Manuela Sieber, Boris Steinberg und Manfred Maurenbrecher
von Beate Moeller
BERLIN – Wie großartig das klingt: Chansonfest Berlin! Und noch dazu das 19.! Da geht der Fantasie ja gleich die ganze Quadriga durch. Tatsächlich, beim Chansonfest Berlin handelt es sich um eine Institution, eine Einrichtung, die inklusive Vorbereitungszeit locker auf eine Tradition von 20 Jahren stolz sein kann. Besser gesagt: sein könnte.
Denn da ist dieser unaufhaltsame Abstieg, den niemand so recht erklären kann. Eine Geschichte, wie die vom Hans im Glück, dem es gelingt einen großen Goldklumpen über mehrere Etappen zu tauschen, bis er nur noch zwei Steine besitzt, die er am Ende gar verliert.
Schon in ihrer alles andere als feierlichen Begrüßungsansprache weisen die beiden Gastgeberinnen das Publikum auf diese Entwicklung hin. So viel Diplomatie muss sein. Eventuell wären sonst die vielen leeren Stühle gar nicht so aufgefallen.
An drei Tagen stehen jeweils drei Künstler auf dem Programm des Corbo – der Name ist eine Verballhornung des französischen Worts für Rabe: le corbeau – dieser mit fünf Jahren immer noch jungen Kleinkunstbühne in einer finsteren Einsamkeit zwischen Kreuzberg und Treptow, die sich mit ihrem Engagement für’s Genre Chanson schon einen Namen gemacht hat.
Unaufdringlich, fast zurückhaltend präsentiert Manuela Sieber, die sich selbst am Stutzflügel begleitet, ihre Lieder. Dazwischen kleine Anekdoten, mit feinem augenzwinkernden Humor erzählt, wie die gereimte von dem Schaffner, der ihr, der aus Dresden kommenden Sächsin, im fahrenden Zug die Reise nach Berlin ausreden will: „Wissen Sie überhaupt, dass da ein ganz anderer Wind weht?“
Um Vernunft bemüht und gleichzeitig versponnen wird um Entscheidungen gerungen, gezögert und gezaudert. „Ich könnte, ich könnte – es gibt 1000 Gründe, es nicht zu tun.“ Oder vielleicht doch?
Nachdem sie eine Weile in Berlin gelebt hatte, ist die Sängerin in ein kleines Dorf in Sachsen gezogen. Da tun sich ungeahnte Problemfelder auf. Bauarbeiten und Mangelversorgung auf dem Land als Themen von Chansons? Manuela Sieber kriegt das mit leisen Tönen hin. Der einzige Laden im Dorf hat zu gemacht, jetzt muss man zehn Kilometer bis zum nächsten Supermarkt fahren, aber das Auto springt nicht an. „Ist der Strom weg oder isser da?“ Von verschmitztem Witz ihr Lied über den Elektriker inklusive der vorwurfsvollen Handwerkerempörungen, das an diesem Abend seine Uraufführung erlebt. „Der Draht ist falsch geklemmt! – Ich schau auf sein verrutschtes Hemd.“
„Urgesteine“ ist dieser erste Abend überschrieben. Und zu denen gehört der zweite Gast, Boris Steinberg zweifelsohne. Schließlich hat er zusammen mit Schall & Hauch und Gunnar König 1995 das Chansonfest Berlin ins Leben gerufen, war jahrelang dessen Veranstalter und auch Moderator, bis er die Verantwortung an Tanja Ries weitervererbt hat. Im Laufe der Jahre wurde mehrfach die Location gewechselt, bis das Chansonfest 2011 im Corbo ankam. Seit 2012 haben dessen Betreiberinnen, Yvonne Fendel und Lisa Zenner, alias die Corbetten, die Organisation und jetzt auch die Moderation übernommen.
Boris Steinberg bringt Schwung in den Abend. Mit herzhafter Berliner Schnauze erzählt er, ganz in Schwarz gekleidet. Mit seinen „Liedern zum Zuhören“ katapultiert er uns mitten hinein in die Berliner Nacht, durch die er sich treiben lässt, in der man einsam sein kann trotz Menschenmenge. Man spaziert förmlich mit ihm zusammen durchs dunkle Häusermeer – „hinter Fenstern, hinter Türen Menschen, die ihr Leben führen“. Unweigerlich endet dieser Weg in einer Kneipe, aber „keine Sorge, in dieser Bar werd ich nicht zum Inventar“. Starke Bilder lassen seine eindringlichen Texte vor unserem inneren Auge entstehen.
Bei „Wilde Pferde“, dem Titelsong seiner aktuellen CD, wird richtig losgelegt.“Rin in den Blues“ stürzt er sich zusammen mit Gitarrist Tobias Schmidt, holt mit seinen langen Armen zu großen Gesten aus, gibt Tempo und Stimme. Wer mehr davon erleben möchte, kann einen seiner Abende „Salon-Chanson“ im Grünen Salon der Volksbühne besuchen. (das nächste Mal am 8. November)
Schade, dass auch er es sich nicht verkneifen kann, auf den vergangenen Glanz des Chansonfests Berlin hinzuweisen und auf ein Früher, „als Chanson noch hip war“. Damit holt er uns auf den Boden der Tatsachen im Corbo zurück und rollt nicht gerade den Teppich aus für den dritten Künstler des Abends:
Manfred Maurenbrecher. Die Corbetten leisten ihren Beitrag, indem sie von Zetteln ablesen, dass sie ihn bis vor kurzem noch nicht gekannt hatten und was sie alles vor dieser Recherche nicht wussten, (nämlich dass er schon seit über 30 Jahren Musik macht und etliche Platten und CDs veröffentlicht hat) – das ist kein Witz (!) und man glaubt es ihnen sofort – anstatt diesen Texter, Komponisten, Sänger und Pianisten, der Maßstäbe gesetzt hat in der Liedermacherei halbwegs angemessen zu begrüßen.
Immer wieder hat er wichtige Impulse gegeben, viele seiner Songs sind in der Interpretation von anderen Künstlern wie zum Beispiel Ulla Meinecke auch der großen Öffentlichkeit bekannt geworden. Und erst im September hat er maßgeblich zur Realisierung und zum Gelingen des einmaligen Projekts „Berlin feiert Cohen“ mit umjubeltem Konzert in der Passionskirche beigetragen.
Manfred Maurenbrecher nimmts gelassen. Für diesen Abend hat er Lieder zusammengestellt, die zu der Geschichte passen, die er über seine große Reise erzählt, die er vor einiger Zeit erst unternommen hat. Ein Vierteljahr lang war er allein in Osteuropa unterwegs, und das war durchaus nicht immer spaßig, wie diese Fahrt im Bus durch die Karpaten im Schneesturm. Die Auseinandersetzung mit einem Journalisten an der Hotelbar, bei der er mit der Forderung nach einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung auf professionelle Ignoranz stößt: „Wir brauchen eine massentaugliche Ansage“.
Mal sind es Geschichten, mal sind es Lieder, die er mit seiner unvergleichlichen Reibeisenstimme am Klavier erzählt, und ganz egal, ob sie von der Politik oder der Liebe oder den Menschen handeln, immer sind sie radikal im Text, von uriger Kraft in der Darbietung auf Maurenbrechersche Art. „Da muss ein Staubsauger ran!“, der Song vom finalen politischen Großreinemachen. Zwei Liebeslieder aus verschiedenen Zeiten bilden einen Kontrast, das eine 28 Jahre alt, mit den „zwei Augen wie ein Brunnen“, das andere von heute mit den „Kletten aus Jahren“. Skurril die Bilder von dem alten Paar, das nach den „Jahresendfeiertagen“ mit Familientrubel und Streit froh ist, endlich wieder nur zu zweit zu sein, er fragt sie „war ich eigentlich mal nur ein geiles Teil für dich?“, und es versöhnlich ganz lapidar aufs Selbe rausläuft wie immer: „Du wischst, ich sauge.“
Zu gewinnen gibt es nichts beim Chansonfest Berlin, auch keinen Nachwuchspreis mehr, seit der Senat die Fördermittel gestrichen hat. Deshalb geben die Corbetten ohne großen Aufwand jedem Teilnehmer beim gemeinsamen Schlussapplaus einen Raben aus Pappmaché, den sie selbst gebastelt haben.
© 2014 BonMoT-Berlin
Fotos: M. Sieber und B. Steinberg
– Corbo, L. Zenner/Y. Fendel
M. Maurenbrecher, Collage – C. Wanka
Finale – B. Moeller
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