Die Mobilés, Jens Heinrich Claassen und Paul Weigl
von Gilles Chevalier
ST. INGBERT – Am dritten Abend kann der Moderator des Wettbewerbs, Philipp Scharri, gleich neun Künstler zu einem Auftritt bitten. Scharri hält sich mit seinen Moderationen und Warm-ups für die Fernsehaufzeichnungen auch in diesem Jahr erfreulich zurück. Weniger ist eben mehr, was sogar für seinen Anzug gilt, der in diesem Jahr in einem angenehmen Blau gehalten ist.
„Die Mobilés“ nennen sich die neun Künstler, die mit ihrem Schattentheater „Moving Shadows“ in den Wettbewerb gehen. Sie durchqueren den dunklen Zuschauerraum und setzen mit ihren Taschenlampen erste Akzente, bevor sie auf der Bühne hinter einer großen Leinwand verschwinden. Jetzt beginnt eine großartige Show aus Tanz und Artistik, die von der großen Welt bis in das kleine Leben eines Einzelnen reicht.
Die Mobilés laden zu einer Weltreise, in der sie neben afrikanischen Großwildtieren auch eine Szene aus der australischen Wüste zeigen. Abwechslungsreich und immer wieder aufs Neue faszinierend, was da auf der Leinwand gezeigt wird. Die Liebesgeschichte eines Paares zum Beispiel, das verliebt durch den Park tanzt, sich auf einer Bank niederlässt und von einem kleinen Eichhörnchen beobachtet wird. Wohlgemerkt, die Bilder sind von Menschen komponiert, die hinter der Leinwand durch unterschiedliche Abstände zur Lichtquelle unterschiedlich große Objekte darstellen. Requisiten gibt es, aber sie lassen sich bequem in der Hand halten. Die Liebenden steigen jetzt in ein Coupé und fahren los – nein, es ist ein Cabriolet, denn das Dach des Fahrzeugs wird dadurch geöffnet, dass eine Darstellerin ihre gestreckten Beine elegant zurückzieht.
Immer wieder brandet Szenenapplaus auf, wenn die Mobilés im dritten Teil ihrer Show Zitate aus großen Kinofilmen interpretieren. Von Casablanca bis Jurassic Park ist alles dabei. Der durchgehende Soundtrack zur Show besteht größtenteils aus Instrumentals oder kurzen Zitaten aus dem Pop- und Chansonbereich. Keine Szene ist statisch, immer wieder kommt zum Staunen über die Schatten das Lachen über sich entwickelnde Szene dazu. Zu Recht steht das Publikum teilweise auf, um heftig zu applaudieren. Pfannenfavoriten am dritten Abend.
Etwas weniger glamourös geht es bei Jens Heinrich Claassen zu. Sein Körper ist vom Genuss von Fertiggerichten und gelieferten Speisen geprägt. Wahrscheinlich ist der Mann vom Pizza-Service sein bester Freund, denn richtige Freunde hat er nach eigenem Bekunden nicht. Claassen sammelt alte Computer und altes Computerzubehör. Er ist ein richtiger Nerd, ein liebenswerter, leicht schrulliger Charakter, der traditionell keine Freundin hat. Damit sich das ändert, hat Claassen sein Programm „Frauen an den Nerd“ genannt.
Die Partnerinnensuche geht er sogleich offensiv an – keine Frau in den vorderen Reihen ist vor seinen Avancen sicher. Am Flügel begleitet er sich zu einem Lied über die Kreiszahl Pi, die er bis zur 115. Kom(m)astelle auswendig gelernt hat, nur um sich einer Frau annähern zu können. Seine verzweifelten Versuche, zu einer Partnerin zu kommen, lassen den Zuschauer zum Voyeur werden, der selbst natürlich niemals so tief sinken würde…
Claasen ist eigenwillig, manchmal auch bösartig. Vegetariern gegenüber zum Beispiel, die er fragt: „Liebe Vegetarier, durften Sie als Kind zur Schnitzeljagd?“ Über den „Spieleabend“, an dem seine Freunde ihn verkuppeln wollten, trägt er ein Chanson vor. Es ist nicht nur Claassens Mut zur Hässlichkeit, den das Publikum goutiert. Auch seine Kunst, aus einer Handvoll zugerufener Begriffe ein Chanson auf offener Bühne zu improvisieren, findet Anklang. Heftiger Applaus für Jens Heinrich Claassen.
Paul Weigl hat seine Liebe schon gefunden. Und sein Thema, den „DeGenerationskonflikt“. Das Degenerieren des Menschen in der industrialisierten Gesellschaft stellt er bloß. Der betont jugendlich gekleidete Mann Mitte dreißig wendet sich zunächst an alle: „Es geht um den Online-Shopper, der so traurig über das Aussterben des Einzelhandels ist.“ Dann wendet er sich an die jüngere Generation: „Die Leute personalisieren ihr Android(-Betriebssystem auf dem Smartphone), haben aber alle denselben Klingelton!“
Das schnelle Vergessen in unserer Gesellschaft ist ihm ein Graus: „Wir alle waren Charlie und haben das sogar als Profilbild hochgeladen. Das war gestern. Heute laden wir wieder Katzenbabys hoch.“ Das ist fundamentale Kritik an der digitalen Gesellschaft, zu der längst noch nicht alle gehören. Weigl hat seine Message gefunden, jetzt braucht er nur noch ein Publikum, das ihn versteht.
Mit großen Gesten und heftigen Wortkaskaden trägt er auswendig sein Poetry-Slam vor. Von seiner missglückten Bestellung eines Hamburger-Menus und der Einschätzung, dass im Fernsehprogramm nur Müll und Teleshopping vorherrschen zieht er den Schluss: „Wir sind so unfassbar blöd geworden!“ Er setzt Wissen voraus, das beim heterogenen St. Ingberter Publikum nicht immer vorhanden ist. Lange lässt er sich über die Langatmigkeit der „Herr der Ringe“-Trilogie des Regisseurs Peter Jackson aus: „Millionen meinungsfreier Kinomenschen merken nicht, dass nichts passiert.“
In den falschen Hals kann man leicht sein Finale bekommen, in dem er fordert: „Wir brauchen nicht nur Gastarbeiter, wir brauchen Gastsoldaten!“, denn die Deutschen seien zu friedlich und nicht verteidigungsfähig. Wie leicht könnte in die apokalyptische Schilderung eines kommenden Krieges Applaus von der falschen Seite aufbranden. Nicht so in St. Ingbert. Einer ruft hier halblaut „Scheiße!“ in den Saal, die Anderen beklatschen diesen bemerkenswerten Auftritt höflich.
©2016 BonMot-Berlin
Fotos: BonMot-Berlin
Vorschau weiteres Programm in St. Ingbert 2016 – Berichte über die St. Ingberter Wochen der Kleinkunst aus den vergangenen Jahren
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