Die Geschwister Pfister erobern in der Operette „Clivia“ nun auch die Komische Oper
von Axel Schock
BERLIN – Es war nur eine Frage der Zeit, dass die Geschwister Pfister alias Tobias Bonn, Christoph Marti und Andreja Schneider, endlich auch in ihrer Wahlheimat Berlin zu Staatstheaterehren kommen würden.
Denn jenseits ihrer ureigenen musikalischen Shows als multikulturelle Wahlfamilie Pfister haben sie andernorts über viele Jahre hinweg eine Parallelkarriere in Operetten- und Musicalproduktionen aufgebaut – vom Theater St. Gallen über das Stadttheater Bern bis zum Münchner Residenztheater.
Und nun also die Komische Oper. Dort weht unter dem Intendanten Barry Kosky seit der Spielzeit 2012/13 ein wohltuender frischer Wind, der die Grenzen zwischen E und U aufgebrochen hat und sich dabei auch der durch den Nationalsozialismus jäh abgebrochenen deutschen Entertainmentkultur der 1930er Jahre erinnert – zuletzt mit Paul Abrahams wiederentdeckter Jazzoperette „Ball im Savoy“ (und der umwerfenden Katharine Mehrling) und Emmerich Kálmán „Die Herzogin von Chicago“ (mit Gayle Tufts in der Titelrolle).
„Clivia“, die 1933 am Berliner Theater am Nollendorfplatz uraufgeführte Operette, stand zwar im Nachkriegsdeutschland weiterhin auf den Spielplänen, was für einen aberwitzigen Spaß und welch musikalischen Farbenreichtum Nico Dostals Komposition zu bieten hat, dürfen die Nachgeborenen nun erst erleben.
Die Geschichte, die sich die Librettisten Charles Amberg und Franz Maregg da ausgedacht haben, kennt keinen doppelten Boden, muss nicht um- und tiefengedeutet oder zwanghaft aktualisiert werden: Sie ist und bleibt zuvörderst eine durchgeknallte Posse, die jedes erdenkliche Klischee (unter anderem über Südamerika, gewitzte Investoren, Revolutionen und Filmschauspieler) mit Verve auf die Spitze treibt.
Weil der zwielichtige Chicagoer Geschäfts-
mann im (fiktiven) südamerikanischen Boliquay durch eine revolutionäre Regierung seine Geschäfte bedroht sieht, will er dort einen Umsturz einfädeln. Um ins Land zukommen, schwingt er sich kurzerhand zum Filmproduzenten auf, und der Star des geplanten Streifens, Clivia Gray, wird dazu verdonnert, eine Scheinehe mit einem Einheimischen einzugehen, um so die boliquayische Staatsbürgerschaft und damit auch eine Arbeitserlaubnis für die gesamte Crew zu erlangen.
Dass sie sich in den auserwählten Gaucho Juan Damingo verlieben könnte (und umgekehrt), konnte Potterton freilich nicht ahnen. Auch nicht, dass es sich bei Damingo, gespielt von Tobias Bonn, in Wahrheit um Olivero, den amtierenden Präsidenten der Republik von Boliquay handelt.
Regisseur Stefan Huber und sein Team haben, im besten Wortsinne, weder Kosten noch Mühen gescheut, Dostals Werk gerecht zu werden. Der Ausstattungsaufwand ist enorm. Selbst auf die genretypische monumentale Revuetreppe wird nicht verzichtet.
Im zweiten Akt sitzt das Orchester gleich mit auf der Bühne und eine halbe Hundertschaft an Akteuren belebt die mondäne Ballszene. Andreja Schneider wiederum, Anführerin einer Amazonen-Armee, marschiert mit ihren kurzberockten Truppenangehörigen in einer türkisfarbenen Fantasieuniform so kess und schneidig durch den Grenzposten, dass man sich fast wie auf dem Rosenmontagszug fühlt.
Überhaupt formieren Choreografie und Regie das komplette Ensemble samt Chor und Tänzern immer wieder zu beeindruckenden Massenszenen, die – ganz der klassischen Revue verpflichtet – in temperamentvolle Tanznummern übergehen. Dostals Musik, in der vom Tango über Bolero bis Flamenco so ziemlich alle lateinamerikanischen Stile vermengt sind, bietet reichlich Grundlage, während einige der bekanntesten „Clivia“-Lieder eher dem klassischen Genrestandard verpflichtet sind und sich den kitschigen Niederungen des Operettenschmalzes nähern. In der Komischen Oper bannt man diese Gefahr bereits durch die Besetzung.
Christoph Martis Version der Clivia Gray ist die Summe aller Hollywood-Diven – samt ausladender Gesten, lasziver Augenaufschläge und treudoofer, reuiger Blicke. Marti hat bereits als „Csárdásfürstin“, in „Hello, Dolly“ oder als sein Country singendes alter Ego Ursula West gezeigt, wie souverän er in Frauenrollen zu schlüpfen vermag.
Und als Clivia, die optisch wie eine Wiedergeburt der wasserstoffblonden Jean Harlow daherkommt, versteht er es nun gleichermaßen galant und imposant die Revuetreppe hinunterzuschreiten, sich grazil aufs Kanapee zu werfen und sich demütig dem Geliebten zu Füßen zu werfen. Auch Tobias Bonn als Che-Guevara-Verschnitt trägt dick auf, wie auch die diversen Nebenfiguren, etwa der berlinernde Erfinder Gustav Kasulke (Christoph Späth) oder der rasende Reporter Lelio Down (Peter Renz).
Doch Huberts Inszenierung ist keine Parodie, sondern nimmt ihren Gegenstand durchaus ernst: als eine Operette, die das Genre und die darin verhackstückten Klischees selbst bereits in Anführungszeichen setzt. Erst dieser ironische Ton macht „Clivia“ im 21. Jahrhundert denn auch spielbar.
Gleichwohl wird diese Produktion spalten. Freunde des Bel Canto und erst recht die Fans von Anneliese Rothenberger (die Clivia der klassischen CD-Einspielung von 1951) werden sich an Christoph Martis eingeschränkten stimmlichen Möglichkeiten stören. Verfechter des Regietheaters werden monieren, dass sie von der Komischen Oper als subventioniertem Haus mehr erwarten, als leicht konsumierbare Unterhaltung und womöglich Bezüge zu den aktuellen wirtschaftliche und politischen Krisenherde in der Welt vermissen. Und warum, wird sich manch gestrenger Operngänger fragen, müssen diese seltsamen Geschwister Pfister als Gäste ans Haus verpflichtet werden, wo das Haus doch über ein formidables Ensemble verfügt?
Ungeachtet dessen aber hat die Komische Oper einen Coup gelandet und nunmehr eine Inszenierung im Repertoire, die man so schnell nicht vergessen wird und das Premierenpublikum von den Sitzen riss. Die Vorstellungen in dieser Spielzeit sind Dank des großen Fanpublikums der Geschwister Pfister schon jetzt so gut wie alle ausverkauft.
© 2014 BonMoT-Berlin
Fotos: Gunnar Geller (1), Iko Freese/ drama-berlin.de (2-5)
nächste Vorstellungen: 14., 20., 28. März; 20. und 26. April; 23. Juni und 7. Juli 2014
Komische Oper Berlin, Kartentelefon: 030-47 99 74 00
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