Blick über die eigene Schulter in die Welt – Premierenkritik Mathias Tretter
Mathias Tretters neues Programm „Pop“
von Harald Pfeifer
LEIPZIG – Kabarettisten sind etwas in der Zwickmühle. Einerseits trachten sie danach, ihre Weltsicht unmissverständlich zu erklären, andererseits wollen sie dem Vorwurf entgehen, ihr Publikum nur zu belehren. Da ist man im Zeitalter der ambitionierten Amateure sehr empfindlich. Mathias Tretter hat da seinen Weg gefunden. Wenn es um Haltung geht, lässt er keinen Zweifel offen, er nimmt sich dann aber auch selbst als abschreckendes Beispiel, geht über zum Rollenspiel, treibt sein Solo ins Absurde, auch die Kalauer lässt er nicht aus, und doch bleibt Tretter bei allem immer ganz seiner Intension treu. All seine Mittel nutzt er auf der Bühne dabei mit auffallender Sicherheit. Gekonnt wirft er einen Blick über die Schulter in die ach so verkommene Welt.
Am vergangenen Wochenende hatte Mathias Tretter, zuerst in Würzburg im Bockshorn, dann in Leipzig bei den academixern, sein neues Programm vorgestellt. Was er da auf der Bühne vollbringt, unterscheidet sich gar nicht mal so sehr von dem, was seine unzähligen Kollegen ebenso in Szene setzen. Das Besonders ist bei ihm allerdings, wie er es macht. Wo andere sich mit einem unverbindlichen Spaß davonschleichen, ist er unerbittlich, heiter und genau. Der in Leipzig lebende Kabarettist legt es nicht nur darauf an, sein Publikum lachen zu lassen, es soll auch wissen, weshalb. „Pop“ ist der Titel seines Premierenprogramms, und der passt präzise in das Zeitalter der Amateure, Hochstapler und Hassredner, wie auch zu jenem Zeitgeist, in dem Unwissen als eine Form der Souveränität verstanden wird. Was mühelos gefällt, ist richtig. Und darüber kann man ohne Ende polemisieren.
Geschickt legt er einen Erzählfaden durch Genderfragen, rechte Gesinnung, allgemeine Uninformiertheit, Verschwörungstheorien, die Klickmentalität im Netz, Kapitalismus wie auch Islamismus. Mal kommentierend, mal aus dem Leben plaudernd, mal im Rollentext vorführend und schließlich auch in der direkten Ansprache zeichnet Tretter ein bestechend genaues Zeitbild. Und dieses sagt: Alles Elend geht von Massenbewegungen aus. Die Schwarmintelligenz ist besonders im digitalen Zeitalter nicht viel wert. Gemeinsam sind wir zwar stark, aber auch am einfachsten zu manipulieren.
Mathias Tretter polemisiert klug und clever gegen all die konservativen Erneuerer in der Gegenwart. Immer ist dabei die Freude am Formulieren und Fabulieren zu spüren. Sein politischer Diskurs ist fesselnd. Er ist einfach ein grandioser politischer Unterhalter, sein Programm ist ein offener politischer Diskurs mit dem Publikum. Im Mittelpunkt steht bei ihm das alltägliche gewöhnliche Leben, an dem der Einzelne so oft verzweifelt. Letztlich, sagt er am Ende, mache erst der Tod das Leben spannend. Damit hat man, bei allem, was man tut, nur eine begrenzte Anzahl von Versuchen. Irgendwann ist es zu spät. Das Programm „Pop“ von Mathias Tretter ist überaus empfehlenswert.
©2017 BonMoT-Berlin
Foto: Stefan Stark
Alle weiteren Termine auf der Homepage von Mathias Tretter
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