Jochen Malmsheimer, Urban Priol und Georg Schramm: die Alten aus der Anstalt
von Marianne Kolarik
BONN – Allein der Aufführungsort ist der Hammer: am Kopfende des Alten Plenarsaals des Bundestages in Bonn prangt ein überdimensionaler Adler, die so genannte „Fette Henne“, ein aus Aluminium bestehender Wappenvogel, dessen Gefieder symbolträchtig asymmetrisch und lückenhaft ist. Sehr beeindruckend.
Im Plenum des 1992 eingeweihten Hauses war Platz für 520 Abgeordnete, auf der Tribüne für 400 Zuschauer. Hier also, in diesem transparenten Bau
treten „Die Alten aus der Anstalt“ auf. „Zur Larmoyanz von Abschiedtouren. Teil 1“ haben Jochen Malmsheimer, Urban Priol und Georg Schramm den langen Abend genannt, in dessen Verlauf jeder der drei ehemaligen Anstaltsbewohner im ZDF zeigt, was eine kabarettistische Harke mit scharfen Zinken ist.
„Eine Lederhand hat ausgedient“, feixt Priol – und meint damit den Handschuh von Lothar Dombrowski, das renitente Alter Ego von Schramm. Der kann den Rummel um seine Person auf den Tod nicht ausstehen. Der dramaturgische Trick, der sich wie ein roter Faden durch die Szenenfolge zieht – und deswegen ziemlich strapaziert wirkt: Das Publikum wohnt einer Probe für die offizielle Verabschiedung von Dombrowski am darauffolgenden Abend bei. Erwartet werden sämtliche verfügbaren Prominenten, das Ganze soll im Fernsehen übertragen werden. Worum es dabei gehe? Natürlich um die Sache, was sonst. Man wolle Mut zur Lücke zeigen – auch ohne Konzept. Aber: Keine Kostüme, kein Ballett, kein Tanz. Das verbittet sich der Alte.
Dieser kann sehr schön erklären, wieso er der Bühne überdrüssig geworden ist. Nach 25 Jahren, in denen seine leidenschaftlichen und kraftvollen Sätze den Staub aus den Hirnen seiner Zuhörer geblasen haben, musste er feststellen, dass alles schon einmal gesagt worden ist. Pestalozzi etwa habe das grassierende Benefiz-Getue mit den Worten: „Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade“ auf den Punkt gebracht. Im übrigen sei der 9. November nicht nur der Tag des Mauerfalls, sondern auch der der Reichspogromnacht 1938.
Malmsheimer wiederum hat sich mit „Ich habe da was vorbereitet“ einen Running Gag ins Abschiedsfest-Programm geschrieben – zum Beispiel eine Büttenrede auf den Scheidenden, die er zusammen mit Priol im karnevalistischen Duktus vorträgt. Letzterer fordert mehr menschelnde Momente und hebt Dombrowskis prophetischen Blick auf das große Ganze hervor. Diesem erscheint sowieso vieles zu kleinteilig. Knochentrocken stellt er fest, dass er letztendlich ein Narr war, der sich als Visionär aufgespielt und die Appelle an die Vernunft überschätzt habe.
Je später der Abend, desto rasanter das Tempo, mit dem das Trio sich die verbalen Bälle um die Ohren schleudert. Malmsheimer trauert dem ausgestorbenen Duell nach und hat bereits eine Kritik für die Presse verfasst, die brauche gar nicht mehr zu kommen. Von Dombrowskis Furor ist am Ende wenig übrig geblieben. Nachdem man sich mit Magenbitter zugeprostet hat, nimmt er in einem quietsch-pinken, thronartigen Sessel Platz. Der Ablaufplan wurde komplett umgekrempelt, alles, was mit Politik zu tun hat, wurde rausgeworfen. Stattdessen zitiert man Shakespeares „König Lear“: „Das ist die Seuche dieser Zeit – Verrückte führen Blinde“.
Zu Tränen rührend: der Abschied von August, einem in die Jahre gekommenem SPD-Mitglied, das aus der Zeit gefallen zu sein scheint, wie Schramms Vater, ein ehemaliger Drucker, der sich an seine Vergangenheit als unermüdlicher Kämpfer für die Rechte der Arbeiter erinnert – und nun im hessischen Tonfall von seinem Enkel erzählt, der einen Drucker im Zimmer stehen habe. Das verstehe ein Mensch. Viel und herzlicher Beifall für die „letzte Gardine“. Wir warten nun auf Teil 2.
© 2014 BonMoT-Berlin
Fotos: Malmsheimer: PR | Priol: Axel Hess | Schramm: PR
Collage: Carlo Wanka
Homepages: Jochen Malmsheimer – Urban Priol – Georg Schramm – Pantheon Theater Bonn
Hat dies auf Die Erste Eslarner Zeitung – Aus und über Eslarn, sowie die bayerisch-tschechische Region! rebloggt.