Am Sonntag beim radioeins Parkfest am Gleisdreieck
von Carlo Wanka
BERLIN – Interessierte Berliner checken natürlich täglich ihre Checkpoint-Mail, die innovativ über det olle Berlin informiert. Eine wirklich coole Idee vom Tagesspiegel, die mit ‚Leute‘ noch bezirksmäßig erweitert wurde. So erreichte uns die Nachricht, dass bei der Talkrunde auch Kabarettist Florian Schroeder auftritt. Also rauf aufs Rad und nichts wie hin.
Der Berliner Haus- und Hinterhofsender rbb (Radio Berlin Brandenburg) unterhält mit seinem radioeins-Format die Stadt sehr gut. Lässt uns erstaunen und bringt auch immer wieder etwas zum Schmunzeln und Nachdenken. Kurzum, es gibt keinen Grund, sein Radio nicht auf 95,8 einzufrieren. Umso weniger erstaunlich ist es, dass das radioeins Parkfest, das über elf Tage geht, jedes Jahr gestopft voll ist. Einmal voll gepackt mit Programm und voll mit Hörern, die mal die Moderatoren sehen wollen.
Angenehm bei dieser Veranstaltung ist, dass es nicht tausend Fress- und Händlerstände gibt, die hier garantiert hervorragende Umsätze verbuchen könnten, sondern nur das Wesentliche. Man muss nicht verdursten und nicht hungern. Ein kleiner oranger radioeins Pavillion leuchtet und informiert, und der große radioeins Sende-Truck, zwischen Bühne und alten Gleisen postiert, sind die optischen Highlights. Vor der Bühne bequeme Plastikstühle, die zum Verweilen einladen und Generationen übergreifend geeignet sind. Dazwischen auf Euro-Paletten orange Schirme und hinten einige
Paletten unter den Bäumen, die zu regelrechten Picknick-Stationen oder Aussichtsplattformen mutierten.
Die Programmvielfalt bietet Groß und Klein, Kabarett- & Comedy-Liebhabern, Musikfreaks, Koch- und Sportfreunden, Eisenbahnenthusiasten und Entspannungssuchenden sowie Neugierigen ein Potpourri der Unterhaltung. Man will alle erreichen, zeigen, dass Radio lebt.
Natürlich wird alles dokumentiert und nach der Live-Ausstrahlung in Podcasts im Internet auf der eigenen Homepage präsentiert.
Viele der dort auftretenden Künstler aus dem Genre Kabarett und Comedy sind ja schon auf liveundlustig.de besprochen worden, wie zum Beispiel Suchtpotenzial, Bodo Wartke, Fil, Nils Heinrich, Fischer und Lehmann …

… so auch Florian Schroeder. Der Wahlberliner scheint die Integration abgeschlossen zu haben, ist angekommen. Nicht anders kann man die Anmoderation von Marco Seiffert verstehen: „So, und jetzt freuen Sie sich auf unseren Lieblingskabarettisten, Florian Schroeder.“
Schroeder ist seit einigen Jahren bei radioeins im Programm, ob mit kurzen Kolumnen oder eben als Mann für kabarettistische Zwischentöne beim Berlin-Talk im Park. Schroeder ist politisch, Schroeder schaut nicht weg, Schroeder ist kritisch und Schroeder kann mit seiner Stimmakrobatik Prominente parodieren. Und doch tut er niemanden weh, sondern fördert und fordert das Nachdenken. Er ist für den rbb ideal. Seine zwei Kurzauftritte bewiesen, auf dieser Bühne fühlte er sich wohl, da stand er richtig, da rückte er einiges ins rechte Licht.

Obwohl es regnet, ist das Publikum bei ihm. Er legt auch gleich los. Ein Regierender Bürgermeister wie Michael Müller sollte mit diesem Namen und dem Erscheinungsbild vielleicht drei Minuten mehr über sein Wahlplakat nachdenken, am besten das Gesicht und den Namen entfernen und nur „Berlin“ hin schreiben. „ …und dann gibts Stimmen!“. Nach Schroeder sind die kommenden Wahlen große Schicksalswahlen und der wahre Grund warum Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern, zu Hamsterkäufen aufgerufen hat. Wenn die AfD gewinne, werde er noch heute Nacht einen Späti leer kaufen. Sowieso sei dieses Jahr ohne Sommerpause für ihn gewesen, das sei mit dem Brexit losgegangen. Nach reiflichen Überlegungen zieht er das Fazit: „Das Wort dumm steckt ja schon drin in Referendum.“ Sehr wohl durchdacht und lässig formuliert ist seine Argumentation für ein europaweites Wahlrecht ab 16. Mitten im Sommer sei dann der Putschversuch in der Türkei passiert. Den beschreibt er aus verschiedenen Perspektiven und fügt Verbesserungsvorschläge hinzu. Säuberungslisten vor dem Putsch, so, wie Hitler 1934 beim Röhm-Putsch, nicht hinterher. „Das gibt bei Erdoğan mindestens drei Punkte Abzug auf der Totenkopfskala der internationalen Diktatorenwertung.“ Die erste Hälfte endet mit der Erkenntnis, dass jetzt alle hinter diesem Türkenführer stehen, scheiß auf die Demokratie, die Geschäfte müssen laufen. Recep Tayyip ist der europäische Türsteher. Wie das funktioniert kenne man ja aus den Clubs.
Moderator Seiffert erklärt den Radiohörenden, dass der mangelnde Applaus lediglich dadurch zustande kommt, dass das Publikum die Regenschirme festhält und kündigt die folgenden radioeins-Kommentatoren des Berlin-Talks an. Anstelle von fünf seien es nur vier. Es diskutierten Brigitte Fehrle (Berliner Zeitung), Bettina Gaus (taz), Lorenz Maroldt (Tagesspiegel) und Hajo Schumacher (Morgenpost) über Berliner Themen, Wahlen und Wahlplakate. Der Tenor war, dass niemand an große Änderungen glaubt, was eine der Damen final so ausdrückte: „Gut, wenn mal in Berlin nichts passiert.“
Als Marco Seiffert in die Runde der Kommentatoren fragte, was unserem Senator für Inneres und Sport, Frank Henkel, der ja als nominierter CDU-Spitzenkandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin in den Startlöchern steht, für dieses Amt fehle, kam eine prompte Antwort: „Verstand!“ Das Publikum grölte.
Mit Burkini gelangt Florian Schroeder im zweiten Teil zur Aufklärung. Wo früher ein hintergründiger, frecher und unkorrekter politischer Jungkabarettist agierte, steht heute ein gestandener Mann und spricht unter anderem von seiner Sehnsucht nach notwendiger Toleranz. Gerade, wenn man etwas zutiefst ablehnt, ist sie am wichtigsten – allein dafür wäre die AfD gut.

Er zerlegt, das in Stuttgart, der Stadt die ja nicht so gut mit unterirdischen Ideen klar kommt, verabschiedete Parteiprogramm und lässt uns erleben, wie es wäre, wenn Mario Barth als Berichterstatter der Privatsender vorbeikäme. Das Publikum jolt, und der Regen hält inne.
Weiter stellt er klar, dass das AfD-Frauenbild, welches der deutschen Frau übergestülpt werden soll, exakt dem der Muslimin entspricht. Aus beruflichen Gründen wünscht er sich zum Schluss, dass es diese Partei noch lange gibt, er lebt davon und uns verschont er auf diese Art von neuen FDP-Witzen. Applaus.
Seiffert fragt Florian, der mit seinem ganzen Programm abends in den Wühlmäusen noch auftritt, ob es nicht zu anstrengend sei und ob er wegen der Wahlergebnisse nicht einiges umschmeißen müsse. Schroeder verneint den Stress, bejaht aber dass er kleine Korrekturen vornehmen sollte.
Aus seinem Programm „Entscheidet Euch“ (wir berichteten darüber) erarbeitete er aus seinen wissenschaftlichen Recherchen einen ernsten Vortrag mit dem Titel „Alle Möglichkeiten, aber keine Wahl – entscheiden in der Multioptionsgesellschaft“, den er am Mittwoch im Kleistforum in Frankfurt Oder abhalten wird. Der Lieblingskaberettist bedankt sich bei seinem Warm-Up Publikum im Park und entschwindet.

Es folgt der zweite Part der Kommentatorenrunde. Themen sind die AfD und weitere Berliner Begebenheiten, deren man sich sicher glaubt, dass sie den Hörer interessieren. Zwischenzeitlich versuche ich am Infostand herauszubekommen, wer denn der Gast in der ‚Hörbar Rust‘ mit Bettina Rust sein wird, da im Programm nur „Gast“ geschrieben steht. Es ist trotz allen Bemühungen leider nicht möglich einen Namen zu erfahren. Der orange Kugelschreiber tröstet ein wenig.
Ich fahre und erfahre am Radio, dass es kein geringerer als der in Stankt Ingbert geborene Hamburger Sternekoch Christian Rach ist. Schade, hätte ihn gerne fotografiert. Als langjähriger Gastronom und Barbetreiber verfolge ich die etwas verpeilte Sendung. Frau Rust buhlt gegen eine, dem Gast Wein reichende Dame aus dem Publikum um Rachs Aufmerksamkeit. Wer Real-Comedy im Radio hören möchte, dieser Link macht es möglich. Ein amüsantes Interview.

Mittlerweile verfolge ich den weiteren Verlauf am radioeins Livestream. Robert Skuppin und Volker Wieprecht stellen Serdar Somuncu vor, der demnächst seine Sendung am Sonntagnachmittag bei ihnen startet. Somuncu polarisiert das Publikum, und den Gastgebern fällt es nicht leicht, mit dieser Art umzugehen. Somuncu ist sperrig und direkt. Zwischen entgleisendem Gelaber und Hurensöhne, die zu Uhrensöhne verballhornt werden, blitzt seine scharfe feinfühlige Intelligenz. Ob der rbb den bisher von beiden Seiten unter Vorbehalt geschlossenen Vertrag zur Sendereihe einhält oder doch noch lieber einen Rückzieher riskiert, werden wir in naher Zukunft erleben. Wir bleiben gespannt.
Spannend wurde auch noch der Auftritt von Horst Evers, der wie Schroeder schon längst zur radioeins-Unterhaltungsfamilie gehört. Seine Texte sind kurios und brilliant, erstunken und erlogen, aber wahr. Man fährt mit ihm in der Deutschen Bahn mit und fühlt sich auf der Achterbahn. Dem Wetter entsprechend hat er sich einen Regentext zurechtgelegt. Gut, das heißt bei Horst: „In dem Text kommt die Zeile vor ‚… es sieht nach Regen aus‘.“ Live vor der Bühne auch.

Während er liest, ergießt sich ein Schauer. Er unterbricht. Ein Reigen von Zuhörern spült ihn aus der Geschichte. Für die Radiohörer moderiert er spontan, was er im Moment erlebt. Die Zuschauer ohne Regenschutz packen sich alles mögliche auf die Köpfe. Horst schlägt vor, die großen Schirme aufzuspannen, der Veranstalter verneint. Es sei starker Wind angesagt und da zahlt keine Versicherung, wenn etwas passiert. Evers steht kopfschüttelnd da und bastelt wahrscheinlich schon an seiner neuen Geschichte. Eine, die von Regenschirmen handelt, die man bei Regen aber nicht benutzen darf. Das sind die Vorgaben, aus denen er schöpfen kann. Und wie. Es schüttet aus Eimern und keiner der tropfnassen Besucher verlässt seinen Platz, so liest er seine Geschichte weiter, und alle toben vor Lachen, als es zu besagtem Satz kommt: „ … es sieht nach Regen aus“.
Den Gipfel aber erreicht das exakte Tuten des vorbeifahrenden historischen Zuges, denn just da spricht er die Worte: „Es kreischt!“ Der Regen hatte etwas nachgelassen, aber das Lachen hatte zugelegt. Evers kommt derart aus der Spur, dass er die Geschichte abbrechen muss. Dann setzt er erneut an mit einem Text, den er für seinen ersten Auftritt vor fünf Jahren zu diesem Fest geschrieben hatte, um ihn nun fortzusetzen.
Am Ende wurde er gefragt, ob er schon mal so einen Auftritt erlebt habe, und wie er es empfunden hat. Horst stammelt und antwortet: „Mit kalt im Winter, das war schon, aber dann halt doch drinnen, aber das ist ja doch schon etwas anders. So wie hier? – Nein.“ Er beschreibt, dass er schon Angst gehabt hätte, dass alle davon stürmen würden, und er nicht genau wissen würde, was er dann machen sollte. Vielleicht mit dem Manuskript in der Hand hinterher rennen und rufen: „Ich will euch doch noch vorlesen!?“
Mit diesem schönen Bild im Kopf verabschiedet sich radioeins. Das Parkfest ist zu Ende.
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©2016 BonMot-Berlin
Fotos: Carlo Wanka