Dem Hammer eines Gottes Wotan gleich: Jochen Malmsheimer
Jochen Malmsheimer: „Ermpftschnuggn trødå! – hinterm Staunen kauert die Frappanz“
Vom Montag, 17. November, bis Mittwoch, 19. November 2014, tritt Jochen Malmsheimer in Berlin auf, mit seinem Programm „Ermpftschnuggn trødå! – Hinterm Staunen kauert die Frappanz“. Grund genug, hier das Programm mit der Besprechung der CD vorzustellen.
von Hans-Jürgen Lenhart
„Erst steht der Titel, dann kommt der Text“, erklärt Kabarettist Jochen Malmsheimer seine Methode, auch wenn man nicht so ganz weiß, ob man ihm das abnehmen soll.
Der scheinbar so nichtssagende Titel ist tatsächlich irgendwie Mittelpunkt dessen, um was sich sein Programm dreht: Sprache, Pubertät, gesellschaftliche Entwicklungen, die immer mehr Qualität vermissen lassen und denjenigen, der nicht unbedingt dem Zeitgeist hinterher rennt, manchmal hilflos dastehen lassen.
Viele dieser Themen treffen sich unvermittelt in seinen Szenarien und spannen dabei Bögen, die die ganze Menschheitsgeschichte betreffen können. So kreiert er anhand der Pubertät einer seiner Söhne einen Gedankenflug, der zwischen kaum noch verständlichem Jugendslang („SchillmadeinLeböhn“) und Ursprache der Neandertaler („Ermpftschnuggn trødå!“) absurde Zusammenhänge herstellt.
Malmsheimer thematisiert in seiner typisch absurden Art Sprache und sei es bei Verwechslungen: „Billy heißt im Schwedischen bekanntlich Regal. Nicht jeder Billy ist ein Regal. Fallen die Bücher gleich wieder raus, war es kein Regal.“ Und obwohl Malmsheimer proklamiert, er sei „kein politischer Kabarettist, weil ich mein Leben nicht mit Minderbegabungen zubringen will“, gönnt er sich nicht nur gelegentlich politische Spitzen („Was genau wird am Hindukusch an Freiheit verteidigt: Das F, das R oder die beiden Eier?“), sondern ganze Parabeln zu gesellschaftlichen Themen.
Sein Text über eine nächtliche Versammlung der Wörter in der Duden-Redaktion in Mannheim geht um die Diskussion über die Aufnahme von Wörtern aus anderen Kulturkreisen ins Deutsche. Das „Einbürgerungsverfahren“ für das englische Wort „Chillen“ wird hier zum Sinnbild über die Integrationsdiskussion.
So passiert es denn, dass im Weiteren ausgerechnet das urdeutsche Wort „Flurwoche“ den Einbürgerungstest nicht besteht. Manchem allzu deutsch denkendem Deutschen würde es in der Wirklichkeit wohl ähnlich ergehen.
Malmsheimer lässt schließlich die Wörter deklamieren: „Wer bereit, freundlich und hilfsbereit ist, soll willkommen sein, wer aggressiv, egoman und intolerant ist, soll verstoßen werden.“
Etwas moralisierend und überaus nostalgisch wirkt dagegen sein „Psalm der Sorge II: Das Fernsehen“. Hier macht er bewusst, dass es einmal Zeiten gab, wo man in der Flimmerkiste noch Schach in Schwarz/Weiß sah! Dennoch kommt hier sein klügster Satz: „Alles Fernsehen ist heute in ein Format gepresst, aber genau das vermisst man dabei.“
Malmsheimer ist nun mal ein Meister der Formulierungen, der Wortspiele nicht nur um ihrer selbst willen, sondern mit einer Message zu verbinden weiß. So gelingen ihm wunderbare Wortschöpfungen wie „deutsche Aishe“ – eine weibliche „Jugendliche mit Frustrationshintergrund“.
Auch dramaturgisch erweist er sich als geschickt: Erst beschimpft er die Männer in der ersten Reihe als „Pemmikan gewordene schlechte Laune“, dann beruhigt er diese erste Reihe mit „Aber heute haben wir natürlich Glück!“ Wortgewaltig zeigt er sich in seinem „Psalm an die Hose“, ein zorniges Pamphlet gegen die Arschbacken zeigenden Baggyhosenträger. Und in seinem Dialog über einen ständig alles falsch verstehenden Hotelangestellten lässt er die gehirnwindlerische Komik der Monty-Python-Truppe wieder aufleben.
Malmsheimers großes Plus ist: Er spricht mit einer schneidigen Präsenz, übertriebenen Emotionalität dem Hammer eines Gottes Wotan gleich, bei der man das Gefühl hat, dass er mit dem Banalsten etwas Bedeutsames vermittelt. Bezüglich dynamischer Vortragsgestaltung dürfte ihm derzeit keiner das Wasser reichen. Er macht unvermittelte Brüche, überlange Kunstpausen, (wenn es um Zustimmung zu idiotischen Feststellungen geht), und gönnt sich selbst blitzeinschlagartige Zwischenrufe.
Bizarr und verschroben wirken seine Gedankengänge, und wenn er gezielt die Kunstsprache der deutschen Klassiker benutzt, dann wirkt dies überhöht sprachgewaltig im Sinne der Genialität des Verschwurbelten. So spricht Malmsheimer nicht einfach von „Haarausfall“, sondern lieber vom „Entdeckergeist einzelner Haare im Geiste von Roald Amundsen“. Die Unbill des sich im Alter verformenden Körpers beschreibt er im Sinne einer Landkarte mit Bergen und Tälern mit der Erkenntnis, dass der Mann irgendwann nach Gehör pinkeln muss, weil der Piepmatz hinter dem „Bauchgebirge der Kordilleren“ verschwunden ist.
Malmsheimers großes Minus ist allerdings sein zu schnelles Vortragstempo. Bei der Komplexität seiner Gedankengänge wäre es angemessen gewesen, zwei Gänge runterzuschalten. Letztlich bleibt sich Malmsheimer in der Art seiner Methoden und auch Themen treu und liefert für Fans die neueste Fortsetzung seines Konzepts detailliert bis hin zu den eingespielten Klangschnipseln, ohne dabei gegenüber seinen Vorgängeralben abzusacken.
© 2014 BonMoT-Berlin
Foto: PR Malmsheimer
Jochen Malmsheimer:
„Ermpftschnuggn trødå! – hinterm Staunen kauert die Frappanz“
demnächst live
Mo, 17.11. – Mi, 19.11.2014: Berlin, Wühlmäuse, Kartentelefon:030.30 67 30 11 –
alle weiteren Termine HIER – alle weiteren Infos auf Malmsheimers Homepage
CD zum Programm
93 Minuten, HIER direkt bestellen bei EinLächeln, Preis: € 18,- zzgl. Versandkosten, erschienen bei Roof Music
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Ich habe dieses Proramm auch schon mal gesehen. Den letzten Absatz dieser Besprechung kann ich nur mit einem Zitat malmsheimerscher Provinienz beantworten: „Ermpftschnuggn trødå!“