Der Wettbewerb um die 34. St. Ingberter Pfanne – Dritter Tag
Florian Hacke, Olaf Bossi, Quichotte
von Gilles Chevalier
ST. INGBERT – Auch am dritten Wettbewerbstag treten in St. Ingbert noch keine Frauen auf. Aber man nähert sich langsam der weiblichen Perspektive, indem drei Doppelväter den Abend gestalten.
Florian Hacke ist Schauspieler und für ein Jahr in Elternzeit, damit seine Frau studieren kann. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit hat er in dem Programm „Hasenkind du stinkst“ verarbeitet. Da ist eine ganze Reihe Vorurteile seiner Mitmenschen, die sowohl die Elternschaft, als auch die Elternzeit betreffen. Hacke stellt das sehr unterhaltsam dar, man versteht aber auch, dass ihn die Bedenken und Vorstellungen der anderen stören. Besonders ungünstig sei dabei für ihn, dass ihm die passende Antwort immer erst eine halbe Stunde später einfällt…
Selbst im Papa-Kurs für werdende Väter ist er der einzige, der seine berufliche Entwicklung für den Säugling zurückstellen will. Auch auf dem Spielplatz, den er gemeinsam mit vielen Müttern besucht, muss er viel Zeit aufwenden, damit er als Vater und nicht als Verbrecher auf Kleinkinderjagd erkannt wird. Eine i
nteressante Perspektive, die zeigt, dass Vorurteile bei jedem Geschlecht vorkommen.
Hacke hinterfragt das vorherrsche gesellschaftliche Bild. Eine Ursache dafür findet er in der tradierten Rollenvermittlung in Kinderbüchern. Conni und ihre normative biodeutsche Familie hat er dabei besonders im Blick. Und geschlechterspezifisches Spielzeug trägt ebenfalls seinen Teil zur Zementierung des Status quo bei.
Florian Hacke argumentiert überzeugend für ein selbstbestimmtes Aufwachsen seiner Tochter und verlangt ein grundsätzliches Umdenken beim Erziehen: „Wenn wir unsere Söhne erziehen, müssen wir unsere Töchter nicht warnen!“ Ach, wäre Feminismus doch immer so sympathisch und unterhaltsam, denken sich einige im rhythmisch klatschenden Publikum. Ein weiterer Pfannenkandidat.
Olaf Bossis Programm „Endlich Minimalist …aber wohin mit meinen Sachen?!“ hatte noch gar nicht Premiere. Bossi zeigt einige Ausschnitt und berichtet von den Schwierigkeiten, die ersten Digital Natives erziehen zu dürfen. Zur Gitarre singt er über „Zen Dinge“, die der auf Achtsamkeit bedachte Digitalier dauernd im Blick hat.
Große Klasse ist auch sein nicht enden wollendes Schlaflied
, weil das Kind einfach nicht die Augen zumachen will. Olaf Bossi ist dabei ein angenehm ruhiger Erzähler, der als Endvierziger zufrieden in der Familie angekommen ist. Dabei hatte er einen ganz anderen Lebensentwurf, wie er im Lied vom Klassentreffen singt. Er bewundert darin seinen Nachbarn. Doch alles gleicht sich aus, weil ihm der Nachbar gesteht, insgeheim auch einen anderen Lebensplan gehabt zu haben.
Olaf Bossi reflektiert seine Alltagsbeobachtungen, ohne wehzutun. Beziehungen sind ihm wichtig. Zum Beispiel die jahrzehntelange Ehe seiner Großeltern, deren Harmonie jedoch zu einem guten Teil auf einem Missverständnis beruht. Ehescheidungen möchte er positiv betrachten und bezeichnet sie als „das Ende eines Nichtschönen“. Jahre seines Lebens verbringt er, wie wir alle, im Stau. Währenddessen geht das Leben um ihn herum weiter. Das Publikum dankt mit sehr herzlichem Applaus.
Quichotte tritt mit seinem Programm „Die unerträgliche Leichtigkeit des Neins“ im Wettbewerb an. Seine jugendlich wirkende Base Cap zieht er ab, um die Wirkungslosigkeit von Haarwasser zu beweisen. Ein schönes Stand Up legt er über die Frage hin, ob Rap mit Mitte Dreissig noch in Ordnung ist. Denn in Deutschland sei es ja so, dass auf einem Plakat immer ganz genau stehen müsse, was den Zuschauer erwartet: Comedy oder Kabarett.
„Wenn’s total verwirrend wird und keiner lacht – das ist Kabarett“, so Quichottes Definition. Nicht nur an dieser Stelle amüsiert sich der Saal prächtig an diesem schnellen Vortrag. Auch wenn er aus 15 Begriffen aus dem Publikum einen Rap-Song improvisiert, zieht er die Menschen auf seine Seite.
Quichotte freut sich an schlagfertigen Kölner Rentnern, die unwissenden Touristen den Dom als das Empire State Building verkaufen. Auch die Kölner „Büdchenkultur“ hat es ihm angetan, weil man dort am Stehtisch jedem zugesteht, dazuzugehören. Das will Quichotte auch.
Beeindruckend sein frei vorgetragener Text „Das Orchester“. Jedes Instrument stammt hier aus einem anderen Land, doch erst gemeinsam bilden sie ein Ganzes. Mucksmäuschenstill lauscht der Saal dieser Utopie einer friedlichen Gesellschaft, bevor ein begeisterter Applaus einsetzt.
GC, 11. September 2019, © 2019 BonMot-Berlin Ltd.
Fotos: Rainer Hagedorn
HP: Florian Hacke | Olaf Bossi | Quichotte
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