Auf geht’s mit Zahlen-Protzerei: 300 Messestände, 353 Aussteller, 17 Prozent mehr Ausstellungsfläche als bisher sind auf der 26. Internationalen Kulturböse Freiburg vertreten. 150 Künstler bzw. Gruppen oder Bands aus 30 Nationen bevölkern die Bühnen – von Argentinien über Island bis nach Wales reicht deren Herkunft.
Hört sich das gut an? Mehr noch. Jeder Einzelne darf zwischen 210 und 410 Euro auf den Tisch des badischen Hauses legen, um dem geneigten (Fach-)Publikum zu zeigen, was er drauf hat. Außerdem muss man entweder einen eigenen Messestand vorweisen oder eine Agentur, die einen vertritt. Völlig umsonst – also ohne einen Pfennig Gage – treten sämtliche Moderatoren auf.
Wem das Losglück hold ist, ergattert einen Termin an den ersten beiden von insgesamt drei Tagen. Am letzten sind viele Veranstalter abgereist, es herrscht Aufbruchstimmung. Am Stand der Agentur Grubenblumen fließen Bier und Sekt. Wer denkt da noch daran, dass im Saal 1 Sonja Kling und John Hudson eine 20-Minuten-Show lang einen Einblick ins menschliche Gehirn erlauben? Wobei eben diese Region bei den meisten Zuschauern sowieso zum Bersten gefüllt ist mit Eindrücken der unterschiedlichsten Natur.
Doch fangen wir von vorne an. Mit dem 30 Euro teuren Eintritt in das im öden Westen von Freiburg gelegene Messe-Gebäude wird man Teil eines Wimmelbildes:
Erst nach und nach schälen sich erkennbare Figuren heraus. Optische und akustische Reize stürmen auf den Betrachter ein. Von unzähligen Plakaten grinsen Kleinkünstler, überlebensgroße Varietéfiguren drehen und winden sich in den Gängen, ein Friedhof der Verbote lädt zu philosophischen Exkursen über Recht und Ordnung ein, mannshohe Ratten treiben ihren Schabernack mit den Vorbeigehenden.
Die sich von weitem nähernde Samba-Truppe entpuppt sich als Ein-Mann-Combo. Auf einem riesigen Rad ist ein Schlagwerk installiert, das aussieht, als habe Jean Tinguely Hand angelegt. Kurz: man wähnt sich auf einem anderen Stern, wo Außerirdische einen Jahrmarkt errichtet haben.

Dabei sind die meisten Besucher gekommen, um die Auftritte der Künstler im Theatersaal 1 und 2 zu begutachten, vielleicht die eine oder andere Entdeckung zu machen, talentierte Newcomer zu erleben, die man in Zukunft im Auge behalten möchte. Sinn und Zweck der Messe ist es schließlich, Veranstalter an den Stand der jeweiligen Agentur zu lotsen, dorthin, wo der Marktwert des Künstlers sich in der Anzahl der Buchungen niederschlägt.
Sehr schön ließ sich das am Auftritt von Markus Barth (nein, er ist nicht mit ihm verwandt) ablesen. Nachdem er am Mittwoch von 11.45 bis 12.05 Uhr seine 20 Minuten – exakt so viel Zeit hat jeder Performer – absolviert hatte, war am Stand von Anke Köwenig die Hölle los. Kein Wunder: der Mann ist gut, schwul und hat wirklich was zu sagen.
Und er hatte Glück bei der Auslosung: Der zweite Messetag zieht am meisten Zuschauer, schon gar, wenn das andere Theater wegen Proben für den Varietéabend geschlossen ist. Schön voll war auch Saal 2 als Chris Tall von seiner Mutti und dem scheußlichen Mathematikunterricht erzählte. Der Stand up-Comedian zählt tatsächlich zum Nachwuchs. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, die bereits ein paar Jährchen auf dem Buckel haben. Was keineswegs abwertend gemeint ist. Aber man staunt dann doch, etablierten Männern wie Fatih Cevikkollu oder Tim Fischer zu begegnen.

Maxi Schafroth, Gewinner der Freiburger Leiter 2014, legte den Beweis vor, dass im Allgäu nicht nur Krimi-Autoren und Kühe prächtig gedeihen, sondern auch intelligente Kabarettisten: nur gut, dass Schafroth dem Beruf des Bankers den Rücken gekehrt hat.
Einer von denen, die garantiert ihren Weg über Deutschlands Kleinkunstbühnen machen werden, kommt ursprünglich vom Bosporus. Man könnte meinen, dass der Markt an türkischstämmigen Künstlern nichts mehr Neues zu bieten hätte: ein Irrtum. Özcan Cosar, der bereits in als Mitglied der „RebellComedy“ positiv aufgefallen ist, zeigt, dass beim interkulturellen Clash noch so einiges geht – nicht zuletzt dank seiner famosen Körperbeherrschung, angereichert mit Witz und Beobachtungsgabe.
Komplett durchgedreht: Fat King Konrad alias Konrad Stöckel. Heavy Metal Comedy nennt er Operationen am lebenden Körper und wild gewordene Nebelmaschinen. Nur zum Beispiel. Überraschend auch die Performance von Jens Ohle aus Hamburg: Erst glaubt man, einen albernen Akrobaten vor sich zu haben, aber dann geht es zur Sache. Wüste Publikumsbeschimpfungen („Haltet mal die Klappe“) werden überlagert von der Logopädin Charlotte, die Ohle aus dem Zuschauerraum holt. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Es ist sehr lustig und beansprucht den für intellektuelle Leistungen zuständigen Hirnlappen nicht allzu sehr.

Mitten in mein Komikzentrum zielen die beiden Österreicher Robert Blöchl und Roland Penzinger, die als BlöZinger auftreten und mit schwarzem Humor und schauspielerischer Finesse eine Autofahrt inklusive Tante und Lachguru auf die Bühne holen.
Dabei bringen sie das Kunststück fertig, nicht vorhandene Dinge wie einen klapprigen Fiat, eine Keksdose mit der Asche des verblichenen Erich und tosenden Fahrtwind sichtbar zu machen. Der Nachteil für (nord-)deutsche Ohren: man muss höllisch aufpassen, um den Dialekt der beiden zu verstehen.
Richtig knuffig: Olivier Sanrey aus Belgien, ein junger Stand-upper, der nicht nur des Deutschen mächtig ist, sondern sich und seinen Männlichkeitswahn gekonnt auf den Arm nimmt („Ich bin so heiß, ich schlafe auf einem Untersetzer“). Sollte man im Auge behalten, den charming Youngster. Genau wie das „Suchtpotenzial“, ein Musikerinnen-Duo, das mir bei dem Gerenne zwischen den diversen Bühnen und Messeständen glatt durch die Lappen gegangen ist.

Dafür bin ich über zwei außergewöhnliche Darbietungen gestolpert: das Grand Théatre Mécanique, 1900 in den Ateliers Denino erschaffen, ein Miniaturtheater mit 710 Plätzen, 80 Logen und einem Kristallleuchter. Um das Gewusel vor der Aufführung zu sehen, schaut man durch Gucklöcher: nur zehn Personen passen in das runde, komplett renovierte Theater. Man sieht auf Platzanweiserinnen, Leute, die in letzter Minute herein hasten und sich durch die mit Winzlingen bestückten Reihen quetschen – eine murmelnde Menschenmenge, die still wird, wenn das Licht ausgeht und sich der Vorhang hebt.
Ebenfalls klein und voller Überraschungen: SIE7E, ein Microtheater, in dem 15 Personen Platz haben. Sieben Quadratmeter groß ist die Bühne des spanischen Puppentheaters, das sich in einem schwarzen Bus versteckt. Einfach zauberhaft, was sich da innerhalb von zehn Minuten vor meinen Augen und in meinem Kopf abspielt: eine kleine weiße Plastiktüte, wie man sie im Supermarkt zum Einwickeln von Blumenkohl und Bananen angeboten bekommt, wird zum anarchistischen Rockmusiker, ein kleiner runder Topf zur ausrastenden Flamencotänzerin – wer hier noch an der überbordenden Kreativität des Menschen zweifelt, dem ist nicht zu helfen.
Eher erdverbunden: der Einsatz von Jochen Malmsheimer und Georg Schramm als Bier-Ausschenker am Stand von Susanne Fünderich: „Rauchen und Saufen für Oberhausen“ heißt das Motto, mit dem die großzügige Agentin am Dienstagabend für zunehmende Lockerungsübungen von Seiten der Gäste sorgt. „Kompetenz in Sachen Kompetenz“ steht auf den T-Shirts der beiden wortgewaltigen Kabarettisten. Dem ist nichts hinzuzufügen.
© 2014 BonMoT-Berlin
Text: Marianne Kolarik
Fotos: Linn Marx
Homepage der Internationalen Kulturbörse Freiburg
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