mit Jan Philipp Zymny, Veri und Desimo
von Gilles Chevalier
ST. INGBERT – Den letzten Wettbewerbsabend der 31. Woche der Kleinkunst eröffnet Jan Philipp Zymny. Er ist mit seinen 22 Jahren der jüngste Künstler unter den Teilnehmern.
„Von Beruf bin ich Schamane, aber Bankkaufmann aus Leidenschaft“, sagt er zu Beginn seines Programms „Bärenkatapult“. Doch mit der Wahrheit nimmt er es nicht so genau, denn wenige Minuten später erklärt er, dass er dank seines liberalen Elternhauses nicht in dritter Generation Gewürzschmied werden musste, sondern eine Ausbildung zum Holzgiesser absolvieren konnte. Dieser Mann redet ohne Punkt und Komma alle ins Koma. Selbst den Zusammenhang in den Wortschwallen zu erkennen, ist nicht einfach.
Er hält eine Rede zur Lage der Nation, die ähnlich gehaltvoll wie das Original ist. Anfangs ist er „ihre Bundeskanzlerin Angela-Jan-Philipp“, später nennt er sich „euer Bundeskanzlerin“. Hat er selbst den Überblick verloren? So wie am Beginn seines Auftritts, als er sich durch einen Versprecher in „St. Ingberg“ wähnte? Nein, was dieser Mann macht, hat System.
Er veralbert eine Predigt und führt aus: „Denn wenn der Heilige Geist über euch kommt – Who you’re gonna call? Ghost Busters!“ Er fasst das Vaterunser in neue Worte und geht auf die Kritik ein, die ihm deshalb entgegenschlägt. Zymny habe deshalb Gott getroffen und ihn gefragt, ob er den Text verändern dürfe. „Gott war einverstanden. Er ist ein ziemlich cooler Typ, mag es aber nicht, wenn man ihm Worte in den Mund legt, die er nie gesagt hat.“
Er lässt eine Lehrerin mit ihrem Kind in den Zoo gehen. Auffällig dabei ist der elaborierte Sprachcode des Schulkindes. Dann klingelt das Nashorn und die Mutter rhinophoniert. „Mit einem Rhi-Nokia, einem ganz alten Modell…“ Eine begeisterte, fast noch jugendliche Zuschauerin brachte es auf den Punkt mit der Frage, wer wohl dem Künstler ins Gehirn defäkiert habe.
Jan Philipp Zymny ist unglaublich schnell. Beim Erzählen und beim Themenwechseln. „Das war eine lange, komplizierte Geschichte. Und keine Pointe am Ende! Aber Sie sollen ja auch nichts lernen“, sagt er an einer Stelle. Es ist nicht einfach, Zymny zu begreifen. Das Begreifen ist aber auch gar nicht so wichtig. Am besten ist, seinen Vortrag so wirken zu lassen, wie abstrakte Malerei. Manchmal darf man auch mitgehen bei dieser Achterbahnfahrt durch Laute, Worte und Geschichten. Das Publikum applaudiert freundlich.
Veri heißt der nächste Künstler. Das ist die Kurzform des Namens Xaver und spricht sich im Anlaut so, wie das Wort Vogel. Veri ist in der Schweiz als Abwart tätig – in Deutschland wäre er Hausmeister.
Den Überschwang des vorherigen Künstlers gleicht er durch seine bedächtige Art wieder aus. Sein Schweizerdeutsch, das ein wenig an Emil Steinbergers Sprechweise erinnert, klingt angenehm in den Ohren. Für den Künstler Thomas Lötscher, der den Veri spielt, ist das Schweizerdeutsch aber wie eine Fremdsprache, verrät er nach der Veranstaltung im Festivalclub.
„Typisch Verien“ (sprich: Ferien) heißt sein Programm. Doch zu den Ferien kommt er gar nicht, denn er reflektiert über die Zustände in der Schweiz, vor allem über Gesetze. Da gibt es eines, nach dem Kinder bis 12 Jahre im Auto auf dem Rücksitz angeschnallt sein müssen. „12-Jährige – die sind größer als ihre Eltern!“ Oder das Rauchen eines Joints. Das kann in der Schweiz 100 Franken Bußgeld kosten. „So einen Joint zu rauchen, macht blöd, sagen die Politiker. Gleichzeitig steht die Jugendmusikförderung in der Verfassung, weil Musik intelligent macht. Also, wie viele Stunden Blockflötenunterricht muss ich nehmen, damit ich solch eine Zigarette rauchen darf?“, fragt Veri.
Gekonnt fügt er die einzelnen Fäden seiner Geschichten immer wieder zusammen und hat dabei stets ein Augenzwinkern parat: „Mir ist egal, wer das Preisgeld bekommt. Am Ende ist es doch auf einer Schweizer Bank.“ Unterschätzt zu werden, darauf legt er es an. Doch Veri ist ein scharfer Beobachter – auch in den Städten, in denen er auftritt. Mit Blick auf die traurig leerstehende Filiale einer Fleischerei am Anfang der St. Ingberter Fußgängerzone rät er: „Machen Sie doch dieses G 7! Das gibt Publicity und in der Fußgängerzone ist die Hälfte der Geschäfte schon verbarrikadiert!“ Er findet eine Telefonzelle in der Stadt, in der man noch mit Euro und D-Mark telefonieren kann („Das ist ein Geheimplan von Frau Merkel!“) und bemerkt das Schild „Alkoholverbot! Schulbereich“ („Das muss unter den Lehrern ein Problem sein…“). Das Publikum ist begeistert.
Sein Ärger über schlecht gemachte oder gut verwässerte Gesetze zieht sich durch den Auftritt. Ob es um den Umgang mit Hunden oder um Umweltverschmutzung geht: Die Schweiz hat 26 Kantone und üblicherweise 26 verschiedene Gesetze. Akribisch stellt er Vergleiche an und kann sagen, wo das Wegwerfen einer leeren Zigarettenschachtel am preiswertesten ist. In seiner bauernschlauen Art blickt er auch über die Grenzen seiner Heimat: „Der Islamische Staat wollte die Queen umbringen! Ich sage, die jungen Leute haben einfach keine Geduld. Man muss die einfach besser internieren, äh integrieren…“
In seinem Heimatland, wundert sich Veri, gibt es jetzt für 12-Jährige Kondome in den Apotheken zu kaufen. Sie sind etwas kleiner sind als in den üblichen Ausführungen. „Für 12-Jährige! Das sind dieselben, die Sie hinten im Auto anbinden müssen!“ Das Publikum applaudiert sehr herzlich für diesen Blick in die Alpenrepublik.
Mit einem flatternden Absperrband ist der vordere Teil der Bühne für den Auftritt von Desimo getrennt worden. Detlef Simon, so heißt der Künstler mit vollem Namen, lässt sich davon aber nicht abschrecken. Wozu ist er Zauberkünstler? In seinem Programm „Übersinnlose Fähigkeiten“ kann er doch einfach durch das Absperrband hindurchschlüpfen, ohne es zu beschädigen!
Auch vor Zeitungen hat Desimo eine hohe Achtung. Deshalb faltet er eine seitenlange Spalte, um sie scheinbar mit der Schere an der Falte durchzuschneiden. Doch die Zeitungsspalte bleibt auf ganzer Länge unbeschädigt! Und weil Desimo ein glänzender Unterhalter und Spaßmacher ist, löst er den Trick in einer Zeitlupensequenz auf. Da holt er dann nach der Schere noch einen Klebestift aus dem Jackett, mit dem er die Zeitung wieder zusammenklebt. Konzentriert folgt ihm das Publikum – ohne freilich den Trick verstehen zu können.
Desimos großes Plus ist, dass er die Zauberei mit seinen kleinen Geschichten kombinieren kann. Ein Freund schwedischer Krimis ist er. Deshalb hat er selbst einen ergänzenden Teil zu Stig Larssons Trilogie geschrieben. „Verschwedung“ hat er ihn genannt und trägt daraus vor. Es ist herrlicher und um alle Skandinavien-Klischees angereicherter Quatsch, in dem Kommissar Ingmar Ikea den Mord an dem norwegischen Fischer Heisst Anders aufklären muss.
Eine verträumte Atmosphäre kommt auf, als Desimo mit einer kleinen, rechteckigen Matte aus Bambusstäben hantiert. Die einzelnen Stäbe lassen sich herausschütteln und so entstehen Bilder zu einer phantastischen Geschichte, in der er mit der Matte ein Hausdach, eine Sonne oder einen Fisch darstellt. Beim Gespräch im Festivalclub verrät der Künstler, dass dieses Figurenformen mit der Bambusmatte in Japan eine anerkannte und beliebte Form der Straßenunterhaltung sei. Aber sollte man einem Zauberkünstler wirklich glauben?
Handfest wird es wieder, als Desimo eine Zuschauerin zum Zahlenraten auf die Bühne bittet, um die Augenzahl des Würfels in ihrer verschlossenen Hand zu erraten. Angeblich schafft er das, weil er die versteckten Signale ihrer Körpersprache entschlüsseln kann. Bewundernd lässt sich das Publikum verblüffen und dankt mit herzlichem Applaus.
© 2015 BonMot-Berlin/ Text + Fotos
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