Kom(m)ödchen: „Deutschland gucken“
von Olaf Cless
DÜSSELDORF – Das Kom(m)ödchen ist schon ein Phänomen. Seit über acht Jahren spielen sie hier das Stück „Couch – Ein Heimatabend“. Auch die Folgeproduktionen „Sushi“ und „Freaks“ sind Dauerbrenner geworden. Alle drei Programme laufen weiterhin fröhlich im Spielplan nebeneinander her. Angesichts dieses Erfolgs hätte das von Kay S. Lorentz geführte Haus nicht unbedingt etwas Neues aus der Taufe heben müssen. Hat es aber glücklicherweise doch. Am 23. Oktober schlug die Premierenstunde von „Deutschland gucken“.
Noch bevor es überhaupt so weit war, kursierte in Düsseldorf bereits die Meldung, dass die Karten für die nächsten Monate knapp würden. Die Leute wissen offenbar schon vorab, dass sich ein Besuch lohnt. Wohl weil sich herumgesprochen hat, dass das Kom(m)ödchen auch mit „Deutschland gucken“ an seiner Erfolgsmasche eines „boulevardesken Kabaretts“ bzw. „kabarettistischen Boulevards“ weiterstrickt. Dass dabei weiterhin derselbe Hauptautor am Werk ist, nämlich Dietmar Jacobs, und auch derselbe Regisseur Hans Holzbecher. Und dass last not least auch das beliebte, fabelhaft eingespielte Ensemble geblieben ist.
Letzteres stimmt aber nur zum Teil. Maike Kühl und Heiko Seidel sind in der Tat weiterhin mit von der Partie. Christian Ehring dagegen, inzwischen stark beschäftigt im Fernsehen („Extra 3“), spielt bei „Deutschland gucken“ nicht mehr mit (für die drei älteren Programme will er dem Haus aber weiter die Treue halten). An seine Stelle sind gleich zwei Kollegen neu ins Ensemble gekommen: Martin Maier-Bode sowie der bisherige Theater-Schauspieler Daniel Graf. Man spielt jetzt am Kom(m)ödchen also sogar zu viert.
Kay Lorentz erklärt dazu nicht ohne Stolz:
„In einer Zeit, in der es nur noch Solisten zu geben scheint, die allermeisten machen das aus wirtschaftlichen Gründen, da legen wir – antizyklisch – noch einen drauf. Und warum? Weil wir es können und uns zum Ensemblekabarett bekennen.“
Genug der Vorrede, gleich wird es dunkel im Saal. Auf der Bühne ein ziemlich messiehaftes Interieur, schäbiges Sofa, Billigregale, Bücher und Pizzakartons durcheinander, kleiner roter Uraltfernseher auf dem Flokati … Hier haust Lutz (Daniel Graf), der Leistungsverweigerer, hier empfängt er seit ewigen Zeiten die beiden alten Freunde zum „Deutschland gucken“, nämlich Dieter (Martin Maier-Bode), den geplagten, rastlos ackernden Industriemenschen, und Bodo (Heiko Seidel), einen reichen, aufs Abstellgleis geschobenen Erben mit allerhand Flausen im Kopf.
So unterschiedlich die drei auch ticken – und das ist gut so, um so besser prallen dann im Stück auch ihre politischen Ansichten aufeinander –, so sehr schweißt sie doch jedes Mal das urige Männerritual des Fußballguckens und -kommentierens, des patriotischen Johlens und Höhnens („Orange trägt bei uns nur die Müllabfuhr!“ singen sie gegen Holland) bei Flaschenbier und Frikadellen von der Tankstelle zusammen.
Um so tiefer der Stimmungseinbruch, als im Schlepptau von Bodo plötzlich eine Frau erscheint, Solveig (Maike Kühl), die auch noch hier und jetzt eine Arte-Filmdoku über fußballguckende Deutsche drehen will. Nachdem Lutz dann doch nicht zur Kettensäge gegriffen hat, um seinem Frust Luft zu machen, nachdem die Freunde sogar ihre lähmende Angst vor der Kamera überwunden haben, kommt der Abend doch noch in Gang – und mit ihm allerhand Debatten um deutschen Nationalismus, um Flüchtlingspolitik, AfD, Autobahn-Maut oder auch den „Nahen Osten“ gleich hinter Wuppertal, wo bekanntlich schon eine „Scharia-Polizei“ gesichtet wurde.
Wie bereits in Dietmar Jacobs früheren Kabarett-Komödien nimmt das Geschehen auch hier ständig neue überraschende und aberwitzige Wendungen. Bodo plant, Solveig einen hochromantischen Heiratsantrag zu machen und hat im Hinterhof heimlich eine „bulgarische Hochzeitsband“ postiert, die mehrfach verfrüht loslegt und zum Schweigen gebracht werden muss. Businessmann Dieter wiederum plagt sich mit Anrufen seines Chefs herum, der ihn dringend zu Geschäftsverhandlungen in London erwartet.
Es kommt zu schreiend komischen Sondereinlagen wie einem „Integrations“-Kasperletheater oder einer kostümintensiven, cannabisgeschwängerten Zeitreise in die Hippiejahre. Ein ausgewachsener Bär hat einen denkwürdigen Auftritt, bei dem er sogar Heine rezitiert, eine deutsche Samba wird gesungen („Wir sind die wahren Brasilianer / mit deutscher Gründlichkeit“) und in der bekannten Show „Wer bleibt Millionär?“ behauptet sich ein strunzdummer Kandidat unangefochten als Sieger – er hat ja auch nur die Wahl zu treffen zwischen den Antworten Ja, Ja, Ja und Ja.
Als die Geschichte immer turbulenter wird, die Rollenwechsel noch dichter folgen, fragt einmal einer den anderen: „Warum ziehst du dich dauernd um?“ Und der antwortet gehetzt: „Na, ich hab das nicht geschrieben!“ Schöner selbstironischer Seitenhieb der Stückemacher auf ihre eigenen Umtriebe.
Es liegt in der Natur dieser Art von spielfreudigem kabarettistischem Boulevard, dass die politischen Themen meist nur kurz angetippt werden können. Ein paar gut sitzende Pointen, das muss reichen. Mehr Analyse, mehr Argumentation, mehr Zusammenhänge lassen sich den Figuren des Stücks schwerlich in den Mund legen, ohne dass das Ganze komödiantisch zu lahmen beginnen würde. Erst recht, da es nicht mehr wie noch in „Couch“ & Co. die – von Ehring verkörperte – Figur des geplagten Kabarettisten gibt, der ein Stück weit tun kann, was ein Kabarettist eben tut, nämlich politisch-satirisch in die Vollen zu gehen.
So waren denn die Düsseldorfer Premierengäste, einschließlich bekannter Repräsentanten verschiedener Parteicouleur, hoch zufrieden mit diesem witzig-irrwitzigen, lautstark bejubelten Abend. „Kann man wieder bedenkenlos weiterempfehlen!“, schwärmte am Ausgang eine Besucherin zur anderen.
Im Taxi dann die 23 Uhr-Nachrichten. Sechs Karstadt-Filialen sollen schließen. Hoppla, schon ist er zurück, der Ernst des Lebens.
© 2014 BonMoT-Berlin
Fotos: Christian Rolfes/ PR Kom(m)ödchen
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