Die verworfene Version der Neujahrsansprache 2015 – Kolumne von HG.Butzko

HG Butzko - Kolumne - design c.wankaLiebe Freunde des politischen Kabaretts,

im Jahr 2005 wurde Angela Merkel erstmals zu unserer Bundeskanzlerin gewählt, und seitdem hatte sie neun Neujahrsansprachen gehalten, die inzwischen ein Silvesterritual wurden wie „Dinner for One“: Jedes Jahr derselbe Text mit denselben Slapstickeinlagen. Doch dieses Mal glaubte ich, meinen Ohren nicht mehr trauen zu können, denn plötzlich vernahm ich Satzfetzen von wegen: „Manche rufen gegen Fremde: Ihr gehört nicht dazu – wegen Eurer Hautfarbe oder Eurer Religion. Folgen Sie denen nicht. Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“ Und da dachte ich: „Respekt. So klar hat sie sich aber noch nie von der CSU distanziert.“

Bis ich bemerkte, sie meinte die Pegida-Demonstrationen. Und da muss man natürlich wieder Abstriche in der B-Note machen. Denn so klar diese Worte auch schienen, im Zusammenhang der ganzen Rede waren diese Worte so klar wie ein Hefeweizen. Und zwar nach dem 12. Hefeweizen. Hier folgt die Ansprache, die Frau Merkel ursprünglich halten sollte, dann aber kurzfristig noch geändert wurde:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, noch nie haben Sie von mir zu Silvester ein ehrliches Wort gehört. Weder zur Bankenkrise, noch zu tödlichen Bundeswehreinsätzen im Ausland, keine Silbe zu Steueroasen für Großkonzerne, zum Freihandelsabkommen, zu Menschenrechtsverletzungen verbündeter Regierungen, nicht mal ein Seufzer zu NSA und NSU, um nur einige Themen zu nennen, die ich stets in bester Kanzlertradition immer ausgesessen habe. Doch damit ist heute Schluss. Dieses Jahr möchte ich mal Tacheles reden.

Am 14. März 2003 verkündete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die Agenda 2010. Seitdem macht die demokratische Mitte parteiübergreifend eine Politik in Deutschland, die Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Ihre Reallöhne stagnieren lässt und Ihre Sozialversorgung einschränkt. Dadurch sind wir in der Lage, Produkte billiger herzustellen und somit günstiger anbieten zu können als alle unsere europäischen Nachbarstaaten. Deswegen sind wir Exportweltmeister. Das heißt, dass wir die Volkswirtschaften in Südeuropa in Grund und Boden konkurrieren, damit die deutschen Unternehmen Rekordgewinne einstreichen und die Spitzengehälter steigen, während Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, in die Röhre gucken.

Dabei sage ich Ihnen unablässig: „Deutschland geht es gut.“ Und das stimmt ja auch. In Griechenland beispielsweise sind 28 Prozent der Griechen inzwischen arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei 61 Prozent. Seit dem Ausbruch der Krise haben 180.000 Kleinunternehmen schließen müssen, wurden Pensionen und Einkommen um teilweise 50 Prozent gekürzt, 2,5 Millionen Bürger sind ohne Krankenversicherung. Binnen eines halben Jahres stieg die HIV-Infektionsrate um 52 Prozent, 62 Menschen starben an dem wieder aufgetauchten West-Nil-Virus, und die Selbstmordrate hat sich verdoppelt.

Das meine ich, wenn ich sage: „Deutschland geht es gut.“, nämlich, verglichen mit vielen anderen Ländern. Und weil diese Menschen in diesen anderen Ländern bei sich zu Hause keine Perspektive mehr sehen und nicht verhungern wollen, werden sie zu Wirtschaftsflüchtlingen und versuchen bei uns in Deutschland eine menschenwürdige Existenz zu finden.

Doch damit nicht genug. Außerdem sind wir nämlich der drittgrößte globale Waffenexporteur. Das heißt, rund 100.000 Arbeitsplätze in unserem Land hängen davon ab, viele todbringende Produkte in viele andere Ländern zu verkaufen. Dann werden die Bewohner in diesen anderen Ländern von unseren Waffen bedroht, und weil diese Menschen in diesen anderen Ländern bei sich zu Hause keine Überlebensmöglichkeit mehr sehen und nicht sterben wollen, werden sie zu Kriegsflüchtlingen und versuchen bei uns in Deutschland Asyl zu bekommen.

Das heißt, erst nehmen wir Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, durch unsere politischen Entscheidungen Ihre wirtschaftliche Sicherheit, dann die Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg, anschließend die Aussicht auf einen sorgenfreien Ruhestand im Alter, und zu guter Letzt sorgt unsere Politik für so viel Zuwanderung aus dem Ausland, dass Sie befürchten, beim Kampf um einen Arbeitsplatz im Inland in den Seilen zu landen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Sie sehen, Ihre Angst vor Verdrängung ist also vollkommen berechtigt. Damit Sie aber nicht auf die Idee kommen, die Ursachen dafür in unseren neoliberalen Wirtschaftsprinzipien zu sehen, lancieren wir immer wieder dezente und fein dosierte Äußerungen gegen die, von uns selber verursachten Zuwanderungs- und Flüchtlingsprobleme, um Ihren Unmut auf Minderheiten zu lenken. Dafür ist die CSU zuständig. Und auf diese Weise kann ich mich dann hinstellen und sagen: Folgen Sie denen nicht, die zu Pegida-Demonstrationen aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!

Was ich nämlich damit eigentlich sagen will: Folgen Sie lieber weiterhin mir. Denn ich führe Sie zwar genau so hinters Licht, aber wenigstens habe ich dabei Wärme und Liebe in meinem Herzen.“

Und darauf jetzt ein Hefeweizen.

 

In diesem Sinne wünsche ich uns:
LOVE & PEACE & EGGS TO SEA
von Herzen herzlichst Euer
Herz-Günter Butzko

 

©2015 HG.Butzko/ BonMoT-Berlin

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2 Gedanken zu “Die verworfene Version der Neujahrsansprache 2015 – Kolumne von HG.Butzko

  1. Helmut Endres 17. Januar 2015 / 16:39

    Darauf mindestens ein Hefeweizen! Exzellent.

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