Ensemble Weltkritik: „Des Wahnsinns fetter Beutel“
von Gilles Chevalier
BERLIN – Es kann ja so schnell gehen! Gerade erst hat das Programm des Ensembles Weltkritik im Berliner Kookaburra-Theater begonnen, schon wird das Ende der renommierten Bühne bekannt gegeben. Denn an seiner Stelle werden nun die Kookaburra-Arcaden eröffnet! Endlich eine neue Möglichkeit, im Herzen Berlins einkaufen zu können! Silke Sumpf-Pretzsch und Thomas Lühmlich haben die Ehre, gleich am ersten Tag den Umsatz in schwindelerregende Höhen zu führen.
Und sie geben ihr Bestes! Improvisieren nach Herzenslust in Text und Musik, werfen sich den Zuschauern an den Hals und wollen verkaufen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn ihr Produkt wirkt ein wenig verschwommen. In Würfeln mit zwanzig Zentimeter Kantenlänge habe sie ein paar Honks mitgebracht, die sie jetzt anpreisen. Aber was ist ein Honk? Da sind die beiden offen. Von der Küchenmaschine bis zum Mobilfunkvertrag, von der Sex-Hotline bis zum Potenzmittel ist alles möglich. Hauptsache verkaufen – was, spielt keine Rolle!
Auf sehr heitere Art halten die beiden Künstler den Konsum-Verrückten den Spiegel vor: „Kauft nicht für Euch, kauft für das Wachstum. Ein jeder muss was für den DAX tun“, heißt es in einer Liedzeile. In anderen Songs geht es um periodisch wiederkehrende Verschenk- und Geschenkprobleme und in einem A-cappella-Rap sogar um die ungeheure Vielfalt, die die Entscheidung für eine Kugel Eis so schwer machen kann. Absoluter Höhepunkt im Liedgut dieses dritten Programms von Weltkritik ist die Neuvertonung sozialistischer und Freiheitslieder. Sie bleiben schmissig, transportieren aber mit dem neuen Text das genaue Gegenteil des ursprünglich Gewollten.
Die Schauspieler Bettina Prokert und Maxim-Alexander Hofmann haben ihre beiden Figuren Sumpf-Pretzsch und Lühmlich bereits in früheren Programmen vorgestellt. Auch in diesem Programm befinden sie sich in einer Wiedereingliederungsmaßnahme der Arbeitsagentur. Da verwirrt es Herrn Lühmlich, einen Promotion-Job und keine Promotionsstelle angetreten zu haben. Richtig aus der Ruhe bringt ihn das nicht, denn er pausiert gern. Kein Wunder: Als Pianist „muss er sich streng an die Taktzeiten halten.“ Auch Frau Sumpf-Pretzsch ist nicht zu beneiden – hat sie doch Soziologie studiert und wird nächste Woche 37! Geknickt gesteht sie: „Ich war eben zwei Stunden im Streichelzoo und kein Mensch hat mich gestreichelt…“
Das Programm „Des Wahnsinns fetter Beutel“ vom Ensemble Weltkritik steckt voller kleiner entlarvender Details. Das sind die Pieksereien der beiden Figuren untereinander, die sich zur Freude des Publikums zu immer neuen Höchstleistungen anstacheln. Oder wenn die Figur des Salzsieders Martin Suder die Erzeugnisse des eigenen Bergwerks anpreist: „Raus aus dem Euro – rein in das Salz“, ist seine Devise. Und er empfiehlt: „Nehmen Sie ein bisschen mehr, als sie benötigen. Weil, das ist gut für meinen Umsatz.“
Richtig böse scheint es in einem Sketch zu werden, der die Verkaufsmethoden für deutsche Sturmgewehre in Zentralafrika zeigt. Doch die Sache dreht sich, weil eine imaginäre afrikanische Frau genau die richtigen Fragen stellt und den Verkäufer zur Kapitulation zwingt. Auch der Song „Liebe Eltern“ über verrückte Vornamen hat seinen eigenen Charme und Hintergedanken: „Lynch-Peter – wenn schon Imperativ, dann besser Annabell oder Klaus.“
„Wenn Sie improvisieren, müssen Sie beim nächsten Mal besser üben!“, sagt Frau Sumpf-Pretzsch einmal zu ihrem Pianisten. Oh, nein! Diese Kombination aus intelligentem Text und herzlicher Spielfreude des Ensembles Weltkritik macht dafür einfach zu großen Spaß. Ein toller Abend.
© 2015 BonMot-Berlin
Fotos Ensemble Weltkritik auf der Internationalen Kulturbörse Freiburg 2012: Linn Marx
„Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Humor“ – Portrait „Ensemble Weltkritik“ im Deutschlandradio Kultur von Beate Moeller HIER
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