Frank-Markus Barwasser/ Erwin Pelzig „Weg von hier“
von Marianne Kolarik
KÖLN – Nix wie „Weg von hier“ hat sich Frank-Markus Barwasser wohl gesagt, als er für sein neues Programm recherchiert – und festgestellt – hat, dass alles furchtbar ist. Nur wohin? Das weiß auch Barwasser, besser bekannt als Erwin Pelzig, nicht. Weil es in der Welt in Zeiten der Globalisierung nur noch wenig Verstecke gibt. Die kennt aber nun mal nicht jeder. Schon gar nicht der aus Franken kommende Konsonantenschänder Pelzig, der „Siechmar“ sagt, wenn er „Sigmar“ (Gabriel) und „Lüchen“, wenn er „Lügen“ meint („Geheimdienste haben Abteilungen für Lüchen“.).
Nicht dass der Mann mit dem Herrenhandtäschchen und dem Cord-Käppi eine Lanze für die AfD bräche, die schließlich demokratisch gewählt worden sei. Auch die SPD scheitere an ihrem Personal – das mindestens so paarungswillig sei wie Harvey Weinstein – und inzwischen damit erfolgreich war. Gefühle würden immer wichtiger – das Leben ähnele einem Katastrophenfilm, wobei Pelzig für seinen Untergang die Bordkapelle der Titanic als musikalische Begleitung der von Helene Fischer vorzieht.
Pelzig konstatiert darüber hinaus einen allgemeinen Rückzug ins Private und zitiert den derzeitigen Union-Fraktionschef Volker Kauder: „Bei uns wird Deutsch gesprochen“. Was umweglos zu den Asylanten führt, die weder in Polen, noch in Ungarn oder in Tschechien und schon gar nicht hierzulande gut gelitten seien. Trump dagegen mache es einem mit seinem aufgespritzten Millionärstöchterlein Ivanka leicht, ihn und seinesgleichen zu verabscheuen.
Da findet er mit der Etablierung von drei Stühlen (einen für den Träumer, einen für den Kritiker und einen für den Realisten) einen grandiosen dramaturgischen Kunstgriff, die dialektischen Widersprüche auf der Bühne sicht- und hörbar werden zu lassen. Pelzig nennt das Perspektivwechsel bzw. die Disney-Methode. Wobei er den Hauptschuldigen für den Erfolg der Rechtsextremen – nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern – längst dingfest gemacht hat. Es ist der weiße, heterosexuelle Mann, dem die Frau weggelaufen ist.
Der in Wut und Hass umgeschlagene Frust lässt sich in den sozialen Netzwerken verfolgen. Oder anhand der Argumentation von Dr. Göbel, einem ewig nörgelnden Akademiker und Schriftführer im Verein für zeitgenössische Kirchenbestuhlung, der den global-dörflich denkenden Pelzig seit vielen Jahren begleitet („Der Mensch ist halt eine Sau“). Sein Gegenpart ist der einfach gestrickte Hartmut, der kleine Mann von der Straße, der Katzen süß findet.
Das Trio Infernale knöpft sich so ziemlich alles vor, was sich derzeit an Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten einen Weg bahnt: die Vermögensverteilung, mangelnde Vernunft und das Böse in der Welt, Ursache und Wirkung, die korrupte FIFA, Filterblasen und Drucker, die es nicht tun: Da läuft der 1960 in Würzburg geborene Barwasser zur Hochform auf und fordert nichts weniger als den Gebrauch des eigenen Verstandes, also so etwas wie eine neue Epoche der Aufklärung, frei nach Kant, „der froh sein kann, dass er seit 200 Jahren tot ist.“.
Pelzig, der eigentlich Wissenschaftler werden wollte, folgert haarscharf, dass nicht alles Ansichtssache ist und das Ausrufezeichen die Kalaschnikow der modernen Beleidigungskultur. Wobei die Fake News keineswegs eine neue Erfindung seien („Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“) und die Bild-Zeitung auf dem besten Wege sei, die (Zeitungs-)Nr. 1 in Deutschland zu werden. In dem Zusammenhang zitiert er André Gide: „Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben“.
Unwissenheit sei nicht mit Blödheit zu verwechseln und Überinformiertheit die sprudelnde Quelle von Verschwörungstheorien, die der Ablenkung dienen. Er selbst sei ein digitaler Immigrant mit analogem Hintergrund. Wie Dr. Göbel hat er seine Schwierigkeiten damit, ständig Entscheidungen zu treffen und dafür auch noch die Verantwortung übernehmen zu müssen. Mit einiger Verwunderung konstatiert er die Existenz von Apps für schwangere Frauen, die ins Kino gehen wollen, empfindsamen Robotern, Social Bots, Big Data und komplett bescheuerten SUV-Fahrern.
Die fast dreistündige Philippika von Barwasser/Pelzig hat entschieden Anklänge an eine altgriechische Brandrede und wirkt gleichzeitig reinigend, ermüdend und erfrischend auf den Zuhörer (doch, das geht). Ein ebenso vehementer wie eloquenter Rundumschlag durch Raum und Zeit, bei dem man sich seines Verstandes bedienen muss. Sollte Pflichtprogramm für jeden Bundesbürger werden.
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