Der vierte Wettbewerbsabend in Sankt Ingbert 2014

2014 - Stankt Ingbert - 4. Wettbewerbstag - Foto © Rainer Hagedorn Collage Carlo WankaOn stage tonight: René Sydow, Joachim Zawischa und Duo Diagonal

von Gilles Chevalier

ST. INGBERT – Der Auftrittsapplaus für den nimmermüden Moderator Philipp Scharri ist schwach. Die Zuschauer wirken zu Beginn des letzten Wettbewerbsabends müde und abgeschlafft. Keine guten Voraussetzungen für 34-jährigen René Sydow, der Ausschnitte aus seinem Programm „Gedanken! Los!“ zeigt. Doch Sydow steckt voller Energie und lässt sich auch von einem aus tontechnischen Gründen erzwungenen Neustart seines Programms nicht aus der Fassung bringen.

„Früher haben sich die Fürsten Hofnarren gehalten, heute halten sich die Banken Politiker!“, umschreibt er sein großes Thema. Wo die Macht denn wirklich liegt, will er untersuchen. Natürlich nicht bei den Gewählten, sondern bei Leuten wie dem EU-Handelskommissar Karel De Gucht. Der verhandelt im Namen von 320 Millionen EU-Bürgern mit den USA das TTIP-Abkommen. Wahrscheinlich eher zum Wohle der Wirtschaft als zum Wohle der Verbraucher. Oder bei Dirk Niebel, der früher als Entwicklungshilfeminister im Bundessicherheitsrat Waffenexporten zugestimmt hat und heute Chef-Lobbyist bei der Rüstungsschmiede Rheinmetall ist.

René Sydow macht das Publikum munter. Um keine seiner Pointen zu verpassen, muss man sehr aufmerksam sein. Voller angestauter Wut stapft er über die Bühne und lässt seine Texte kaskadenartig das Parkett fluten. Nein, dass eine Frau dem Verteidigungsministerium vorsteht, ist kein Problem für ihn, denn: „deutsche Männer haben noch nie einen Krieg gewonnen.“ Fluoride, die nach Syrien exportiert wurden, lassen sich zu Zahncreme oder zur chemischen Waffe Sarin weiterverarbeiten.

René Sydow "Gedanken! Los!"
René Sydow
„Gedanken! Los!“
Sydow fragt: „Hat sich die Erfindung der Druckkunst durchgesetzt wegen der Bücher oder wegen der Spielkartenindustrie?“

Zweimal setzt Sydow einen Black Out in seinem Programmausschnitt ein. Man fragt sich, wieso kein anderer Künstler auf diese einfache, aber sehr wirkungsvolle Idee gekommen ist. „Kabarett ist Notwehr“, meint Sydow. Er geißelt den Konsum unsinniger Luxusgüter und die Behandlung unruhiger Kinder mit Ritalin. Er presst seine Gedanken heraus, als ob sein Publikum schon im Aufbruch wäre. Keine Spur, alle hängen an seinen Lippen. Vor einem Berufswechsel hat er keine Angst: „Warum werde ich nicht Bundespräsident, die nehmen jeden!“

„Sprache ist kein Ausscheidungsvorgang, sondern das, was uns von Til Schweiger unterscheidet!“, konstatiert er. Von Leuten, die im Fernsehen reden, erwartet er Kenntnis der und Liebe zur Sprache. Stattdessen sieht er „geistesfeindliche Comedians“ bei „semantischen Paralympics“! Die Ursache findet Sydow bei den zu geringen Bildungsausgaben: „Die Studienabsolventen müssen nicht wissen, dass die Welt rund ist. Sondern nur, dass das Geld sie rotieren lässt!“ Lang anhaltender rhythmischer Applaus für René Sydow, der sein hohes Tempo bis zum Ende durchgehalten hat. Viele im Saal wünschen diesem Angry young Man, dass er seinen nächsten Kampf mit einer Pfanne führen kann.

„Vorn ist Hinten“ heißt das Programm des Kabarettisten Joachim Zawischa. Er geht weitaus ruhiger zur Sache als Sydow und hat seine akustische Gitarre mitgebracht. Er singt die Fantasie „Karneval im Bundestag“, in der die Politiker ein wildes Gelage feiern: „Wir feiern heut ein großes Fest, weil sich das Volk verarschen lässt. Im Osten wie im Westen.“ Das kommt an und gibt Zeit zum Durchatmen. Zawischa verfolgt nämlich einen philosophischen Ansatz.

Joachim Zawischa "Vorne ist hinten"
Joachim Zawischa
„Vorne ist hinten“

Für ihn ist alles eine Frage der Perspektive: „Ein Leben am Beckenrand ist für einen Bademeister etwas anderes als für einen Frauenarzt.“ Liegt eigentlich die Zukunft vor oder hinter uns? Für Zawischa ist klar, dass wir uns an die Vergangenheit erinnern können. Sie liegt also vor uns ausgebreitet. In die Zukunft kann niemand schauen – also muss sie hinter uns liegen! Vielleicht ist diese Dialektik seiner sächsischen Herkunft geschuldet. Zawischa lebt zwar schon lange in Hamburg, aber immer wieder würzt er seinen Vortrag mit DDR-Reminiszenzen und kurzen sächsischen Einsprengseln. So gab es durchaus in der DDR schon 3D, allerdings als „Datsche, Drabbi, Delefon.“

Originell seine Erklärung, wie Politiker zu ihren Statements kommen: Sie lesen einfach das Horoskop und ersetzen ein „Sie“ durch ein „Wir“. So wird aus: „Sie müssen sich entscheiden und dann den geraden Weg gehen“, ganz schnell: „Wir müssen uns entscheiden und dann den geraden Weg gehen.“ Dem Vorhaben des Verteidigungsministeriums, Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in Kasernen einzurichten, kann Zawischa Positives abgewinnen: „Wozu mit der Krabbelgruppe in den Zoo gehen, wenn doch der Leopard vor der Haustür steht?“

Auch zur Frage von Rüstungsexporten hat Zawischa einen Vorschlag. Zunächst fordert er, das Kind beim Namen zu nennen und von „Waffenexporten“ zu sprechen. Darauf legt er Wert. Gängig dann die Argumentation, daran hingen 200.000 Arbeitsplätze und wenn die Waffen nicht von uns exportiert würden, täte das ein anderes Land. Zawischa schlägt eine Konversion vor: Statt Waffen sollte Kinder- und Sexspielzeug hergestellt werden! Schwerter gegen Schlappschwänze, sozusagen. Denn: „Wenn wir es nicht machen, machen es die Anderen!“ Lang anhaltender Applaus belohnt dieses hintersinnige Programm.

Die letzten Künstler bei der 30. Woche der Kleinkunst in Sankt Ingbert sind Deana Kozsey und Holger Ehrich. Sie sind das „Duo Diagonal“ und zeigen Ausschnitte aus dem Programm „Glamour und Desaster“. Die beiden geben sich auf der Bühne die französischen Namen Chantal und Roger. Die Schallplatte „Trimm und tanz dich fit mit Max Greger“ haben sie mitgebracht. Sie befolgen die Anweisungen der lispelnden Ansagerin der Schallplatte und vollführen Augen- und Gesichtsgymnastik. Dabei kommen tolle Grimassen heraus, doch leider frieren Chantal die Gesichtszüge ein.

Duo Diagonal "Glamour & Desaster"
Duo Diagonal
„Glamour & Desaster“
Coole Jazzklänge lassen Roger tanzen und zaubern. Der Zauber geht aber sehr offensichtlich schief. Das Publikum reagiert mit höflichem Applaus, langsam lichten sich die Reihen. So können einige nicht mehr miterleben, wie Roger in eine geschälte Banane Chris Isaak’s „Wicked Game“ singt. Andererseits dauert die Nummer fast das gesamte Lied lang und weitere Gags sind nicht zu erkennen. Daran krankt das Programm ein wenig: Alles wird intensiv ausgespielt, und die Gag-Dichte ist übersichtlich.

Die „Feuershow ohne Feuer“ lässt zwar den anwesenden Feuerwehrmann einen ruhigen Abend haben – beim Publikum zündet sie aber nicht wirklich. Feuerschlucken ohne Feuer ist eben nur halb so schön! Roger wird schließlich zum Feuervogel aufgeputzt. Seifenblasen aus der Dose sorgen für eine festliche Atmosphäre. Doch dieser Feuervogel will gar nicht stolz durch den nicht brennenden Reifen springen, er will lieber wie ein krankes Huhn zum Kochtopf wanken. Bis zur Pfanne wird er es nämlich nicht mehr schaffen. Freundlicher Applaus für das „Duo Diagonal“.

Alles in allem war dieser Wettbewerb voller Überraschungen und künstlerischer Höhepunkte. Die Zahl der hochklassigen Beiträge war groß, das Mittelmaß nur in geringem Umfang vertreten. Wenn die Jury für die 31. Woche der Kleinkunst 2015 bei der Vorauswahl ein genauso glückliches Händchen hat, kann die Vorfreude schon heute beginnen.

Fotos: Rainer Hagedorn
Collage: Carlo Wanka
© 2014 BonMot-Berlin

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