On stage tonight: Volker Weininger, Anna Piechotta und Seibt & Helmschrot
von Gilles Chevalier
ST. INGBERT – Anfang September ist ja noch karnevalsfreie Zeit. Das hält Volker Weininger, Jahrgang 1971, aber nicht davon ab, Ausschnitte aus seinem Programm „Euer Senf in meinem Leben“ in Sankt Ingbert zu spielen. Der Mann stammt aus Köln und ist in der dortigen alternativen Karnevalsszene aktiv. Bedächtig und mit rheinischem Zungenschlag arbeitet er sich in aller Ruhe durch seinen Auftritt.
2012 hatte dieses Programm Premiere. Das merkt man zu Beginn sehr deutlich, denn Weininger rückt bereits aus guten Gründen abgelegte und verdrängte Prominente ins Rampenlicht. Der stets servil gewirkt habende damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla oder die Wissenschaftsministerin mit dem später aberkannten Doktortitel, Annette Schavan, werden ausgiebig gewürdigt. Das amüsiert zwar noch, zeigt aber vor allem wie schnelllebig die Zeit ist.

„Euer Senf in meinem Leben“
Das aktuelle Polit-Personal ist vor Weininger auch nicht sicher. Zu Andrea Nahles und Sigmar Gabriel sagt er: „Die Biene Maja und der dicke Willy – wobei ich nicht weiß, wer wer ist.“ Hinterhältig arbeitet er sich an der deutschen Haltung zu Waffenlieferungen ab. Oder zu humanitären Katastrophen. Da werden lieber Decken und Zelte geschickt als Flüchtlinge aufgenommen. Für Weininger nachvollziehbar: „Denn schon in der Bibel steht: Geben ist seliger denn Nehmen.“
Das ist Weiningers Kunst: Ganz unauffällig schleicht er sich an ein kompliziertes Thema, um dann urplötzlich zu neuen Erkenntnissen zu kommen. So war er in der Woche vor Ostern „zum Fastenbrechen“ in einer Kneipe und traf dort einen Zechkumpanen, der sich in der unübersichtlichen Ukrainekrise nun gar nicht auskannte. Er sinniert: „Die russischen Panzer und Soldaten sahen dem Militär verdammt ähnlich…“
Ein wenig beliebig dann die Schlenker zu Frauen in der Werbung und dem Frauenbild in der Werbung, zur eigenen Pubertät in den 1980er Jahren und einem Ratgeber-Buch für Pubertierende aus dieser Epoche. Die Aneinanderreihung merkwürdiger Kindernamen und merkwürdiger Vorschriften und Gesetze gleicht einem Fischzug – und zwar nicht nach Komplimenten, sondern nach Lachern. Die bekommt er reichlich, und ein rhythmisches Klatschen des Publikums obendrein.
Die Sängerin und Texterin Anna Piechotta war Anfang 20, als sie 2004 ihr erstes Album veröffentlichte. Aus ihrem fünften mit dem Titel „Komisch im Sinne von seltsam“ spielt sie sieben Songs in Sankt Ingbert. Das Thema Liebe ist dabei der Schwerpunkt. Piechotta ist aber keine Spezialistin für Liebeslieder. Das wäre zu einfach. Sie singt vom Sich-verlieben-wollen – und das mit aller Kraft und ohne Rücksicht auf Verluste! Da wird schon mal kühn Frau auf arme Sau und Kabeljau gereimt.

„Komisch im Sinne von seltsam“
Sie nimmt die Perspektive der einsamen und unfrohen Frau ein, die sich einerseits Kontakte zu ihren Mitmenschen wünscht, aber andererseits nicht in der Lage ist, diese Kontakte aufzubauen. Da ist ein Besuch einer Zeugin Jehovas im „Lied einer Einsamen“ eine willkommene Abwechslung. Fehlgeleit ist sie dagegen als elektronische Stalkerin auf digitaler Pirsch in „Computerliebe“. Das ins Gospelhafte gleitende „Du bist der Mann für mich (Ein Duett)“ ist auch so ein Verliebenslied. Die Beziehung kommt aber nicht zustande, weil es der Frau an Kochkünsten mangelt und in ihrer Wohnung zu wenig Ordnung herrscht. Heutzutage sind eben nicht nur die Frauen wählerisch…
Diese Ablehnung treibt Piechotta in den Wahnsinn. Sie schreit die Wut mit ihrer ausgebildeten Stimme heraus und vergreift sich absichtsvoll dissonant am Flügel. Doch den Wahnsinn will man der kleinen Person einfach nicht abnehmen. Dafür ist der ganze Auftritt zu perfekt: Jeder Schritt wirkt wohlüberlegt, jeder Satz ist akzentfrei und mit einer unnatürlichen Natürlichkeit gesprochen. Es fühlt sich an wie Schokolade mit Knoblauchstückchen.
Zum Ausgleich wird Anna Piechotta laut und treibt ihre Stimme in ungewohnte Höhen – jedenfalls für das Genre Chanson. Die Lautstärke geht im Saal bis an die Schmerzgrenze, verfehlt die Wirkung aber trotzdem. Eine Musicalstimme im Chanson auszureizen ist genauso sinnvoll, wie mit einem Rolls-Royce lebendes Geflügel und Kartoffeln zum Markt zu fahren: der pure Luxus. Dabei kann Piechotta durchaus anders. „Der Schatten“ heißt die traurige Ballade über einen Schatten, der von seinem Menschen gar nicht wahrgenommen wird. Leise und eindringlich ist dieses Stück, in dem sie nicht auf die Tube drückt. Längerer freundlicher Applaus für Anna Piechotta.
Romy Seibt und Karl-Heinz Helmschrot setzen in ihrem Programm „PAKT – Gretchen im Spagat“ Musik dagegen nur ganz sparsam ein. Die beiden sind ursprünglich Artisten und haben sich einem bekannten klassischen Stoff verschrieben: Goethes „Faust I“. Auf ungewohnte Art setzten sie das Drama um und entführen den Zuschauer in eine phantastische Welt, die nicht unbedingt auf Sprache angewiesen ist. Sie bezeichnen ihre Mischung aus Kabarett und Artistik als „Kabarettistik“.

„Gretchen im Spagat“
Ihr Programm hat mehrere Ebenen: Da ist Oberstudienrat Streng, der in seinem Deutschunterricht den „Faust I“ behandelt. Streng ist ein Verfechter so traditioneller Lehrmethoden, dass man sich fragt, ob die Prügelstrafe wirklich schon abgeschafft ist. Dabei agiert er nicht humorlos, sondern interpretiert den Text auf eigene Weise: „‘Es irrt der Mensch, so lang er strebt.‘ Will sagen: Streber sind alles Irre!“ So macht ein alter Stoff neuen Spaß.
Der Oberstudienrat bezieht das Publikum intensiv mit ein, vor allem die Prominenz der ersten Reihe. Die muss sogar auf die Bühne, um die „Kerkerszene“ klamaukig nachzuspielen. Gut vorbereitet ist Streng auch, das gehört sich so. An passender Stelle ruft er Sankt Ingberts Oberbürgermeister Hans Wagner zu: „Im zweiten Wahlgang geht alles!“ Das kennt der OB, hat er doch selbst zwei Anläufe benötigt.
Die andere Ebene ist „Faust I“ selbst. Die Tragödie wird mit unterschiedlichen Mitteln erzählt. Das einfache Rezitieren des Textes wird durch eine Fackeljonglage erweitert. Beim Jonglieren wird die Handlung selbstverständlich weiterrezitiert! Ein Schattenspiel verweist auf des Pudels Kern und tanzend beschreiben Romy Seibt und Karl-Heinz Helmschrot das Spiel von Annäherung und Zurückweisung zwischen Faust und Gretchen. Romy Seibt nähert sich dem Stoff artistisch am Vertikalseil und zeigt die Verwicklungen, denen Gretchen ausgesetzt ist: Hier die Moral, dort der Drang nach Faustens Armen. Selbst eine stummfilmhafte Darstellung ist möglich: Gretchen tanzt sich zur Musik eines verstimmten Klaviers ihre Verzweiflung aus dem Leib, auf einer Leinwand erscheinen schwarze Texttafeln mit weißer Schrift.
Die Idee von Seibt und Helmschrot funktioniert großartig! Eben noch folgte man schenkelklopfend den Bösartigkeiten des Oberstudienrates und im nächsten Moment staunt man mit offenem Mund, entführt in eine traumhafte Welt. Selten herrscht so viel Konzentration im Parkett. Ganz nebenbei erkennt man, wie viele Redewendungen ihren Ursprung im „Faust I“ haben. Ohne Worte, nur mit einer projizierten Texttafel endet ihr Beitrag. Dann setzt das rhythmische Klatschen eines begeisterten Publikums für zwei weitere Pfannenkandidaten ein.
Fotos: Rainer Hagedorn
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