50 Jahre academixer

2012-02-10 Academixer X - Foto © Carlo WankaWenn man über die academixer redet…

von Harald Pfeifer

…muss man auch vom besonderen Anfang sprechen.
Die Gründung der academixer ist ein kleines Stück Leipziger Kabarettgeschichte. Überhaupt ist Leipzig ohne Kabarett nicht zu denken. 1921 war’s die „Retorte“, 1945 die „Rampe“, 1954 die „Leipziger Pfeffermühle“, dann folgte kurz darauf, verboten doch unvergessen, das Studentenkabarett „Rat der Spötter“ und schließlich die „academixer“ 1966. Das heißt, da wurde das Leipziger Studentenkabarett bereits zum zweiten Mal gegründet. Ein Winkelzug der Avantgarde der Arbeiterklasse.

Nachdem 1961 die Genossen der SED nicht nur das aktuelle Programm vom „Rat der Spötter“ verboten, sondern auch das Kabarett, und schließlich die Studenten auch noch in U-Haft gebracht hatten, schlug das in der Journaille im Westen hohe Wellen. Sowas mochten die DDR-Ideologen überhaupt nicht. Als sich drei Jahre später bei einem Leipziger Studentenkabarett das Gleiche zu ereignen drohte, weil sich nach einem Programmverbot gar das Ensemble von selbst auflöste, spürten die Genossen Handlungsbedarf. Die Rede ist vom Studentenkabarett am Dolmetscherinstitut der Uni mit Namen „academixer“. Der Name musste unbedingt erhalten bleiben. Jürgen Hart, der schon bei der Studentenbühne auf sich aufmerksam gemacht hatte, wurde angesprochen und sagte unter Vorbehalt zu.

2016-09-04 Academixer 50J 1v - Foto © Carlo Wanka…muss man vor allem von Jürgen Hart sprechen.
Jürgen Hart war für die junge Truppe ein Glücksfall. Womöglich wäre sie ohne ihn recht bald wieder auseinandergefallen, denn Studentenkabaretts sind oft nicht mehr als Kabarett auf Zeit. Obwohl nach dem Studium die academixer in alle Winde verstreut waren, hielt Jürgen Hart das Ensemble zusammen. Es waren aufregende Zeiten, alle kannten das gesamte Textbuch, sodass sie jeder Zeit die Parts der anderen übernehmen konnten – falls einer mal mit der Bahn auf der Strecke geblieben war.

Aber Jürgen Hart konnte nicht nur organisieren, er schrieb Texte, erfand Melodien, prägte in jedem Fall den Humor der academixer und wurde alsbald zur künstlerischen Autorität im Ensemble. Beeindruckend war seine Art, gesellschaftliche Vorgänge in alltäglichen Situationen abzubilden. So trifft die große Politik auf den kleinen Mann. Sein Mutterwitz war unübertroffen, seine Kalauer geradezu entwaffnend – er war der kleine Mann, der sich pfiffig zur Wehr setzte. Am Ende war das Texte-Schreiben bei den academixern fast nur noch Harts Sache. Er war der Schnellste und auch der Raffinierteste. Seine Texte ließen sehr bald die Art des Hauses erkennen. Wie die Kabarettisten in der DDR überhaupt, wollte auch Hart die DDR nicht etwa abschaffen, man bekommt aber den Verdacht nicht los, dass er mehr der Spötter als ein braver Genosse war. Das zeigten besonders die Programme, die er im letzten Jahrzehnt der DDR geschrieben hatte. Nicht nur für Christian Becher war er ein Genie.

…muss man natürlich über Volkstheater sprechen.
Wie bei den Pfeffermüllern nebenan, hatten sich auch die neuen kabarettistischen Konkurrenten in der Messestadt in ihrem Spiel am Volkstheater orientiert. Sie spiegelten den DDR-Alltag, der durchaus zum Lachen war, geradezu unschuldig. A trifft B, und sie tauschen sich aus, weil sie mit der Welt, wie sie sie erleben, nicht fertig werden. Die Vorliebe der academixer für schrullige Zeitgenossen ist nicht zu übersehen. Und solche haben sie immer wieder neu erfunden. An keinem haben sie eitel festgehalten. Und sie kannten sich vor allem im sozialistischen Alltag besser aus, als man vermutet hatte.

2016-09-04 Academixer 50J 1d - Foto © Carlo WankaProduktionsberatungen wurden in den Programmen immer wieder vorgespielt, in denen der Gegensatz von Wirtschaft und Ideologie zu Heiterkeitsausbrüchen führte. Weil die academixer halt das Wesentliche trafen. Und das Ensemble hatte für solche Szenen und Sketche genau die passenden Mimen. Das Schlitzohr Jürgen Hart, die Gattin Katrin als die Staatstreue, der spitzfindige Bernd-Lutz Lange, der naiv-verschlagene Gunter Böhnke und die Komödiantin Gisela Oechelhaeuser, die für jede Rolle zu haben war. Nicht zu vergessen Christian Becher, der mit Hingabe und mimischem Vermögen all die noch spielte, die einfach zur Szene noch gehörten.
Einen Unterschied zur Leipziger Pfeffermühle gab es aber doch. Die academixer hatten anfangs das jüngere Publikum, zumeist studentisches.

…muss man vom Prinzip „Was wäre wenn…“ sprechen.
Im letzten Jahrzehnt der DDR wurde es auf den Kabarettbühnen kunstvoll. Bei den academixern war eine der grundlegenden Voraussetzungen dafür geschaffen worden, als sie ihre eigene Spielstätte bekommen hatten. Mit Christoph Brück als Regisseur, der vom Berliner Ensemble kam, nutzen sie im Spiel zunehmend theatrale Formen. Das Kabarett wurde grundsätzlicher. In jenen Jahren überlegte man öffentlich über die Rolle des Kabaretts im Sozialismus. Mathias Wedel stellte die These auf, das Kabarett sei quasi ein kleingesellschaftlicher Versuch. Und was auf der Bühne klappt, könne dann auch im Sozialismus gut gehen. Dafür waren die academixer das Beispiel.

Jürgen Hart hatte für sich das Prinzip „Was wäre, wenn“ entdeckt. Er spielte mit dem Ensemble öffentlich Situationen durch. Am Gelungensten umgesetzt war das beim Programm „Wir stehen uns noch bevor“ von 1986. Was wäre wenn, hatte er sich gefragt, man in der Innenstadt vom sozialistischen Leipzig den Kommunismus ausrufen würde. Mit Grenzen und Passierschein und Tante in Zwickau – das ganze bekannte Programm. Das aber war kein kleingesellschaftlicher Versuch mehr, das war ganz einfach unverhohlener freundlicher Spott. Am Ende des Gedankenexperimentes stand die Frage: Sind wir nun gescheitert oder gescheiter? Die Antwort von Jürgen Hart war: Ja. All das war spannend, solange die DDR noch existierte. Danach hatte sich das Strategiespiel der academixer erübrigt.

2016-09-04 Academixer 50J 1l - Foto © Carlo Wanka…muss man freilich von den Molles sprechen.
Hans-Walter und Conny Molle gehörten schon im finalen Jahrzehnt der DDR untrennbar zur Leipziger Kleinkunstszene. Ein großer Traum ging für Hansa Molle Mitte der achtziger Jahre in Erfüllung, weil er bei den academixern als Dramaturg eingestellt wurde. Das waren dann auch die aufregendsten Jahre des Kabaretts. Danach kam der große Wandel. Deutschland einig Vaterland wurde von einer Liedzeile zur Tatsache. Spannend blieb es.

Alles war Neuland. Jürgen Hart gab 1991 die Leitung des Kabaretts auf, Hansa Molle übernahm. Der Neue war rund 10 Jahre jünger als sein Vorgänger und ein echter 68er aus dem Osten. Die Texte schrieb Conny Molle, die waren poetisch und hatten immer auch analytischen Charakter. Das war politisches Kabarett mit wenigen Kompromissen. Die beiden Molles liebten die Provokation, wie auch den ehrlichen Streit und das genau zur rechten Zeit. Inmitten des Comedy-Hochs und dem gewinnmaximierenden Kapitalismus. Zweimal bekamen die academixer mit Programmen der beiden den sächsisch-thüringischen Kabarettpreis „goldenes Reibeisen“. Die academixer hatten ihre neue Art gefunden, nur eben war das Publikum an derart politischem Diskurs immer weniger interessiert. Der Begriff Spaßgesellschaft machte sich breit. Ende der neunziger Jahre war dann auch deshalb die interessante Spielart von Conny und Hansa Molle praktisch am Ende. Der Chef der academixer verließ das Ensemble.

…muss man über „Großgeld“ und Kleinkunst sprechen.
2016-09-04 Academixer 50J 1b - Foto © Carlo WankaDas Thema ist im gerade vereinten Deutschland für viele Kabaretts im Osten ein großes. Denn da gab es nicht nur den Wandel von Ost nach West, auch den in eine betont unpolitische Gesellschaft. Dazu kam dann noch die Europäisierung der Bundesrepublik und entscheidend veränderte in dieser Zeit die Computertechnik die Gesellschaft in allen Bereichen. Die Gewinne wurden fortan maximiert und nicht mehr optimiert. Und das hatte natürlich einschneidende Auswirkungen auch auf das Kabarett. Die academixer waren damit endgültig im Alltag eines künstlerischen Kleinbetriebes angekommen.

Der Kampf um den zahlenden Gast war ernüchternd. Und bis man spitz gekriegt hatte, dass es im Grunde nur gute oder schlechte Bühnenkunst gibt, stand als Feindbild die Comedy im Raum. Da gab es überall Versuche, das Publikum mit einer Mischung aus Kabarett und Comedy bei der Stange zu halten. Der Zwist zwischen Geld und Kunst beherrschte sehr bald die Strategien der Kabaretts im Osten. Die academixer brachten zum Beispiel 1995 das Programm „Nichts ist unmöglich“ auf die Bühne, man war streng auf Unterhaltung orientiert. Im Mittelpunkt standen im neuen Jahrhundert Anke Geißler, Carolin Fischer, Peter Treuner und Ralf Bärwolf. Man konnte dann eine Reihe von Programmen erleben, die nicht schlecht waren, aber eben auch nicht sonderlich gut. Die Ideen waren oft größer als deren Umsetzung.

…weiß man, mit der Kunst im Kopf ist man immer unterwegs.
Und nun haben die academixer 50 Jahre Kabarettspiel hinter sich. Längst haben auf der Bühne die zweite und nun auch die dritte Generation die künstlerischen Geschäfte übernommen. Mit den Jahren in der DDR kann man das alles nicht mehr vergleichen. Die academixer haben vieles ausprobiert, also immer auch riskiert und da die Erfahrung gemacht, dass sie immer, wenn sie sich bei der Arbeit allzu sehr auf Bewährtes bezogen haben, langfristig keinen Erfolg hatten. Kunst braucht keine Wiederholung und gut gemeint ist das Gegenteil von Kunst. Weiterhin wird man also ebenso auf die achten müssen wie auf die Kasse. Das Ensemble hat viele Möglichkeiten. Zehn sind auf der aktuellen Autogrammkarte vereint. Katrin und Elisabeth Hart, Anke Geißler, Carolin Fischer, wie auch Barbara Trommer sowie Heike Ronniger, und dann die Herren Peter Treuner und Ralf Bärwolf, Jens Eulenberger wie auch Felix Constantin Voigt. Alle guten Wünsche also aus gegebenem Anlass den academixern und das für die nächsten 50 Jahre, oder zehn vielleicht 20 oder auch 30 – man wird ja sehen.

Gallerie:

2012-02-10 Academixer 2 - Foto © Carlo Wanka

©2016 BonMoT-Berlin
Fotos: Carlo Wanka (zum Teil aus dem Programmheft von 1991 abfotografiert)

Und hier geht’s zum Jubiläumsprogramm der academixer.

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