Auferstehung einer Filmlegende: „Varieté“ – DVD

Emil Jannings in Varieté mit Lya de PuttiEwald André Duponts Stummfilmklassiker in restaurierter Fassung und mit Musik von den Tiger Lillies

von Axel Schock

Die Welt der Cabarets, des Zirkus‘ und der Rummelplätze war in den Filmen der 1920er Jahre ein beliebtes Genre.

Dass nun aber ausgerechnet Ewald André Duponts „Varieté“ mit großem Aufwand digital restauriert wurde, liegt nicht allein an hohen Schauwerten, die diese in den Babelsberger Filmstudios entstandene Produktion aufzubieten hatte.

 

„Es riecht Atmosphäre“, schwärmte der Kritiker Willy Haas nach der Uraufführung 1925 im „Film-Kurier“. „Darin ist er schlechtweg unübertrefflich. Die geile Luft einer überfüllten, dreckigen Zirkusbude. Den kalten, angesäuerten Tabak und Bierdunst, die pompöse Ordinärheit, den Provinzgeruch eines Berliner Großstadtvarietés. Den sumpfigen Hautgout der menschenspeienden nächtlichen Friedrichstraße.“

Duponts Verfilmung von Felix Hollaenders Romans „Der Eid des Stephan Huller“ ist allerdings weit mehr als nur eine schillernde Milieustudie, sondern eine vielschichtige Geschichte über Begehren, mörderische Eifersucht und Buße.

Der Hochseilartist Huller (Emil Jannings) schlägt sich nach einem Unfall sich als Betreiber einer Schaubude durch. Als er sich in Berta-Marie, die junge Tänzerin seiner Tingel-Tangel-Truppe verliebt, lässt er Frau und Kind sitzen und brennt mit ihr nach Berlin durch. Doch dort verliert er seine Geliebte (die Ungarin Lya de Putti) an den berühmten Trapezkünstler Artinelli (Warwick Ward).

Emil Jannings in Varieté 01Dass „Varieté“ seinerzeit ein internationaler Erfolg und für Dupont zum Ticket nach Hollywood wurde, dass der Film aber auch heute noch fasziniert, hat viel mit der spektakulären Kameraarbeit von Karl Freund zu tun. Der befreite die Kamera von ihrer starren Position und packte sie auf Kräne und Schaukeln. Er erobert so den Raum und nimmt den Zuschauer sogar mit hinauf unter die Zirkuskuppel.

Die besten dieser Szenen sind im Berliner „Wintergarten“ entstanden, und auch das macht „Variete“ zu einem einzigartigen Film. Denn gedreht wurde tatsächlich am Originalschauplatz: auf der Bühne, im monumentalen Zuschauersaal wie auch hinter den Kulissen und mit den dort gastierenden Künstlern. Die Tiller Girls werden bei der Ankunft am Bahnhof Zoo mit der Kamera empfangen. Später sieht man sie in Zivil bei der Probe und in der abendlichen Show schwingen ihre Beine in knapp bemessenen Kleidern.

Ganz nebenbei macht „Variete“ noch einmal deutlich, welchen Stellenwert das „Wintergarten“-Varieté einst innehatte. Die Zuschauer kommen in festlicher Abendrobe zur Vorstellung, selbst für Weltstars der Branche ist das Haus in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße eine der bedeutendsten Spielstätten.

Emil Jannings in Varieté - DVDIn „Varieté“ ist das beispielsweise die Artistentruppe „Die Codonas“, die mit ihrem dreifachen Salto damals eine der größten Sensationen der Zirkuswelt aufboten. 1925 war diese US-Gruppe zum ersten Mal im „Wintergarten“ aufgetreten; in „Varieté“ fungieren sie als Stuntdoubles für Emil Jannings und Lya de Putti.

„Varieté“ war zuletzt nur noch Kennern bekannt. Der Film teilt damit das Schicksal vieler Schlüsselwerke dieser Epoche: Es hatten nur zerstückelte Kopien in zum Teil schlechten Zustand die Zeit überdauert.

Dank der F. W. Murnau-Stiftung, die die Digitalisierung und Restaurierung in Angriff auf Basis von Nitrokopien aus der Library of Congress in Washington und dem Filmarchiv Austria in Angriff genommen hat, erstrahlt nun der Film in satten Sepia-Farben und in fast voller Originallänge. Uraufgeführt wurde die rekonstruierte Fassung im Rahmen der Berlinale.

Allzu erotische Szenen, die für den US-Markt herausgeschnitten wurden, konnten wieder ergänzt werden. Andere Sequenzen, die bereits von den deutschen Behörden als zu brutal oder anstößig zensiert worden waren, müssen hingegen als verloren gelten. Ebenso die Originalmusik von Ernö Rapée. Das ist einerseits bedauerlich, aber im Nachhinein auch ein Glücksfall. Denn so kam die britische Band The Tiger Lillies zum Zuge. Das Trio um den Sänger Maryn Jacques ist für „Varieté“ geradezu prädestiniert, mischen die drei Musiker in ihrer Musik doch seit jeher den Sound des Vaudeville sowie Zirkus- und Rummelplatzmusik mit Sauf-, Gassen- und Hinterhofliedern.

 

Varieté - Silentfilm - Szenenausschnitt

Die zwei Hauptlieder für den Soundtrack sind ganz schlicht nach den zentralen Themen des Films betitelt – „Varieté“ und „Jelousy“. In immer neuen Variationen, stets minutiös auf den Handlungsablauf angepasst, greifen die Tiger Lillies die Stimmung der jeweiligen Szenen musikalisch auf. Vor allem aber betonen sie die tragisch-melodramatischen Aspekte des Dramas und verleihen damit dem Film eine sehr eigene Grundstimmung.

Auf der DVD und Blu-ray gibt es als Bonus-Material auch die US-Version zu sehen und zwar mit Musik von Peer Kleinschmidt, gespielt auf der Welte-Kinoorgel im Filmmuseum Potsdam.

©2015 BonMoT-Berlin
Fotos: ©Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

„Varieté“(digitale Neufassung)
Regie: E. A. Dupont, mit Emil Jannings, Lya de Putti, Warwick Ward, Maly Delschaft

Erschienen bei NFP. Mit 32-seitigem Booklet mit Texten von Guido Altendorf, Michael Wedel und Anke Wilkening
Preis: ca. 15 Euro (je nach Anbieter)

 

 

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