Bowie forever: Ein expressiv-exzentrisches Denkmal

Sven Ratzkes Deutschland-Premiere »Where Are We Now« in der Bar jeder Vernunft

von Axel Schock

BERLIN – Er kommt nicht von ihm los. 2015 hatte sich Sven Ratzke mit „Starman“ schon einmal mit den unendlichen Weiten von David Bowies Universum beschäftigt. Mit Zustimmung des Meisters himself hatte sich der Deutsch-Niederländer vor allem die Glamrock-Songs der Siebziger herausgegriffen und sie mit seinen irrlichternden, surrealen Geschichten kombiniert. Mit der zu Recht gefeierten Show hat Ratzke die halbe Welt bereist, und wahrscheinlich könnten er und seine Band damit auch noch heute touren.

Ratzke aber hat stattdessen neue Programme erarbeitet. Für diese Entscheidung dürfte auch Bowies Tod im Januar 2016 eine Rolle gespielt haben. Nun widmet sich Sven Ratzke erneut dem musikalischen Werk des britischen Popgenies, doch anders als „Starman“ ist „Where Are We Now“ ganz bewusst als Hommage konzipiert.

Fraglos jeder, sagt Sven Ratzke, verbinde auf die eine oder andere Weise etwas mit der Musik Bowies, und sei es nur, dass einer seiner allgegenwärtigen Songs bei einer besonderen Gelegenheit zufällig im Radio lief. Sven Ratzke hat freilich eine ganze Menge solcher Erinnerung parat. Die Geschichte, wie er an die Aufführungsrechte für die Bowie-Songs gelangte, gehört genauso dazu, wie die versponnenen Schilderungen aus dem Berliner WG-Leben von Iggy Pop und David Bowie einst in Schöneberg. Viele davon sind, wie so oft bei Ratzke, wunderbar erfundene (Halb-)Wahrheiten. Dass Iggy Pop und David Bowie tatsächlich im LSD-Rausch nächtens vom Dach des KaDeWe über West-Berlin schauten, dürfte zweifelhaft sein. Für diesen Moment aber nehmen wir Ratzkes Geschichte allzu gerne für bare Münze. Denn wie er sie erzählt und sein Pianist Christian Pabst sie dezent und fast unmerklich musikalisch untermalt, erschaffen die beiden eine entrückt-poetische, manchmal auch elegisch-melancholisch Atmosphäre.

So frivol, spontan und expressiv-exzentrisch Sven Ratzke auch in dieser Show wieder als geborener Entertainer die Stimmung im Zelt der Bar jeder Vernunft dirigiert, in seiner Song-Auswahl bzw. deren Interpretationen findet er dennoch immer zu einem sehr zurückgenommenen, intimen Rahmen zurück. Ratzke und Pabst haben die Bowie-Songs auf das Wesentliche reduziert. Nicht nur Bowie-Klassiker wie »Space Oddity«, »Heroes« oder »Life on Mars«, sondern selbst eine Dancefloor-Nummer wie »Let’s Dance« wandelt sich hier zur Ballade. Immer wieder beeindruckt Pabst durch seine Virtuosität und enorme Bandbreite musikalischer Mittel, mit denen er selbst Rocknummern zu reiner Klavierbegleitung transformieren kann. Mal dient der Korpus des Flügels als Perkussionsinstrument, mal verlängert er die Melodien in jazzige Improvisationen, oder er erzeugt mit wenigen hingetupften Klängen Gänsehaut.

Ratzkes Timbre ist dabei – in allen Tonlagen – auf fast beängstigende Weise nahe am Vorbild, doch ohne dass er sich gezielt als Stimmenimitator produziert. Er macht sich seine Songs zu eigen und zeigt doch größten Respekt und Hochachtung. Damit beweist er einmal mehr, wie großartig Bowies Texte und Kompositionen sind und sie auch als Popchansons nicht an Kraft verlieren. Und nicht zuletzt bekräftigt Ratzke mit diesem Abend seinen Status als phänomenaler, wandlungsfähiger Sänger, Conférencier und Allroundkünstler. Ein Gesamtkunstwerk, das in der Bar jeder Vernunft mit Standing Ovations gefeiert wurde.

©2019
Fotos: Hanneke Wetzer

Tourtermine von Sven Ratzke und Christian Pabst (Flügel) mit „Where Are We Now“

Das gleichnamige Album zur Show ist auf CD und LP erschienen.

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