Bist du noch Hipster oder schon Tretterianer? – Kritik Mathias Tretter

Mathias Tretter - Foto © Julia KobalzMathias Tretter: „Selfie“

von Gilles Chevalier

BERLIN – Mathias Tretter hat sich viel vorgenommen. Er will endlich berühmt werden! So richtig berühmt. So berühmt, dass er seine Anhänger als „Tretterianer“ bezeichnen kann, analog zu den Anhängern Richard Wagners.

Das erklärt, warum sein Programm mit der Ouvertüre des „Fliegenden Holländers“ beginnt. Glücklicherweise klingt diese bombastische Musik im Theater der Berliner Wühlmäuse auch bombastisch.

Wagners Musik muss es schon sein, wenn man eine Apotheose durchleben will! Mit Mozart geht das nicht, sagt Tretter: „Mit einem Österreicher einmarschieren, da bin ich abergläubisch…“ Obwohl es weltweit noch nie so viele Flüchtlinge gab und der Ausstoß von Kohlendioxid nie gekannte Höhen erreicht hat und es immer noch weltweit über eine Milliarde Hungernde und Ebola in Afrika gibt. Tretter weiß das und sagt das. So oft am Abend, dass man an ein Mantra des Furchtbaren zu glauben beginnt.

Dem Künstler ist das egal. Er stellt sich in den Mittelpunkt. Machen wir das nicht alle, zum Beispiel, wenn wir der Netzwelt stolz ein Selfie präsentieren? Diese Bilder mit dem Photographen drauf haben es Tretter angetan. Sie sollen die Einzigartigkeit des Photographierenden dokumentieren. Das Selfie, sagt er, war für die Deutschen regelrecht eine Befreiung: „Endlich konnte man wieder Photos mit erhobenem rechten Arm machen!“

Nun will Mathias Tretter es den Erfolgreichen nachtun. Schon in der Schulzeit gab es Klassenkameraden, die besser aussahen und früher eine Freundin hatten. Seine Freunde Ansgar und Rico helfen ihm dabei. Man kennt sie schon aus früheren Programmen: Ansgar, der ewige Student aus Franken, und Rico, der freischaffende Werbetexter aus Sachsen. Faszinierend, wie Rico im breitesten Sächsisch erklären kann, was In und was Out ist. Da wird sogar Martin Heidegger eingebunden!

Mathias Tretter hat ein gutes Händchen für das richtige Maß: Der Abend hat Niveau, ohne überfrachtet zu sein. Immer wieder nimmt er Stichworte auf, die er bereits als Themen behandelt hat. So wird sich auf manchem Gabentisch mit Sicherheit ein Balsamico-Sprüher finden… Im rechten Moment schaltet er vom Solisten zum Dialekt-Imitator um. So lassen sich Dialoge spielen. Kritisch behandelt er die Ökonomisierung der Sprache durch den Wegfall der Präposition. Heute sagte man eben: „Ich gehe Wühlmäuse.“ Konsequent erzählt er Goethes Faust I in Neu-Deutsch – in zwei Minuten!

Zeitgeist ist ihm ein Graus. Dabei sind ihm die Hipster besonders suspekt. Der gebürtige Würzburger und heutige Leipziger Mathias Tretter hat bestimmt nicht lange gebraucht, um festzustellen: „Hipster suchen sich immer das aus, was alle anderen Leute zum Kotzen finden.“ Merkwürdige Moden bei Kindernamen finden bei ihm genauso wenig Zuspruch, wie die permanent-penetrant gute Laune bei den morgendlichen Radiosendungen. „Ich höre Deutschlandfunk“, bekennt er. Aber Herr Tretter, so kann man vielleicht Intellektueller, aber doch kein Star werden!

Geheimnis erzeugt Charisma – und danach sehnt er sich! Also erarbeitet er zusammen mit Ansgar und Rico eine Patchwork-Religion, die das Beste aus allen Himmels- und Glaubensrichtungen in sich vereint. Wie „veganes Essen aus Abrahams Wurstbox“ soll sie sein. Ob das reicht, um eine Apotheose zu durchleben? Der erste Schritt könnte das rhythmische Klatschen des Publikums am Ende gewesen sein. Und die Schlussmusik: der „Walkürenritt“ von Richard Wagner.

©2014 BonMoT-Berlin
Foto: Julia Kobalz

Homepage Mathias Tretter mit allen Tourterminen

2 Gedanken zu “Bist du noch Hipster oder schon Tretterianer? – Kritik Mathias Tretter

  1. Hildegard Rodewald 27. Juni 2015 / 20:08

    Bin schon lange Tretterianer, und nach derart fundierter, inhaltsreicher, vielseitiger, geballter Darbietung, wie ’selfie‘ (erst heute entdeckt dank WDR 5/Unterhaltung am WE) ist längst eine eigene Sendung für Sie zu etablieren! Gratulation zur aktualisierter Ebenbürtigkeit von M. Beltz, D.Hildebrandt, H.D.Hüsch u.a. – bitter nötig in der so überbordend platten deutschen Spaßgesellschaft, z.T. unter jedweden Niveaus bzw. mit persönlichen Verunglimpfungen, Geschmacklosigkeiten a la Ingo Appelt. Danke vielmals für Ihr Engagement sowie Teilhabenlassen an Ihren Gedankengängen und -kombinationen – bitte weiter so! MfG Hildeg. Rodewald

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