3000 Tonnen Gold in Cabrios und ein Windradel-Feiertag – Kritik Christian Springer
Christian Springer: „oben ohne“
von Gilles Chevalier
BERLIN – Sein aktuelles Programm „oben ohne“ hat der Münchener Kabarettist Christian Springer in den Berliner Wühlmäusen gespielt. Ein ausgewählter Kreis von Zuschauern genoss dabei eine ungeschönte und teils nachdenkliche Seelen- und Gesellschaftsbetrachtung.
Christian Springer tritt selbstverständlich nicht mit nacktem Oberkörper in seinem Programm auf – das überlässt er Männern, die es nötig haben! „Oben ohne“ bezieht sich bei ihm auf die fehlende Dienstmütze.
Als Fonsi, der Kassenwart von Schloss Neuschwanstein, hat er sie getragen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Christian Springer tritt ohne Verkleidung auf und legt seine ganz persönliche Sicht der Dinge dar.
Diese Ansichten und Einsichten sind von ehrlichem Ärger geprägt. Die bayerische Landespolitik bildet dabei einen gewissen Schwerpunkt: Ob es um einen Landrat geht, der sich seine Geburtstagsfeier von der örtlichen Kreissparkasse finanzieren ließ oder um die Umsetzung der Energiewende. „Bei der Energiewende haben wir bayerische Interessen, die haben aber mit Deutschland nicht viel zu tun“, sagt er. Seine Lösung: Einfach einen neuen Feiertag einführen, den „Tag des Windradel-Aufstellens“! Das ewige Hickhack um neue Stromtrassen ist ihm zuwider. Gleichzeitig bekennt er: „Ich möchte niemanden verurteilen, weil ich zu wenig weiß. Mich stört nur die ewige Streiterei!“
Christian Springer versucht gar nicht erst, von oben herab die Welt zu erklären. Etwa mit Thesen oder ach so glasklaren Wahrheiten, die wir heimlich schon immer gekannt haben. Seine Welt ist ganz nah am normalen Leben. Etwa, wenn er sich über vernebelnde Formulierungen ärgert. „Ertüchtigungsinitiative“ wird das Eingreifen der Bundeswehr in Mali genannt. „Einmarschieren“ wäre ehrlich, sagt Springer.
Hauptziel sei auch nicht der Kampf gegen Islamisten, sondern den Zugriff auf sogenannte seltene Erden zu sichern. Das sind Rohstoffe, die man besonders in der Mikroelektronik braucht. Jetzt seien die Geschwister der Bundesverteidigungsministerin in der chemischen Industrie und in der Mobilfunkbranche geschäftlich aktiv. „Marschieren wir deswegen in Mali ein? Natürlich nicht! Aber wenn es so wäre, würde es niemanden wundern. Und das regt mich auf!“
Der Künstler nimmt sich Zeit für seine Betrachtungen. Er prangert den fehlenden Friedenswillen aller Beteiligten im Ukrainekonflikt an und erinnert an das Leid von Flüchtlingen. Das kennt er aus eigener Ansicht, hat Christian Springer doch 2012 die Orienthelfer e.V. gegründet. Dieser Verein unterstützt syrische Flüchtlinge, derzeit hauptsächlich im Libanon. Mehr als eine Million zumeist mittelloser Syrer habe sich in das Nachbarland geflüchtet.
Springer beschreibt jetzt nicht das Leid dieser Menschen. Stattdessen lenkt er den Blick auf den Reichtum unserer Gesellschaft. Die deutsche Goldreserve von 3000 Tonnen, die in nächster Zeit von New York zurück an Main und Spree geholt werden soll, dient ihm als Ausgangspunkt für ein wunderschönes Bild. Er träumt von einer unendlich langen Schlange von Cabrios, die mit dem Gold beladen von Flensburg bis Garmisch fahren. Alle sollen sehen, wie märchenhaft reich dieses Land ist. Vielleicht fällt es dann leichter, andere an unserem Reichtum teilhaben zu lassen.
Nachdenklich, aber sichtlich und vor allem hörbar beeindruckt, goutieren die Zuschauer diesen Abend. Christian Springers Beiträge sind aus dem Leben gegriffen und deshalb für jeden nachvollziehbar. Da ist sein freier Montag, der durch das Annehmen von Paketen für die Nachbarn gar nicht mehr so selbstbestimmt ist. Oder seine philosophischen Reflexionen über den Baumarkt, der als Ort der Initiation ausgedient hat. Christian Springer steht als Mensch auf der Bühne, nicht als Kunstfigur. Das macht diesen Abend so angenehm.
Fotos: Carlo Wanka
© 2015 BonMot-Berlin
Links Christian Springer – Orienthelfer – Wühlmäuse – World of Friends
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