19. Chansonfest Berlin im Corbo – Kritik 3. Tag

Chansonfest-Berlin-2014 3 - Fotos Corbo - Collage Carlo WankaMai Horlemann, Ron Diva und SIR

von Carlo Wanka

BERLIN – Rumsvoll war es, als es galt, den dritten Abend des Chansonfests Berlin im Corbo zu vollbringen. Wieder waren, wie an den Tagen zuvor, drei Künstler, zwei Damen, ein Herr angekündigt. Mai Horlemann sang zur Eröffnung, Ron Diva gesellte sich in den Mittelteil, und nach der Pause vollendete SIR – Saskia Inken Rutner.

Die Moderationen übernahmen ganz unkompliziert und etwas leichtfüßig die Hausherrinnen Lisa Zenner und Yvonne Fendel. Man hätte sich in diesem Rahmen schon ein wenig mehr gewünscht als nur lockeres Geplänkel und abgelesene Ankündigungen – aber charmant waren sie und fieberten bei jedem Künstler mit. Frau Fendel begleitete zudem jeden Auftritt mit Ton und Licht, und das war gelungen.

Mai Horlemann Chansonfest 2014 - Foto © BonMoT-Berlin Carlo WankaMai Horlemann, im klassischen schwarzen Kleid betritt die Bühne. Akkurat wie eine Diva schreitet sie zum Mikrophon neben dem Barhocker. Im Schlepptau ihr Pianist und bescheiden im Hintergrund ihre Bühnenpartnerin aus“ Womedy“-Zeiten („Über Samenspender und andere R-Güsse“) Natascha Petz. In aller Ruhe und mit eleganter Gelassenheit sendet sie uns ergreifende und berührende Lieder, wie man sie von ihr auch hören will.

Sie ist eine Meisterin im Minimalismus der Darbietung und besitzt die Gabe, sehr angenehm und eindringlich Themen über die ach so leidensfähige Liebe und den Umgang mit ihr zu besingen. Geradezu aristokratisch, wie sie sich auf den Barhocker setzt und exakt artikulierend singt. Ihr professionelles Auftreten, ihre weiche und doch verruchte Singstimme und die entsprechend wechselnden Tempi der Kompositionen verschmelzen hier in ein Gesamtkunstwerk.

Die Überraschung ist enorm, als Mai Horlemann mit Natascha Petz, als Petra und Brigitte, mit Perücken, Tüchern und Klamauk einen Kreuzfahrt-Song darbieten. Der Text – mit viel Witz und einer schwungvollen Melodie, die mit rhythmischen Tanzbewegungen von Frau Petz wunderbar untermalt wird – lässt nichts von dem Bild der Diva übrig, das der Zuschauer gerade noch wahrnahm. Ein komplett anderer Stil schwingt durch den Raum und zeigt, wie wandlungsfähig Frau Horlemann ist. Mit dem Lied: „Wir sind nicht mehr zwanzig, ja na und?“, das ans klassische Kabarett-Couplet anknüpft, zeigen die Damen, welches Unterhaltungspotenzial in ihnen steckt. Man darf eventuell auf ein neues gemeinsames Programm spekulieren.

Ron Diva Chansonfest 2014 - Foto © BonMoT-Berlin Carlo WankaEin schlaksiger Mann mit Gitarre betritt lässig die Bühne und spricht das Publikum mit ebensolcher Wesensart an. Er eröffnet uns, dass jetzt traurige Lieder folgen werden. Die Unbefangenheit, mit der Ron Diva aber über sich und sein Tun redet, lässt nicht zu, dass man in melancholische Stimmung fällt oder gar depressiv wird. Seine Lieder jedoch präsentiert er sehr in sich gekehrt und durch diesen untertourigen Blues werden seine Songs zu Manifesten.

Die Sehnsucht nach der Befreiung von dem Weltschmerz, der in jedem irgendwo schlummert, meist im tückischen Alltag, der Liebe oder den unendlich tiefen Gefühlen, schreit verhalten aus ihm raus. Beste Lagerfeuerromantik aus den späten Siebzigern fackelt in meinem Kopf. Berührend in seinen Songs, genial in seinen Moderationen – eine echte Entdeckung.

Eine ganze Schar junger Leute trifft in der Pause im Corbo ein. Sie haben ein einziges Ziel: den Auftritt von SIR nicht zu verpassen, und sie sind rechtzeitig, dank der neuen Kommunikationsgeräte. Saskia Inken Rutner, die Person hinter der Abkürzung SIR, zeigt schon mit ihrem Auftreten, dass sie eine echte Berlinerin ist und genau weiß, was sie will.

SIR - Chansonfest 2014 - Foto © BonMoT-Berlin Carlo WankaIm blau gemusterten Strickkleid mit Berliner Schnauze im Gepäck steht die knapp 170 Zentimeter große Sängerin und Schauspielerin kess am Mikrophon und verkündet, dass ihr, obwohl sie am liebsten in jedem Stadtbezirk gerne eine Wohnung hätte, Berlin auch manchmal ganz schön auf den Keks geht. Dann möchte sie auswandern nach Worms, nach Hamburg, auf den Darß oder nach Oberbayern, eben dahin, wo es schön ist. Schon revidiert sie diese Gedanken, da sie hier feststeckt und sowieso nicht weg kommt. Für diese Problematik steht auch ihr erster Song „Frühling in Berlin“. Ein poetisch schönes, bilderstarkes Lied mit einem Text von Bert Lehmann und begleitet am Flügel von Pianist Dirk Flatau.

Sie verkörpert Berlin. Sie singt über ihr Erleben der Stadt als junge, aufgeweckte Frau, glaubhaft und authentisch. Sie erklärt dem Publikum, dass es Lieder gibt zu allen möglichen Anlässen und Begebenheiten, aber manche Songs sind einfach nur für die Nacht, und die liebt sie, die erforscht sie mit allen Konsequenzen und besingt dies kompromisslos.

Ihr Verhältnis zur Mathematik ist ein einziger Bruch, welcher durch den schwierigen Lehrer Herrn Held entstand. Heute tangiert es sie nicht mehr, aber einen Song dazu musste sie trotzdem formulieren. Mit „Sinuskurve“ gelingt ihr erneut ein cooles Musikstück, für das sie mit begeisterten Zuhörern rechnen kann. Ob sie die Sonne, die sie sucht, den Regen, den sie fühlt, oder ihre Gedanken zum Reformhaus besingt oder mit ihren kleinen offenen Moderationen besticht – das Publikum ist bei ihr.

Obwohl der Berliner Senat die Förderung für das Chansonfest komplett gestrichen hat, fand die 19. dieser einzigartigen Veranstaltungen dank Lisa Zenner und Yvonne Fendel wieder im Corbo statt, und hoffen wir, dass 2015 das 20. Chansonfest Berlin folgen mag.

© 2014 BonMoT-Berlin
Fotos und Collage – C. Wanka

Homepage Chansonfest Berlin
Homepage Corbo

 

Chansonfest 2014 - Foto © BonMoT-Berlin Beate Moeller

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