Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte ums Zitieren aus Rezensionen veröffentlichen wir hier den offenen Brief von Thomas Pigor. Wer sich dem anschließen möchte, kann die Kommentarfunktion nutzen. (entweder gleich oben rechts unter der Überschrift oder ganz unten unter dem Text)
Werte Zeitungsverleger,
in einer Zeit, in der, bedingt durch die digitalen Umwälzungen, die Diskussion über die Urheberrechte in vollem Gange ist, sind jetzt einige Zeitungsverlage dazu übergegangen, Künstler oder deren Agenturen, die Rezensionen über ihre eigenen Darbietungen ins Netz stellen, mit empfindlichen Geldbußen abzumahnen. Bekannt geworden ist der Fall des Baritons Peter Schöne (dazu mehr am Ende dieses Textes), der ohne Vorwarnung von der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Forderungen in Höhe von mehreren tausend Euro konfrontiert wurde.
Dabei ist es schon immer gängige Praxis, dass Künstler in ihren Werbematerialien unabhängige Stimmen, vorzugsweise Pressekritiken zitieren, um ihren Ankündigungen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Vom Pressespiegel im Programmheft bis hin zum Aushängen von Zeitungsartikeln in den Schaukästen der Theater, das werbewirksame Zitat gehört zu den Usancen des Kulturbetriebs, ein Geben und Nehmen von Medien und Künstlern, die ihrerseits den Gegenstand liefern, über den berichtet wird. Ihre schöpferischen Leistungen, ihre Pointen, ihre Pressetexte werden wiederum häufig von den Rezensenten in den jeweiligen Besprechungen zitiert. Eine mehr als hundert Jahre währende symbiotische Beziehung: Der Name eines bekannten Künstlers schmückt das Feuilleton ebenso, wie der Name der Zeitung oder des Rezensenten die Pressemitteilung des Künstlers schmückt, deren Namen wiederum erfahren durch das Werbematerial Verbreitung über den angestammten Leserkreis hinaus, usw…
Das Einstellen von Presseartikeln auf der eigenen Homepage, ist eigentlich nur die Fortschreibung dieser Praxis im digitalen Zeitalter und das vollständige Belegen eines Artikels (mit Quellenangabe) ein Akt der Aufrichtigkeit, denn wir wissen alle, wie man durch die geschickte Montage kurzer Zitate, die Tendenz einer Rezension in seinem Sinne verändern kann.
Künstler stehen häufig selbst in Auseinandersetzungen um das Urheberrecht, und zwar auf beiden Seiten des Grabens. Die Rechtslage ist kompliziert und die alte Balance aus dem Gleichgewicht geraten. Wie auch immer die Argumente von Verlegerseite sein mögen, ökonomischer Natur werden sie nicht sein. Angesichts des Zurückfahrens der lokalen Kulturberichterstattung allenthalben, ist es jedoch gerade für weniger bekannte Künstler wichtig, die wenigen Kritiken, die über sie erscheinen, auch über das Netz ihrem Zielpublikum nahezubringen. Es wird jedoch kaum jemand bereit sein, für die in unzähligen Zeitungsarchiven verstreuten Rezensionen eines Künstlers zu bezahlen.
Abgesehen davon, dass es absurd ist, dass die Rechtsabteilungen der Verlagshäuser in Wild-West-Manier abmahnen, während gleichzeitig in den Redaktionen der dort erscheinenden Blätter Artikel gegen das Abmahn-Unwesen verfasst werden, sollte man vielleicht noch ironischerweise anmerken, dass ein nicht unerheblicher Teil der Leser von jahrealten Veranstaltungskritiken aus Journalisten bestehen dürfte, die für ein Interview, ein Feature oder einen Nachruf über den Rezensierten recherchieren.
In der gegenwärtigen Diskussion um das Urheberrecht, in der sich alles neu sortiert, möchten wir deshalb anregen, bezüglich des Zitierens von Rezensionen über eine „exception culturelle“ nachzudenken. Viele Künstlerkollegen haben in Panik die Kritiken von ihren Webseiten genommen und werden diese, da jene häufig in mühevoller Heimarbeit betrieben werden, wohl auch nicht mehr einstellen. Wie auch immer der Gesetzgeber das Urheberrecht auf lange Sicht regelt und was auch immer Ihre Juristen sagen, ein Toleranzedikt Ihrerseits würde in der Szene vermutlich Jubel auslösen und das Austrocknen des klassischen europäischen Kulturbiotops angesichts des globalen kulturellen Klimawandels vielleicht ein klein wenig entschleunigen.
Wer auch dieser Meinung ist, möchte bitte die Kommentarfunktion unter diesem Text nutzen.
In diesem Zusammenhang auch noch interessant:
Was dem Bariton Peter Schöne widerfahren ist, können Sie HIER bei 3sat nachlesen.
Beim Landgericht München ist noch ein Urteil abzuwarten. Verschoben wurde der Termin nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern abermals, weil der Berichterstatter erkrankt war. HIER weiterlesen.
Die Buchverlage haben in der Zwischenzeit ein Toleranzedikt bei der FAZ durchgesetzt.
25 Wörter im Klappentext sind erlaubt – juchhu! – Das gilt jedoch nur für Buchbesprechungen, nicht für die Besprechung von Theateraufführungen. HIER weiterlesen.
Und selbstverständlich unser Beitrag von GESTERN.
Termin:
Abmahner und Abzocker – ein Informationsgespräch mit Scarlett O’ und Liedermacher Michael Zachcial und vielen anderen
Samstag, 22. Februar 2014, 16 Uhr
10405 Berlin, Danziger Str. 101, Die Wabe, Location: Jugendtheateretage
Eintritt frei
Foto: © Thomas Nitz
Hat dies auf Die Erste Eslarner Zeitung – Aus und über Eslarn, sowie die bayerisch-tschechische Region! rebloggt und kommentierte:
Auch für heute noch keine berichtenswerten Neuigkeiten aus Eslarn und Umgebung. Nehmen Sie sich aber Zeit, zur aktuellen Debatte um das Zitieren aus Rezensionen diesen Offenen Brief zu lesen.