Gerd Dudenhöffer als Heinz Becker:
„Vita. Chronik eines Stillstandes“
von Gilles Chevalier
BERLIN – Liegt es am Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz zum Deutschen Kleinkunstpreis 2015, dass Gerd Dudenhöffer jetzt auf den Lebensweg seiner Kunstfigur Heinz Becker zurückblickt?
Ende April fand die Premiere in Leipzig statt, jetzt hat er auf seiner Tour mit dem Programm „Vita. Chronik eines Stillstandes“ im Berliner Kabaretttheater „Die Wühlmäuse“ Station gemacht. Seine Kunstfigur Heinz Becker hat sich im neuen Programm nicht verändert.
Sie ist immer noch der wenig sympathische Kleinbürger aus dem Saarland, der sich mit seinem Leben arrangiert hat und für jedes Problem die Ursache kennt. Eigentlich geht es Heinz Becker gut, aber in jeder Situation kann er etwas Negatives finden. Unbeweglich sitzt er den ganzen Abend in kariertem Hemd mit Hosenträgern und Schiebermütze auf dem Kneipenstuhl mit Kissen und hält seinen Monolog in saarländischer Mundart.
Heinz Becker ist „Jahrgang 1949, also nach dem Krieg zugestellt.“ Jetzt ist er an der Schwelle zum Rentenalter – wobei nie gesagt worden ist, was er eigentlich „geschafft“ hat, wie man im Saarland für „arbeiten“ sagt. Er blickt auf eine typische Nachkriegsjugend in Westdeutschland zurück. Sein Vater hat mit Heinz nie über die Nazi-Zeit gesprochen, denn: „Wir haben nichts gewusst und deshalb kann ich Dir nichts erzählen!“ Auf die Idee, mit anderen über diese Zeit zu sprechen, ist Heinz nicht gekommen. Eigene Ideen sind nämlich nicht seine Stärke.
Viel lieber greift er auf bestehende, aber nur halb ausgegorene Konzepte zurück. Die Ausländerfeindlichkeit ist für ihn entstanden, weil die Italiener in den Fünfzigern einfach nicht mehr nach Hause gefahren sind: „Mit den italienischen Gastarbeitern war das ja noch offensichtlich – die Türken sind ja halb verpackt!“ Einerseits kritisiert er die schlechten Deutschkenntnisse der Ausländer, andererseits ist er nicht bereit, einem Fremdsprachigen den Weg zu weisen, denn: „Ich bin doch kein Fremdenführer!“
Der Zuschauer ballt manches Mal die Faust in der Tasche, wenn Heinz Becker einfach nicht erkennen will, dass er durch einfaches Eingreifen große Veränderungen bewirken kann. Bei sich selbst und an der gesamten Situation. Unser Heinz bewegt sich aber lieber in den bekannten Bahnen: Sein Vater wollte seinen Sohn nicht aufs Gymnasium schicken, also schickt Heinz seinen Sohn Stefan auch nicht aufs Gymnasium. Heinz‘ Vater hat sich schwergetan, seinen Sohn sexuell aufzuklären und Heinz hat diese Verklemmtheit kultiviert. Es steht sogar zu befürchten, dass Stefan einige der schlechten Traditionen übernehmen wird: Die sowohl bei Heinz als auch bei Stefan schief stehende Kommunionskerze lässt Schlimmes erahnen…
Heinz Beckers Lebenslauf orientiert sich an den großen Daten der Geschichte. Geschickt zieht er Parallelen: 1987 ist beispielsweise das Todesjahr von Heinz‘ Vater und von Uwe Barschel. Sein Vater ist für Heinz Becker noch viel wichtiger als seine Ehefrau Hilde: „Mein Vater hat immer gesagt: ‚Angst und Schrecken lernst Du noch früh genug kennen.‘ Und 1968 habe ich dann die Hilde kennengelernt.“ Im Jahr des Olympia-Anschlags, darauf legt Heinz Wert, haben sich die beiden verlobt.
Es bleibt immer eine Distanz des Zuschauers zur Figur Heinz Becker. Mögen kann man ihn nicht. Und manchmal glaubt man, der Herr Becker sollte drei Vornamen führen: PEter GIsbert und DAniel. Soweit sind seine Ansichten nicht entfernt von Leuten, die für komplizierte Vorgänge ganz einfache Erklärungen und stets einen Schuldigen haben. Extrem mag manche von Heinz Beckers Ansichten sein – Propaganda macht er in seinem Programm nicht. Er führt seine eigenen Ansichten immer wieder ad absurdum, denn es ist zu offensichtlich, wie ungeschickt Becker mit Sprache umgeht. „Die Wirklichkeit ist in der Realität oft eine Illusion.“ Klingt toll, ist aber Unsinn. Oder: „So ein Selbstmordattentat ist auch eine Teilzeitbeschäftigung.“
In Heinz Becker sieht man vielmehr einen Menschen, der von sich und seinen Ansichten vollkommen überzeugt ist. Wie wenig plausibel diese Ansichten in Wirklichkeit sind, fällt nur dem Zuschauer auf. Es kann ihn anregen, seine eigenen Ansichten zu hinterfragen.
Gerd Dudenhöffer zeigt mit seinem Heinz Becker das Unvollkommene im Menschen. Ganz anders gestaltet Dudenhöffer seine Zugaben. Da legt er Heinz Beckers Kapp und dessen Dialekt ab. In bestem Hochdeutsch rezitiert Gerd Dudenhöffer dann eigene Lyrik und „kürzeste Kurzgeschichten“. Dieser Kontrast zur Figur Heinz Becker macht zum Abschluss des Abends noch einmal munter und den Künstler Gerd Dudenhöffer umso interessanter.
© 2015 BonMot-Berlin
Foto: PR Handwerker-Promotion/denkbetrieb
Links Gerd Dudenhöffer – Wühlmäuse – World of Friends
Hat dies auf Die Erste Eslarner Zeitung – Aus und über Eslarn, sowie die bayerisch-tschechische Region! rebloggt.