Selbst denken mit Uta Köbernick

Uta Köbernick "Auch nicht schlimmer: Uta Köbernick singt Rabenlieder"Uta Köbernick: „Grund für Liebe“

von Gilles Chevalier

BERLIN – Uta Köbernick hat im Varieté Salon der ufaFabrik in Berlin-Tempelhof ihr aktuelles Programm „Grund für Liebe“ gespielt. Abwechslungsreich ist der Abend, voller Wendungen und Überraschungen. Zwischen Geige, akustischer Gitarre und manchmal auch dem Textbuch muss sich die Künstlerin immer wieder entscheiden. Den Geschmack der Zuschauer trifft Uta Köbernick mit ihren Songs und Aphorismen allemal.

Am Bühnenrand stehend, spricht sie ihre Randbemerkungen: „Nur weil Sie hochschauen, heißt das noch lange nicht, dass da kein Abgrund ist.“ Oder: „Wenn man aus Schaden klug wird – wozu dann Bildungspolitik?“ Was man da alles falsch machen kann, bewegt sie. Auch im Lied „2036“. Gemeint ist das Jahr, in dem Senioren Rechtschreibung lernen. Das ist in hohem Alter nötig, weil sie in Kindertagen Schreiben nach Gehör gelernt haben. Da kan aine rewiesjoon nua hälfn…

„Grund für Liebe“ pendelt zwischen Privatem und Politischem. Dabei gelingt es Köbernick, gar nicht so viel Persönliches preiszugeben. Die wenigen Einblicke, die sie zulässt, gestatten das schemenhafte Erkennen eines Menschen wie du und ich. Da sind die Fragen kleiner Kinder zur Astrophysik, die Normalgebildete ratlos machen. Von dort ist es ein kleiner Schritt zur Systemfrage, die im Lied „Zäune bauen“ gipfelt. Unverständlich, dass die Ungarn 1989 beim berühmten Picknick an der österreichischen Grenze den Zaun einfach zerstört haben und ihn heute, an einer anderen Seite ihres Landes, wieder errichten wollen. Unverständlich nicht nur für Uta Köbernick.

Ihre Lieder sind besonders, denn selten wird eine Geschichte in Liedform erzählt. Stattdessen bietet jede Strophe eine andere Perspektive auf den Refrain. „Kommt da noch was“ ist so ein Beispiel. Kommt da noch was, wenn jetzt die ganze Wohnung blitzblank geputzt ist? Dann, an ein Kind gewandt, das sich gerade mächtig aufgeregt hat: „Du hast gezittert / Und ein Taschentuch hat Beute gewittert / Kommt da noch was?“ Oder das „Lied vom Knoten“. Von der Strippe kommt sie zum sozialen Netzwerk und dann zu einer Gruppe Wutbürger auf dem Marktplatz: „Mancher hat Schaum vorm Mund / Ist das hier ein Brausepulverfass?“

Das Nachplappern ist nicht die Sache der Uta Köbernick. Selberdenken ist für sie angesagt, etwa bei der Einschätzung von Nestlés Geschäften mit Trinkwasser. Wasserrechte kaufen, das Wasser aus den Quellen pumpen und dann abgepackt an die lokale Bevölkerung verkaufen, kann eben nicht richtig sein. Nahtlos gleitet sie zum transatlantischen Handel. „Erst wenn das Denken frei von Handeln ist, ist Freihandel überhaupt möglich“, sagt sie zum Freihandelsabkommen TTIP. Bei diesem Vertragswerk hat sie das Gefühl, „sämtliche Verschwörungstheorien werden in die Praxis umgesetzt.“ Dies ist eine der wenigen längeren Nummern im Programm „Grund für Liebe“. Ist ja auch ein ganz besonders wichtiges Thema.

Genauso, wie die Musik im Programm. Auch hier hat Uta Köbernick ihren Stil gefunden – Christoph Stählins SAGO lässt grüßen. Erfrischenderweise löst sie sich davon zweimal und rockt im Song „Schulden machen“ richtig los. In „Mag sein“ macht sie auf naives kleines Schlagermädchen, das mit weit aufgerissenen Augen und gebrochener Stimme noch nicht wirklich zu einer eigenen Meinung fähig ist. Mehr Persiflage könnte ein Weg sein, das Publikum schneller für sich einzunehmen. Das Programm ist nämlich vorwiegend hintergründig und frei von Schenkelklopfern. Und voller schöner Zeilen – wie im titelgebenden Song „Grund für Liebe“. Da heißt es: „Ich liebe Dich, weil… / Dieses Weil ist ein Hund / Denn Liebe braucht keinen Grund.“

©2016 BonMot-Berlin
Foto: Christoph Hoigné

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