeiten ab. Wenn es darum geht, in wenigen Sätzen und Begriffen Geisteshaltungen, Gesellschaftsphänomene zu fixieren, spielt Grebe in einer Liga mit Pigor & Eichhorn – wenn auch nicht immer in der gleichen Schärfe und Tiefe.

Rainald Grebe_3 - Foto Carlo WankaManchmal ist Grebe etwas zu schnell mit sich zufrieden. Oder anders formuliert: Er weiß, wann ein Gag zu Tode geritten ist. Dann dauert ein Song eben auch mal nur zwei Verszeilen lang. Oder es genügt ihm, zum funkigen „Superstition“ seines formidablen Orchesters mal kurz mit übergroßer Stevie-Wonder-Brille auf die Bühne geführt zu werden, und schon geht’s auch weiter im Programm. Bassist Serge Radke wiederum muss eine Nummer lang auf dem Fitness-Laufband spielen. Nicht alles muss sinnig sein, solange es Spaß macht. Und Spaß macht Grebes neue Show, den Zuschauern wie auch seinen Musikern. Die dürfen sich an Polka und Sirtaki-Klängen austoben und auf den Spuren der Andrew Sisters wandeln. Vor allem aber degradiert sie Grebe nicht zu angestellten Instrumentenbedienern, sondern bindet sie als gleichwertige Akteure mit ins Bühnengeschehen ein.

Und die titelgebende Berliner Republik? Die beginnt bei Grebe geradezu traumatisch auf dem Brandenburger Tor, bevor er mit uns (auf der Leinwand) das Land überfliegt und uns singend statisches Zahlenmaterial um die Ohren haut. In „Meine Heimat“ wiederum erlebt er sie im Tourbus quer über Landstraßen und Autobahnen mit starrem Auge auf die Leitplanken, und DJ Smoking Joe liefert einen hypnotisch-elektronischen Soundteppich dazu. Erfahrungsgemäß kristallisieren sich aus jedem Grebe-Programm zwei, drei Songs heraus, die über den Tag und das aktuelle Programm hinaus ihre ureigne Qualität beweisen. „Meine Heimat“ könnte solch ein Lied werden. Demnächst also im Zugabenblock, direkt vor „Brandenburg“.

Noch bis zum 30.12.2013 im Admiralspalast in Berlin
Beginn der Deutschlandtour am 1. April 2014
Tickethotline für die Berliner Vorstellungen: 030-479 974 77,
für die Tour-Stationen 01806-57 00 99

Homepage Rainald Grebe

Fotos: © 2013 BonMoT-Berlin

2 Gedanken zu “Rainald Grebe & Das Orchester der Versöhnung mit „Berliner Republik“ – Premierenkritik

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