Mit Spaß die Welt greifbar machen
Der Erfurter Kabarettist Ulf Annel wird heute 60 Jahre alt
von Harald Pfeifer
Das Reizvolle an all dem, was sich auf der kleinen Bühne gebärdet, ist die Unabsichtlichkeit, mit der es oft zu Glanz und Ehre gelangt. Marketing ist was für Geschäftsleute, nichts für die Kunst. Die kann man ohnehin nicht zwingen.
Das beste Beispiel dafür ist Ulf Annel, Kabarettist, Autor, als Erfurter profunder Kenner Thüringens und nicht vergessen sollte man, dass er ein Meister im Umgang mit Schere und Klebstoff ist. Seine Collagen zeigen wohl am ehesten die Art des nunmehr 60-Jährigen. Der hat einen treffsicheren, burschikosen Witz und einen nicht zu bremsenden Spieltrieb.
Geboren ist Ulf Annel am Tag des Mauerbaus, nur eben sechs Jahre früher. Kabarett hat er erstmals gespielt, weil er als Schüler in Berlin zu den Weltfestspielen der Jugend 1973 delegiert werden wollte, studiert hat er später in Leipzig im „Roten Kloster“ Journalismus. Mehr gefesselt hat ihn aber das Studententheater. Dort, wo die Laufbahn der academixer ihren Anfang nahm, wo beispielsweise Christoph Hein oder Thomas Rühmann mit Kunst und Bühne wichtige Erfahrungen gemacht haben, wo für die DDR heikle Stücke aus dem In- und Ausland Uraufführungen bzw. DDR-Erstaufführungen erlebten. Wie die von Edward Albee, Tadeusz Rozewicz, Anatol Fugard oder Stefan Schütz oder auch Volker Braun.
Dort brachte Christian Becher von den academixern 1977 den legendären Joachim-Ringelnatz-Abend „Lebe, lache gut“ auf die Bühne. Alle Mimen saßen mitten im Publikum, und Ulf Annel spielte dabei einen hektischen und überdrehten Verse-Dahersager. Christian Becher hatte ihn da mitzuspielen eingeladen. Und das war im Grunde das Schlüsselerlebnis für den Journalistikstudenten. Damit waren vermutlich die beruflichen Weichen gestellt. Auch wenn das so klar in diesem Moment nicht war. Zwar hat er nach dem Abschluss im studierten Beruf gearbeitet, aber es waren nur Monate.
Denn Ende der 70er Jahre, also kurz nach dem Rauswurf von Biermann, gab es einen Ministerratsbeschluss, demzufolge jede Bezirkshauptstadt in der DDR ein Berufskabarett zu haben hatte. Also auch Erfurt. Diese Aufgabe übernahm zunächst Bodo Witte, Intendant des Theaters in Erfurt, mit seinem Ensemble. Eine Lösung auf Dauer war das aber nicht. Deshalb wurden 1981 Kabarettisten gecastet, darunter Ulf Annel, der dann auch gleich Chef des Kabaretts wurde. Doch das war für ihn nicht die richtige Arbeit. Er war einfach der Schreiber, Tüftler, Bastler und Komödiant für die Bühne. Und als Erstes stand, natürlich mit Christian Bechers Hilfe, ein Joachim-Ringelnatz-Abend auf dem Programm des Kabaretts.
Keiner hat gewusst, dass dem Erfurter Kabarett nun nur noch acht Jahre im Arbeiter- und Bauernstaat beschieden sein würden. Kurz vor dem Ende der DDR wurde Ulf Annel sogar noch mit einem Programmverbot geehrt, gekrönt vom Parteirausschmiss. Aber das war in diesen Tagen nicht mehr als ein Sturm im Wasserglas. Der bevorstehende Wandel jedenfalls war eingeleitet. Und klar war in der DDR ohnehin: Kabarett setzt Ärger voraus. Auch in der vereinten Republik ist Ulf Annel unsicheren Sachen nicht aus dem Weg gegangen. Nach dem Massaker im Gutenberggymnasium 2002 hat er mit seinen Kollegen das Programm „Verkehrte Werte“ erarbeitet, das nach dem Zustand einer Gesellschaft fragt, in der eine solche Bluttat möglich ist. Eine Gratwanderung, die dem Kabarett gelang. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, dass das Kabarett „Die Arche“ in Erfurt seinen Bestand und seine Vitalität zu einem beträchtlichen Teil Ulf Annel zu verdanken hat.
Aber da ist noch der Autor Ulf Annel. Rund 20 Bücher hat er geschrieben. Dabei ist die „Unernste Geschichte Thüringens“ (für die Aufgabe war der kenntnisreiche Heimatfreund zweifellos der richtige Mann), auch eine Aphorismensammlung hat er veröffentlicht und Krimis geschrieben, Anekdoten über Joachim Ringelnatz hat er zusammengetragen und veröffentlicht. Den Band mit Titel „Lass Dich ja nicht zum Lachen verleiten“ hat er in Verehrung seinem Kollegen Christian Becher gewidmet.
In Erfurt gehört Ulf Annel zweifellos zu Prominenz. Wenn man auf dem Domplatz Einheimische nach ihm fragen würde, käme die Auskunft prompt. Das Kabarett in Erfurt hat offenbar sein Gesicht. Als Freund der Stadt und aller Kultur greift er ins Treiben der Stadt ein, wo er kann. Merkantile Interessen hat er dabei nicht. Und vor allem, sein Witz verbindet. Das ist offenbar seine Art: Mit Spaß die Welt begreifen. Dann kann man sich sinnvoll wehren.
©2015 BonMoT-Berlin
Foto: Kabarett Die Arche Erfurt
Homepage Kabarett Die Arche
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