Tilman Birrs Hörbuch „Zum Leben ist es schön, aber ich würde da ungern auf Besuch hinfahren. Eine kleine Heimatkunde“
von Hans-Jürgen Lenhart
Lesebühnenautor Tilman Birr betätigt sich nach seinem Debut als Stadtbilderklärer in Berlin nun in seiner „kleinen Heimatkunde“ teilweise wieder als eine Art Reiseführer und zwar dorthin, wo Deutschland am deutschesten ist – wie beispielsweise im Ruhrgebiet.
Und genau dort an der Ruhr lebt ein rühriges Volk „von Hausmeistern und Gerätewarten, die schon Mitte der Neunziger ein Handy am Gürtel trugen, damit es auch jeder sehen konnte. Leute, die mit ‚Mahlzeit‘ grüßen und sich mit ‚tschüssikowsi‘ verabschieden.“
Birrs heimatkundliche „Reiseempfehlungen“ zeigen nicht die typischen Highlights einer Region, sondern das unvermeidlich Typische als Highlight: „Wenn man sechs neonorange Plakate mit der Aufschrift ‚Disco – Disco – Disco‘ an einem maroden Bahnhofsgebäude sieht“, die Schnitzelkarte von einem „Gordon Blöh“ berichtet und es Köstlichkeiten wie „Pumpernickelschnaps“ gibt, weiß man, dass man auf dem deutschen Land ist.
Aus den Klischees der Unterschiede zwischen Stadt und Land bastelt Birr seine Karikaturen wie in seinem Text über einen zweiwöchigen Prekariat-Erlebnis-Urlaub für ein versnobtes Yuppie-Ehepaar. Hier lernt man Leben in einer original versifften Wohnung mit allen klassischen Zutaten: Saufen, Rauchen, Slang sprechen, von Pfandbechern leben, Gewalt in der Ehe, Mietnomadentum. Die Verwandlung der Yuppies zu Pennern sorgt dabei für köstliche Momente, weil diese ihre Lektionen in dem Crashkurs leider etwas zu gut lernen.
Birrs „Heimatkunde“ bedeutet auch die Annäherung an bestimmte Menschentypen in seinem Umfeld. Seine Geschichten spielen im Erlebnisbereich Studenten-WG, Generation Praktikum, handeln von gegensätzlichen Figuren zwischen Karrieristen und Rumhängern. Sie beschäftigen sich ebenso mit dem Chauvinismus in seiner bevorzugten Heimat Berlin, wo es für Zugezogene unergründliche Verfahrensweisen bei der Postzustellung gibt. Und Birr spielt noch deutlicher mit Klischees als bisher. So versucht er im Text „Hass – ein ordentliches Gefühl“ jegliche politisch korrekte Toleranz außen vor zu lassen. Dabei legt er durch Übertreibung genau die Vorurteile offen, derer er sich scheinbar bedient. Political Correctness ist eben selten dogmatisch durchzuhalten.
Und Birr erweist sich dann am originellsten, wenn er mit der Methodik spielt. So entwickelt er in „LG“ aus den SMS eines gefundenen Handys eine tragikomische Geschichte über einen durchtriebenen Kleindealer und Pornoproduzenten. Ähnlich gut und auch zeitgemäß: Das Zerpflücken des Kinderliedes „Alle meine Entchen“ nach Art der typischen Blog-Einträge. Das Spektrum zwischen tierschützerischen Weltenrettern, zynischen Spöttern und hirnlosen Spaßvögeln ist äußerst treffend dargestellt.
Die meisten Texte sind live vor Publikum gelesen, atmosphärisch wäre es besser gewesen, dies bei allen Texten so zu machen. Dennoch: Birr zeigt mehr als deutlich, dass er genug gleichwertiges Material hat, um als einer der großen Namen in der Lesebühnenszene weiter zu bestehen.
© 2014 BonMoT-Berlin
Tilman Birr: „Zum Leben ist es schön, aber ich würde da ungern auf Besuch hinfahren. Eine kleine Heimatkunde“
142 min, Doppel-CD
Der Hörverlag/ Random House/ Edel Kultur
ISBN: 978-3-8445-1432-2
Preis: € 14,99 €
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