Kaiser & Plain: „#Besetzungscouch – die Suche nach der wahren Liege“
von Beate Moeller
BERLIN – Kennen Sie Kaiser und Plain? Halten Sie sich ran, wenn „nein“. Denn es könnte passieren, dass diese beiden Kleinkunsthuren, wie sie sich selbstironisch nennen, demnächst nicht mehr auf den Kellerbühnen des deutschen Kabaretts rumdümpeln, sondern international ganz groß rauskommen – zum Beispiel in Las Vegas.
Diese Perspektive eröffnet jedenfalls der Anruf der Agentin, der mitten in die Premiere von „#Besetzungscouch“ im Kreuzberger BKA-Theater im 5. Stock (!) platzt, als dem aufstrebenden Duo aus Berlin mal wieder ein Impresario die Tür vor der Nase zugeknallt hatte. Bis dahin breitet Virginia Plain ihre Autobiografie vor uns aus. Und wir kapieren: So eine Sängerinnenkarriere ist wahrlich keine einfache Sache.
Ziemlich peinlich ist ihr heute der erste Preis „Goldene Klöppelfee im Erzgebirge“, beschämend die Erinnerung an den Ballettunterricht, aus dem die gemeine russische Lehrerin das undünne Mädchen als „zu klein“ rausbugsierte. Düster auch die Aussichten beim Kirchenchor. Im Gewölbe unter dem Gotteshaus hatte sich der Chorleiter, der ja eigentlich Popmusikproduzent war, ein Tonstudio eingerichtet und nichts Geringeres hatte er im Sinn, als aus ihr einen richtigen Popstar zu machen. Aber die kleine Virginia war schlau genug zu erkennen, dass der Mann schummelt. Die goldenen Schallplatten an den Wänden hatte er selbst angepinselt und das „Tina Törner“ darauf mit Ö geschrieben.
Zum Sterben komisch sind ihre Geschichten, die sie mit so hinreißender, offenherziger Aufrichtigkeit gesteht, dass es einem schier das Herz bricht. Imposant ihre Erscheinung sowieso, aber viel imponierender ihre Stimme, ihre Mimik, ihre Körpersprache, ihr Witz – ach was, die ganze Frau eine Granate.
Ist nicht von einem Duo die Rede? Doch. Die andere Hälfte von Kaiser & Plain heißt David Kaiser. Seine vornehmste Aufgabe besteht in der Zurückhaltung. Außerdem begleitet er Madame äußerst einfühlsam am Flügel, hat viele der Lieder geschrieben, ist ihr Partner beim zweistimmigen Gesang, wird nach aller Demut gelegentlich zum Giftzwerg und darf auch mal eine Rolle spielen.
Etwa als schleimiger Chef des Matratzenlagers, bei dessen Eröffnung Virginia mit blonder Perücke als Schlagermaus Susi ihren Superhit „Mein Herz“ zum Besten geben darf. Dieses Ereignis markiert den Wendepunkt in Virginias Laufbahn. Danach möchte sie nur noch was Sinnvolles machen, nämlich Kabarett, Chansons singen. Eine wirkliche Botschaft verbreiten.
Die ehrliche Absicht gerät in Konflikt mit dem Streben nach Erfolg oder sagen wir mal nach jeder Menge Kohle. Im Laufe ihrer plausiblen Geschichte zeigen Kaiser & Plain, dass sie jedes Lied singen können, jedes Genre beherrschen vom animierenden Popsong „Mein Herz“ über das fröhliche zeitgenössische Kabarett-Chanson „Ich bin verrückt nach jedem neuen Pianisten“ (Jeske/ Bielfeldt) bis zum klassischen französischen Chanson. „La solitude“ von Barbara bringt Virginia – wie es sich gehört – ernst und fast bewegungslos am Mikrofonstativ, auf Deutsch als „Einsamkeit“(Übersetzung: D. Kaiser), und die ist nun mal nichts anderes als eine miese Stalkerin.
Sehr beeindruckend auch und vom Publikum bejubelt David Kaisers Solo „Ich bin schwul“ als bekennende Reaktion auf den Anbaggerungsversuch der zielstrebigen Sängerin.
Au Backe, aber was sollen die beiden nur für die große Las-Vegas-Show einstudieren? Ihr „Kiss me tiger“ ist zu schlecht, findet David und bricht ab. Vielleicht hilft als Kostüm „Palette“? Amerika, Kurt Weill? „Exil ist doch gleich neben Las Vegas.“ Mit Staatstheater-Drama bringt Virginia das Kurt-Weill-Medley, aber David hat geografische Einwände: Alabama und Bilbao, beides zu weit weg von Las Vegas.
Die dritte, auf der Bühne unsichtbare Person, deren Handschrift dieses gelungene Programm trägt, heißt Rainer Rubbert. Der Musiker, Komponist und gleichermaßen Kenner der kleinen und der großen Musik-Kunst hat nicht nur Regie geführt sondern Kaiser & Plain zu diesem umfassenden musikalischen Rundumschlag inspiriert.
Warum das Stück „#Besetzungscouch“ heißt, kann man schon den ganzen Abend lang unterschwellig spüren. Die Auflösung verrät Virginia Plain am Schluss – jetzt nicht mehr als ulkige Knalltüte sondern in lodernder, radikaler Empörung – mit „Zeit“ („Time“, The Scorpions). Denn „nein“ heißt „nein“. Absolut sehenswert!
©2019
Fotos: Ritter von Lehenstein