Woche der Kleinkunst in St. Ingbert – der dritte Wettbewerbsabend

Ludger K StIngbert 2015 - Foto Bonmot-Berlinmit Ludger K., Friedemann Weise
und Ulan & Bator

von Gilles Chevalier

ST. INGBERT – Der dritte Tag des Wettbewerbs um die St. Ingberter Pfanne sticht heraus. Hier gab es keine großen Schenkelklopfer-Momente, sondern eher Augenblicke der Besinnung und der Poetik.

Ludger K. bringt mit seinem Programm „Hilfe, ich werd‘ konservativ!“ einen ungewöhnlichen Ansatz in den Wettbewerb ein: den Konservativen. „Mir ist die Zeit, in der wir leben, zu modern“, bekennt er. Schließlich spielten die meisten Science-Fiction-Filme inzwischen in der Vergangenheit! Man merkt, dass man konservativ wird, wenn die eigene und die veröffentlichte Meinung mehr und mehr auseinandergehen, sagt Ludger K. Aha, denkt der Kritiker, das wird also jetzt Klassenkampf von der anderen Seite der Barrikade.

Später im Festivalclub sagt Ludger K., dass seine Definition des Konservativen genau dem Wörterbuch entspreche: Nüchtern, fachorientiert – und ohne Glaube an die Erderwärmung! Auf der Bühne bekennt er, deutsch, christlich und sogar katholisch zu sein. Er mache Witze über Katholiken, weil er deshalb nicht um sein Leben fürchten muss. Das sei nicht mit jeder Religion möglich. Gleichzeitig setzt er den Gebetsruf des Muezzins mit dem Schmerzensschrei seines Nachbarn gleich, dem die Bohrmaschine auf den Fuß gefallen ist. Kein feiner Zug, aber Toleranz ist leichter zu fordern als zu gewähren. Überhaupt solle man Respekt nicht mit Anbiederung verwechseln, verlangt Ludger K.. Stammt das nicht von einem anderen Kabarettisten, der nebenbei Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln war?

Nun ist es schwierig, die seit Jahren anhaltende Debatte um Integration in einem einzigen Kabarettprogramm darzustellen. Doch bei Ludger K. entsteht der Eindruck, seine Opposition zum Mainstream ist eine Reflexhandlung. Anders sein als andere – und zwar aus Prinzip! Deutsche Geschichte sei zu sehr auf die berühmten zwölf Jahre reduziert. Und es sei merkwürdig, dass im Polizeibericht zu einem Tötungsdelikt die Nationalität des mutmaßlichen Täters nicht genannt wird. „Wenn ein Mann seine Frau und seine beiden Töchter umbringt, weil ihm ihr Lebenswandel nicht passt, dann wird das kein Schwede gewesen sein“, sagt Ludger K..

Möglich, aber welchen Informationsvorsprung hat der Leser, wenn ihm gesagt wird, es war ein Norweger oder Isländer? Und was machen wir, wenn der Norweger sich in erster Linie als Same empfindet und nicht als Norweger? Das mag zu stark politisch korrekt gedacht sein, verdeutlicht aber die Dimension eines Problems, das man schlicht vermeiden kann. Denn das politisch Korrekte stört Ludger K. ebenfalls, wenn es zu starke Formen annimmt. Wenn aus dem „Zigeunerschnitzel“ ein „Feuerschnitzel“ wird oder es nicht mehr „Mann über Bord“, sondern „Person über Bord heißt“, um ertrinkende Frauen nicht zu benachteiligen.

Auch das nachträgliche Ändern von Kinderbüchern irritiert den Künstler: Wenn aus dem „Türken“ ein „Messerwerfer“ wird. Zu Recht fragt er, ob damit wirklich in jedem Fall etwas gewonnen ist. Positiv sticht hervor, dass sich auch der konservative Ludger K. über die Wegwegwerfgesellschaft und die kurzen Produktzyklen bei technischen Geräten ärgern kann. Eine wirklich neue Sicht der Dinge, die über die Perspektive des biergeschwängerten Eck-Stübchens hinausgeht, kann er jedoch nicht bieten. Da singt er dann lieber von Jürgen Marcus „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“. Es muss ja nicht gleich die Liebe zum konservativen Kabarett sein, denkt sich der Kritiker. Das Publikum applaudiert derweil herzlich.

Friedemann Weise ist da anders drauf. Locker und ein wenig unkonzentriert zeigt er Ausschnitte aus „Der große Kleinkunstschwindel“. Er hat sich eine Gitarre umgehängt und biedert sich dem Publikum auf unangenehme Weise an, um ihm ein paar Sätze später gehörig ans Schienbein zu treten. Alles Show, natürlich. Aber ein wenig zu heftig. „Zwei Dinge versuche ich in meinem Programm zu vermeiden: Fremdwörter und Redundanz“, sagt Weise. Er hat keine große Geschichte oder gar eine Weltsicht zu erzählen, sondern beschränkt sich auf kurze Witzchen und Spaßlieder. Von seiner Tante Polly, die als Truckerin in den USA unterwegs ist, ohne einen Führerschein zu haben. Oder von einem Juristen, dessen berufliche Entwicklung bereits bei der Position des Abmahnanwalts zum Stillstand gekommen ist.

Weise StIngbert 2015 - Foto Bonmot-Berlin„Apropos Paralympics: Kennen Sie Poetry Slam?“, fragt Weise scheinheilig und parodiert diese bei der jungen Generation beliebte Form. Das ist einer der wenigen Momente, in denen er nicht über die Bühne hampelt, als ob der Tanga-Slip zwei Nummern zu klein wäre oder das Ritalin noch nicht richtig vom Körper aufgenommen.

Weise ist spezialisiert auf das Kurze und Kleine. Selbstgebastelte Werbeplakate hat er dabei, von „111 Bücher, die nie geschrieben wurden“. Er fragt: „Was ist das Gefährliche an Wildwechsel-Schildern? Die Rehe verlassen sich darauf!“ Die Witze sind einzeilig und leuchten wie ein Streichholz in der Nacht. Großer Bogen? Fehlanzeige!

Friedemann Weise erinnert an kleine Youtube-Filmchen. Kurze, schnell geschnittene und grelle Videos. Fängt man einmal mit ihnen an, will man noch einen und noch einen sehen. Am Ende kann man nicht mehr genau sagen, was man alles gesehen hat. Ähnlich vielschichtig und schnell ist Weise auch – und die volle Aufmerksamkeit fordernd! Er berichtet: „Ich hatte mal eine Freundin, die hatte einen ganz komischen Fetisch: Die hat sich Frauenkleider angezogen und mich dann beschimpft!“ Das ist richtig komisch, denn nacktes Beschimpfen würde so viel schneller gehen! Herzlich applaudiert das Publikum.

Im Programmheft wird das Konzept der Kleinkunstwoche erläutert: „Der Kleinkunstpreis der Stadt St. Ingbert ist ein Förderpreis“, heißt es da ganz am Anfang. Da kann man sich schon verwundert die Augen reiben, dass Ulan & Bator in diesem Jahr am Wettbewerb teilnehmen. Es gibt nicht mehr viele Preise, die dem Duo aus Sebastian Rüger und Frank Smilgies noch nicht verliehen wurden. Eine Pfanne fehlt freilich noch im künstlerischen Hausstand, also auf zu Ausschnitten aus dem Programm „Irreparabeln“.

Die beiden adrett gescheitelten Herren in ihren grauen Anzügen haben nur zwei Stühle auf der Bühne. Und ihre Wollmützen, mit denen sie „in andere Zustände gelangen“, wie sie später im Festivalclub sagen. Diese Zustände sind auch nötig, wenn sie in einer erfundenen Sprache synchron sprechen oder im größten Sockenkaufhaus der Welt umständlich einkaufen. Da wird ein Humor entwickelt, der sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Vieles lebt von Wiederholungen, etwa im Interview mit einem Literaten, der auf unsinnige Fragen unsinnige Antworten geriert.

Ulan Bator StIngbert 2015 - Foto Bonmot-BerlinUnd von der Abwechslung aus langen Nummern und kurzen Einschüben in Form eines Werbeblocks oder eines angedeuteten Liedes. Man muss sich einlassen auf diese Wollmützen-Welt, um auf seine Kosten zu kommen. Da ist die Idee, zum Drohnenfüttern in den Park zu gehen: „Schnell, hol deine ID mit dem Strichcode heraus, um sie anzulocken!“

Die Drohnen spielen auch im nächsten Sketch eine Rolle, in dem ein Wirtschaftsanwalt und ein Hirnchirurg auf einer Bank am Spielplatz sitzen. Beide können von ihrer Arbeit nicht leben, also testet der Eine nebenbei Medikamente, während der Andere nebenbei Windeln für Erwachsene in der Praxis erprobt.

Ist das die traurige Zukunft? Doch es geht noch trauriger, denn die Kinder der Beiden müssen, nein wollen (!!!), ihre Vornamen durch Markennamen ersetzen, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Lustig ist hier nicht der Inhalt des Sketches, sondern allein seine schauspielerische Darbietung. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Doch schon springen Ulan & Bator auf, um hintereinander am Bühnenrand wie Hühner entlangzuspazieren und gemeinsam zu rufen: „Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht.“

Sie schieben ihre beiden Stühle geräuschvoll und lange über die Bühne, um die Radiosendung „Klassik modern“ zu veralbern. Und montieren einen Dialog aus typischen Western- und Krimifilmen. Hier widerspricht jeder Satz dem vorherigen, und alles zusammen verbreitet einen phantastischen Eindruck von Genreklischee. Die hohe Präzision des Vortrags begeistert das Publikum, das sich mit lang anhaltendem, herzlichem Applaus bedankt.

© 2015 BonMot-Berlin/ Text + Fotos

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