16. Oktober bis 1. November 2014
von Marianne Kolarik
KÖLN – Was für ein Start ins 24. Köln Comedy Festival: richtig gute Künstler, eine perfekte Dramaturgie und ein Moderator, der sowohl einen ganz eigenen Stil besitzt als auch den Gästen einen blitzblanken Boden für ihre Auftritte bereitet.
Jess Jochimsen ragt haushoch aus der Menge jener Plaudertaschen heraus, die ihre Rolle als Conférencier dazu missbrauchen, sich selbst in Szene zu setzen. Und gewitzt ist der Wahlfreiburger auch noch. Weil er keine Lust auf ein Warm-up als Possenreißer hat, bekommen die Zuschauer im Kölner Gloria-Theater eine Dia-Show zu sehen. Und was für eine: Bilder aus der Provinz, die in ihrer Komik und Tristesse gleichzeitig fröhlich als auch wehmütig stimmen.
Den Anfang des großen Kleinkunstabends macht Martin Zingsheim mit Ausschnitten aus seinem neuen Programm „Kopfkino“: ein blitzgescheiter Rundumschlag aufs Bildungsbürgertum und die gravierenden Folgen, die die Musik der 90er Jahre auf einen Heranwachsenden hat. Sehr schön: sein Rollentausch-Vorschlag, Museumsbesucher in
lautstarke Fans zu verwandeln, die mit Katalogen bewaffnet laut grölend die Hauptbahnhöfe entern. Umgekehrt macht er vor, wie es sich anhört, wenn ein öffentlich-rechtlicher Kultur-Journalist ein Fußballspiel kommentiert. Da fragt man sich nur, wieso es so lange gedauert hat, bis jemand auf diese Idee gekommen ist. Unter dem 30jährigen Lockenkopf steckt nicht nur ein helles Birnchen, Zingsheim ist auch ein herausragender Musiker (mit Doktor-Titel).
Aus der Slammer-Ecke kommt Jan Philipp Zymny, der zunächst mit dialektisch ausgefeilten Thesen über Fleischesser provoziert und schlüssig erklären kann, warum er kein Vegetarier geworden ist – „Tiere sind dazu da, um gegessen zu werden“. Wobei er im nächsten Atemzug das Gegenteil behauptet. Weniger sophisticated: die anschließende Entspannungsübung mit nervendem Gekreische. Aber er ist nicht der Einzige, der bei einer Mixed-Show in seiner Nummernkiste daneben greift. Das Phänomen lässt sich unter anderem damit erklären, dass einer funktionierenden Szene, die man aus dem Zusammenhang reißt, der dramaturgische Spannungsbogen fehlt.
Rundherum gelungen: die Performance von FiL, der als Marie-Antoinette-Verschnitt verkleidet, eine saukomische Figur macht. Der als Comic-Zeichner bekannte Berliner hat sich eine Gitarre umgehängt und erklärt in immer neuen Variationen, wie man junge Menschen für geschichtliche Themen interessieren kann – am Beispiel der französischen Revolution, in deren Verlauf unter vielen anderen auch der Kopf der Königin rollte. Eigentlich sei er ja ein politischer Liedermacher, flachst FiL herum und versucht sich als Hip-Hopper der dritten Art: ein eigenwilliger Stand-Upper, dem man auf der Stelle verfällt.
Was im Übrigen auch für den aus Stuttgart kommenden, türkischstämmigen Özcan Cosar gilt, dessen erstes Solo-Programm mit dem schönen Titel „Adam & Erdal“ um das kreist, womit er sich am besten auskennt – mit seinem Leben. Angefangen bei dem gestrengen Herrn Vater über seine Ausbildung als Zahnarzthelferin – das wurde ihm jedenfalls schwarz auf weiß bescheinigt – bis hin zu Ausflügen in die Gastronomie. Obwohl der Begriff der Authentizität derzeit wahrlich überstrapaziert wird: für Cosar trifft er ausnahmsweise zu. Der Besitzer des Meistertitels im Breakdance und Publikumspreisträger des Prix Pantheon 2014 versprüht mit vollem Körpereinsatz pure Lebensfreude – und demonstriert mit der Nachahmung diverser Tanzcharaktere wie dem Schulterhochzieher oder dem Kugelwender die Ergebnisse seiner intensiven Studien in den Diskotheken dieses Landes. Sehr lustig.
Zu Hochform läuft das gerade mal ein Jahr alte „Suchtpotenzial“ auf: Ariane Müller und Julia Gámez Martin sind nicht nur die Erfinderinnen des ‚Alko Pop 100 Vol.%‘, sie haben auch das Zeug zu Rockstars (hoch zwei). Sie schütteln gekonnt ihre Haare, schmettern mit Wahnsinns-Stimmen den Song vom Penisneid, der sie befällt, wenn sie in der Schlange vor der Damentoilette stehen, und mögen lieber Speck und Ei zum Frühstück als Marmelade. Passt.
Leise Töne schlägt dagegen der aus den Niederlanden stammende Philip Simon an: gemütlich auf einem Stuhl zurück gelehnt („Du kannst auf einem Stuhl sitzend den größten Scheiß erzählen, und die Leute denken: da steckt mehr dahinter“), eine brennende Kippe zwischen den Fingern, lässt sich der Hobbyphilosoph über den Freiheitsbegriff an Hand des Marlboro-Mannes aus.
Oder er knöpft sich die Charity-Ladies mit den Botox-Nummern vor, deren Münder wie A-Löcher aussähen. Dabei erinnert Simon an einen einsamen Rufer in der Wüste, dessen Worten die Zuhörer wie gebannt und sehr genau folgen – mit jeder Menge Erkenntnisgewinn.
Beendet wird die bejubelte Show von einem so warmherzigen wie inspirierten Auftritt der aus München – genauer: aus Überacker – kommenden Martina Schwarzmann. Auf einem Hocker platziert, die Gitarre im Arm, singt sie in gemäßigtem Bayerisch Lieder über Tierversuche, die man anstellen könnte, so einem langweilig ist („Wenns mir amoi fad wär“) und macht sich stark gegen die Diskriminierung von Dicken und Dünnen: „Ob ihr dick seid oder dünn: entscheidend ist, was drin ist im Hirn“. Wie wahr.
©2014 BonMoT-Berlin

Fotos: Köln lacht – Guido Schöder / Philip Simon – Rainer Hagedorn / Martin Zingsheim – Jo Goede | Fotos Collage: PR Künstler | Collage: BonMoT-Berlin
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