Das „Schülerkabarettensemble“ bei den „Ei(n)fällen“ 2014
von Gilles Chevalier
COTTBUS – Einen Ensemblenamen haben sie nicht, einen Titel hat das Programm auch nicht. Soll man sich so etwas wirklich ansehen? Und zu einer ungewöhnlichen Zeit sind sie auch noch aufgetreten: Samstag, um 15 Uhr, in der Cottbusser Mensa der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus – Senftenberg. Mein Gott, sperriger geht es ja kaum!
Doch langsam. Diese Mensa war in der letzten Woche eine der Spielstätten des 19. Kabaretttreffens der Studiosi, Ei(n)fälle.
Solisten und Ensembles aus der ganzen Republik haben sich dort in ausgesprochen freundschaftlicher Atmosphäre gegenseitig gezeigt, wo der kabarettistische Hammer hängt. Dabei gab es auch eine Premiere in Altersangelegenheiten: Erstmals spielten Künstler, die jünger waren als das Festival selbst.
Das waren die Mitglieder des Schülerkabarettensembles der Deutschen SchülerAkademie. Fünfzehn Jugendliche aus dem ganzen Land haben sich im vergangenen Sommer getroffen, um gemeinsam mit den studentischen Kabarettisten Tilman Lucke und Martin Valenske ein Programm zu erarbeiten. Terminliche Gründe ließen nur den Auftritt von acht Teilnehmern zu: fünf jungen Frauen und drei jungen Männern. Vielleicht waren es auch schulische Gründe, denn das gesamte Ensemble besteht aus Schülerinnen und Schülern elfter und zwölfter Klassen.
Aber das Alter der Künstler sagt überhaupt nichts über ihre Professionalität aus. Temporeich gingen sie zur Sache, abwechslungsreich gestalteten sie ihren 70-minütigen Auftritt und böse waren sie, wie die Profis! A-capella-Gesang war ein wesentliches Merkmal der Show. Ob es darum ging, das Genre Kabarett vorzustellen oder die von Franz Schubert vertonte Volksweise „Heideröslein“ zu aktualisieren: „Seh’n wir dort ein Röslein steh’n / Fipsi ganz alleine.“
Es war eine gelungene Mischung aus solistischen und Ensemblenummern. Da ist die Autonavigation mit der Stimme der Kanzlerin, die im Zweifelsfall sagt: „Diese Route ist alternativlos.“ Pfiffig auch das Solo über Tippfehler in E-Mail-Adressen, die zu einer Annäherung zwischen Bushido und Claudia Roth führt.
Oder das Treffen des Verbands der Schulgebäude-Architekten, bei dem über die abstrusesten Architektenlösungen gelästert wurde. Es gilt die alte Regel, dass Kabarett Wut über Missstände braucht, um gut zu funktionieren. Und Wut unterliegt keiner Altersbeschränkung.
Das Programm ist sehr nah an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen, ohne andere Altersgruppen auszugrenzen. Der Wahn der sozialen Netzwerke wird geschickt thematisiert. Die einzelnen Nachrichten sind schlicht auf Papier gedruckt und werden an eine Stellwand geheftet. Am schönsten die Zettel „Michael Schumacher und Ariel Scharon sind jetzt Freunde“ und „Klaus Wowereit hat Dich zu ‚Flughafeneröffnung 2098‘ eingeladen.“
Auf eine kleine Zeitreise nimmt das Ensemble die Zuschauer mit. Schlag auf Schlag treten unter anderem Jesus, Heinrich VIII. und Johann Sebastian Bach auf. Kleiner Geschlechtertausch inbegriffen. Heinrich VIII. gibt sich als wahrer Humanist, denn hätte es seitensprung.de schon im 16. Jahrhundert gegeben, hätte er seine Frauen nicht hinrichten lassen müssen. Bach hingegen trauert dem zu seinen Lebzeiten noch nicht erfundenen youtube nach, das ihn gewiss zum Star gemacht hätte!
Subtil die Szene, bei der zwei Verfassungsschützer ein Neonazi-Treffen besuchen und sich gegenseitig mit Verfassungsfeindlichem hochschaukeln. Die Rechten entpuppen sich dabei als Gesprächskreis, der die „Probleme und Gefühle im Umgang mit nicht-arischen Nachbarn“ behandelt. Verträumt streichelt die Gesprächsleiterin dabei den Schnurrbart eines Hitler-Tischbildes, das ist immerhin „unser Gespächs-Führer“. Ordentlich führt sie Protokoll über die Sitzung, die von „19.33 Uhr bis 19.45 Uhr“ dauert.
Man muss schon aufmerksam sein, um alle Gags zu registrieren. Manch ein Profi könnte sich davon eine Scheibe abschneiden. Medienkritik am Korrespondenten-Irrsinn der Nachrichtensendungen und eine böse Nummer über Terrorbekämpfung durch Ausspähen fehlen natürlich auch nicht. Alles ist in elegante Beiträge verpackt, intelligente Texte und handlungsvorantreibende Elemente inklusive.
Wo stammen aber die Texte her? Tilman Lucke, einer der beiden Leiter des Ensembles, hat mir nach der Veranstaltung erklärt, dass die Teilnehmer die Texte selbst geschrieben haben. Da wurde nichts nachgespielt oder neu inszeniert! Hut ab vor so einer Leistung. Das Ergebnis dieses zweiwöchigen Seminars kann sich sehen lassen. Wobei übrigens die halbe Zeit für die Geschichte des Kabaretts und die Theorie des Humors verwendet wurde…
Dieser grandiose Auftritt des Schülerkabarettensembles der Deutschen SchülerAkademie ist in nur einer Woche geschrieben und inszeniert worden. Der Hut war ja schon ab, jetzt konnte mir nur noch das Toupet wegfliegen.
© 2014 BonMot-Berlin
Fotos: © 2014 BonMot-Berlin(1,3), Frank Machnow(2)Homepage Ei(n)fälle
Vom 21. August bis zum 6. September 2014 wird es in Braunschweig wieder einen Kurs zur Geschichte, Theorie und Praxis des Kabaretts geben: »Keine Müdigkeit vorschützen«. Bewerbungen sollten möglichst bis zum 15. März eingereicht sein, spätestens jedoch am 31. März 2014.
Hier direkt Infos zum Bewerbungsverfahren – Homepage Deutsche SchülerAkademie
Homepage Studentenkabarett